Wenn Geld dem Gemeinwohl dient

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Interview
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July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Die Unfreiheit der Märkte und die ungenutzten Möglichkeiten der Demokratie

Wir haben uns daran gewöhnt: Mit Geld messen wir den Wert der Dinge. Aber, so erklärt der Aktivist und Gründer der Gemeinwohlökonomie Christian Fleber, das kann das Geld gar nicht. Wir müssen klären, was wir als wirklich wertvoll erachten. Und eine Wirtschaft und ein Finanzsystem gestalten, die diesen Werten gerecht werden, und nicht umgekehrt. Wir sprachen mit dem Visionär einer neuen Ökonomie über einen gemeinwohlorientierten Umgang mit Geld.

evolve: Sie bezeichnen Geld ganz bewusst als öffentliches Gut, das unserer öffentlichen und demokratischen Willensbildung unterworfen sein sollte. Was sind die Charakteristika unseres Geldsystems und welche Möglichkeiten gäbe es, dieses Geldsystem in eine Richtung
weiterzuentwickeln, die das Gemeinwohl fördert?

Christian Felber: Das Geld ist eines der mächtigsten Mittel, das die Menschheit verwendet. Geld hat grundsätzlich eine positive Rolle, es erleichtert wirtschaftliche Transaktionen und komplexe Tauschvorgänge. Aber gleichzeitig muss man Geld aufgrund seiner enormen Macht mit Bewusstheit, ethischer Orientierung und demokratischer Kontrolle regulieren. Und diese Bewusstheit und dieser klare Kontrollanspruch sind bei weitem noch nicht gegeben, vor allem weil sich das Geld über Jahrtausende ganz langsam entwickelt und immer weitere Funktionen angenommen hat. Dabei ist die bewusste demokratische Kontrolle über dieses Mittel nicht entsprechend mitgewachsen.
Eines der Hauptprobleme mit Geld besteht darin, dass es nur ein Mittel sein sollte und nie der Zweck oder das Ziel unserer Tätigkeiten. Die Unterordnung des Mittels unter die Ziele ist selten sauber reguliert. Aufgrund seiner Macht ist auch die Missbrauchsgefahr riesig, deshalb braucht es eine überproportional strenge demokratische Regulierung.


Preis und Wert


e: Ein Hauptargument der freien Märkte besteht darin, dass im freien Spiel von Angebot und Nachfrage über Geld sich ein selbstregulierendes System darstellt, das eigentlich eine gute Ergänzung zur Demokratie ist. Können Sie die Gefahren konkret beschreiben?


CF: Geld gibt nicht einfach den Wert der Dinge, die gehandelt werden, wieder, sondern ihren Preis. Wert und Preis können auseinanderdriften.
Darin liegt eine große Gefahr, weil die Dinge, die einen riesigen Wert haben, keinen Preis haben können. Deshalb zerstören wir die Umwelt und damit das Wertvollste, das wir überhaupt haben, weil sie keinen Preis hat. Das Geld, das eigentlich den Wert der Dinge wiedergeben sollte, erkennt den Wert der Natur überhaupt nicht.
Das heißt, die erste Gefahr von Geld besteht darin, dass der Tauschwert, der in Geld angegeben wird, nicht dem wahren Nutzwert der Dinge entsprechen muss. Noch gefährlicher wird es, wenn Dinge, die nur einen geringen Wert oder sogar einen negativen Nutzwert haben, wie beispielsweise das Managen eines Hedgefonds, einen hohen Preis haben. Geld kann falsch bewerten, weil es prinzipiell nicht den Wert der Dinge und Leistungen wiedergibt, sondern ihren Preis.


e: Wie kommen diese Preise zustande?


CF: Preise entstehen nicht über demokratische Verständigung: Was ist das Stillen eines Kindes wert? Was ist der Erhalt unserer Ökosysteme wert? Oder was ist das Managen eines Hedgefonds wert? Stattdessen entstehen Preise über Angebot und Nachfrage. Angebot und Nachfrage werden zu einem freien Spiel stilisiert. Das ist es aber nicht, denn es gibt Nachfragemacht und Angebotsmacht.
Es ist ein Machtspiel. Deshalb kommt es zu diesen radikalen Divergenzen bei der Bewertung bestimmter Güter (Muttermilch,
Natur, Hedgefonds managen) durch »Märkte«. Wenn wir diese Bewertung in einem demokratischen, vernunftvollen, rationalen Diskurs durchführen, würde es zu einer komplett anderen Bewertung in Geld oder in anderen Einheiten, wie Gemeinwohlpunkten, kommen. Dieser Zusammenhang wird
wiederum bewusst vernebelt durch den Mythos »freier Märkte«. Das ist keine reine Kritik am Geldsystem, sondern hier wechseln wir nahtlos zu einer Kritik an der Wirtschaftsordnung. In der Wirtschaftswissenschaft werden diese Machtverhältnisse oft als freies
Zusammenspiel verschleiert.


Die Macht der Märkte


e: Ihrem wirtschaftstheoretischen Ansatz liegt der Gedanke des Gemeinwohls zugrunde. Gemeinwohl wird durch Verständigung erreicht, nicht allein über Marktmechanismen. Wenn Verständigung damit die Grundlage von Gemeinwohl ist, brauchen wir natürlich auch gemeinschaftliche
Körperschaften, in denen Verständigung zustande kommt. Das ist die Grundlage von Demokratie. Sie sprechen von der Notwendigkeit einer souveränen Demokratie, was suggeriert, dass unsere Demokratie vielleicht nicht souverän ist. Was meinen Sie mit souveräner Demokratie?


CF: Auch das Gemeinwohl könnte nur dann in Geld gemessen werden, wenn die Preise demokratisch festgelegt würden. Aber dazu braucht es eben eine demokratische Verständigung: Was ist ein stabiles Weltklima wert? Was ist das Stillen, Erziehen, Großziehen von Kindern wert? Was ist eine Arbeitsstunde einer Person, die unsere Toiletten reinigt, wert? Um den Gemeinwohlwert dieser Güter zu ermitteln, bräuchte es demokratische Diskurse. Der
Markt kann das per definitionem nicht leisten. Das Geld ist ein Mittel zur Erleichterung bestimmter Marktvorgänge. Aber es ist nicht in der Lage, den Wert unserer Zielgüter zu definieren. Das ist die große Verwechslung der gesamten Wirtschaftswissenschaft. Es ist primär nicht einmal eine Kritik am Geldsystem, sondern an der Wirtschaftswissenschaft, die nach Adam Smith kam, der noch Moralphilosoph und Ethiker war und vom universellen Wohlwollen gesprochen hat. Das ist ja fast ein spiritueller Ansatz, das universelle Wohlwollen als eine der höchsten Tugenden zu deklarieren. Nach Smith wurden das Politische und die Ethik systematisch aus dem ökonomischen Denken hinausgemobbt. Dadurch wurden die Werte nicht mehr in der Wissenschaft verhandelt und definiert. Denn es ist natürlich eine Wertentscheidung, was die Natur oder das Gebären, Stillen und Großziehen von Kindern wert ist. Wenn ich diese Wertentscheidungen aus der Ökonomie entlasse, dann bleibt nur noch das quantifizierte Geld als Maßeinheit. So entsteht der zentrale Systemfehler, dass wir wirtschaftlichen Erfolg in Geldwerten messen. Die Macht des Geldes nimmt auch damit zu, dass wir den Erfolg der Volkswirtschaft mit dem Bruttoinlandsprodukt messen, den Erfolg eines Unternehmens am Profit und den Erfolg einer Investition mit einer Rendite.

Wir müssen deshalb die Märkte so regulieren, dass die Macht des Geldes beschränkt wird, indem dem Preissystem ein übergeordnetes Bewertungssystem vorangestellt wird, das souverän-demokratisch geschaffen werden muss. Denn was die Ziele des Wirtschaftens und die Grundwerte sind, kann nicht auf Märkten von Akteuren (oft gar nicht Menschen) mit unterschiedlicher Kaufkraft und dadurch mit unterschiedlicher politischer Macht verhandelt werden. Was die primären Ziele der Gesellschaft sind, was deshalb auch die Grundwerte des Wirtschaftens sind, muss über souverän-demokratische Prozesse festgelegt werden. Aber Parlamente sind von den mächtigen Wirtschaftsinteressen so sehr beeinflusst, dass sie die Kernfunktion der Demokratie, den souveränen Willen umzusetzen, häufig nicht ausüben. Souveräne Demokratie ist hier wörtlich zu nehmen, denn souverän kommt von superanus, »über allem stehend« – in der Demokratie ist das die Bevölkerung, die Summe aller Staatsbürger*innen.

Souveräne Demokratie

DER COMMON SENSE GEWINNT IN DER BEVÖLKERUNG MIT HAUSHOHEM ABSTAND, STÖSST BEI ÖKONOMEN ABER OFT AUF UNVERSTÄNDNIS.

e: Wie könnte so ein Verständigungsprozess, wie wir als Souverän mit dem Instrument Geld umgehen wollen, aussehen?

CF: In der souveränen Demokratie kommen wichtige Anliegen aus der Bevölkerung – anders als beim Brexit. Wenn es ausreichend viel Interesse an dieser Entscheidung gibt, dann kommt es zu einer Volksabstimmung. Das Beispiel Begrenzung der Ungleichheit zeigt, wie nötig diese Ergänzung der indirekten Demokratie ist: Kein Parlament der Welt käme auf die Idee, die Bevölkerung zu befragen: »Wollt ihr die Ungleichheit begrenzen? Wenn ja, wo?« Aber in der Bevölkerung brennt dieses Thema vielen Menschen auf der Seele. Deshalb schlagen wir einen Geldkonvent vor, in dem diese Fragestellungen rund ein Jahr lang ausgearbeitet werden.

Am Ende wählt der Souverän unter mehreren Alternativen aus. Dabei würde unserer Erfahrung nach ein moderater Mittelweg gewinnen: Ungleichheit, aber begrenzt.

Ein Geldkonvent würde auch bei Krediten anders entscheiden: Der Kredit als ein Mittel darf nicht für alles und jedes verwendet werden. Die Ideologie der freien Marktwirtschaft beinhaltet, dass wir auf den Märkten einem anderen Freiheitsbegriff folgen als in allen anderen Gesellschaftsbereichen. In allen anderen Gesellschaftsbereichen endet meine Freiheit dort, wo ich die Freiheit eines anderen Menschen begrenzen würde. Auf den Märkten heißt freies Wirtschaften, dass ich alles machen kann, auch wenn es andere schädigt. Das ist ein pervertiertes Freiheitsverständnis. Es werden Unternehmen gleichgestellt, die zum Beispiel Kinderarbeit zulassen, Steueroasen nutzen oder Regierungen korrumpieren – mit solchen, die bewusst darauf verzichten, Steueroasen zu nutzen oder die bewusst ökologisch produzieren. Die Gleichstellung dieser ethisch sich völlig anders verhaltenden juristischen Personen führt zu einem strukturellen Wettbewerbsvorteil des unethischen Unternehmens. Es hat niedrigere Kosten und dadurch niedrigere Preise und einen Wettbewerbsvorteil. Das hat mit Freiheit überhaupt nichts zu tun, das ist die Legalisierung von Skrupellosigkeit oder das Recht des Stärkeren.

Ein anderes Ergebnis eines Wirtschaftskonvents wäre wahrscheinlich, dass es freie Unternehmen geben darf, die Gewinn machen. Aber sie müssen einer übergeordneten Wertordnung folgen, d.h. sie müssen eine Gemeinwohlbilanz erstellen, die dann Auswirkungen auf die Finanzbilanz hat. Sie müssen sich ethisch in einem bestimmten Rahmen verhalten. Wenn sie von Kinderarbeit profitieren, die in irgendeinem Land erlaubt ist, bringt ihnen das so viele Abzüge in der Gemeinwohlbilanz, dass sie das Doppelte oder Dreifache an Steuern zahlen, überhaupt keinen öffentlichen Auftrag mehr bekommen. Oder Unternehmen müssen zweistellige Zinsraten für Kredite bezahlen, weil sie ihre Gewinne in Steueroasen deklarieren oder in Ländern, wo das von den Gerichten nicht geahndet wird, die Regierung korrumpieren. Das würde jeder Souverän anders entscheiden, als es derzeit die Regierungen und Parlamente entschieden haben.

Deshalb brauchen wir ein übergeordnetes Bewertungssystem für die Volkswirtschaft, für Unternehmen und für Kredite. Bei Krediten würde dieses übergeordnete Bewertungssystem sagen: Nicht alles, was sich finanziell rentiert, darf finanziert werden. Deshalb muss die Wirtschaftsfreiheit beschränkt werden. In Bezug auf Kredite würde es bedeuten, dass Kredite nach bestandener Gemeinwohlprüfung nur zur Finanzierung von Projekten in der Realwirtschaft vergeben werden dürfen. Schäden entstehen ja nicht nur durch Finanzspekulation: Wir haben auch in der Realwirtschaft noch Atomkraftwerke, Monsanto-Landwirtschaft und SUVs. Aber die Gemeinwohlprüfung der Kredite sorgt dafür, dass mit dem Projekt, das finanziert wird, kein Grundwert geschädigt wird und kein Gemeinschaftsgut enteignet wird. Auch das ist, davon bin ich überzeugt, schon heute in der Bevölkerung mehrheitsfähig.

¬ GELD GIBT NICHT DEN WERT DER DINGE WIEDER, SONDERN IHREN PREIS.

Gemeinsame Entscheidungsfindung

e: Zweierlei hat mich bei Ihrer Idee des Geldkonvents sehr angesprochen: Erstens, dass Sie diesen Geldkonvent primär regional ansetzen wollen. Zweitens, dass Sie hier auch bestimmte Entscheidungsprozesse mitgedacht haben, durch die wir uns über solche Themen, die Sie gerade ansprachen, gesellschaftlich verständigen können. Wie könnte solch ein Geldkonvent konkret aussehen?

CF: Mittlerweile haben wir erkannt, dass ein Geldkonvent selbst in einer Gemeinde ein sehr ehrgeiziges Projekt ist. Wir gehen jetzt dazu über, den Konvent für Schulen, Vereine, Unternehmen mit wenigen Fragestellungen zu gestalten. Basis ist ein wertschätzender, gewaltfreier Austausch, der die Menschen energetisiert. Es geht einerseits um achtsame Gesprächsmethoden, wie gewaltfreie Kommunikation oder Dialog, andererseits um das intelligente Entscheidungsverfahren des systemischen Konsensierens.

Ich möchte diesen Prozess am Beispiel der Kredite anschaulich machen. Banken müssen heute per Gesetz vorgeschrieben zwar eine finanzielle Risikoprüfung machen, aber keine ethische Risikoprüfung. Dadurch gibt es prinzipiell vier verschiedene Optionen, die abzustimmen wären: 1) die Beibehaltung des aktuellen Zustandes, 2) die verpflichtende ethische Risikoprüfung, aber keine finanzielle Risikoprüfung, 3) weder eine finanzielle noch eine ethische Risikoprüfung und 4) sowohl eine finanzielle als auch eine ethische Risikoprüfung. Letzteres ist unser Vorschlag, der die Überwindung des dualistischen Denkens bedeutet und seine Überführung in ein integrales Denken fördert.

Bei Befragungen in kleinen Kollektiven, in Schulklassen, an Universitäten gewinnt nach bisheriger Erfahrung die vierte Option: eine finanzielle Risikoprüfung, denn wir wollen nicht wirtschaftlich fahrlässig handeln, und eine ethische Risikoprüfung, weil wir schauen müssen, wie sich diese Investition auf das Weltklima und auf die Demokratie auswirkt. Im Konvent dürfen alle gesellschaftlichen Gruppen Vorschläge einbringen, aber die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Extrempositionen nicht die geringste Chance gegen diesen Common Sense haben. Dieser Common Sense gewinnt in der Bevölkerung mit haushohem Abstand, stößt bei Ökonomen aber oft auf Unverständnis.

e: Angenommen, der Geldkonvent nimmt Fahrt auf: Wo geht diese Fahrt hin? Was wäre wirklich ein Erfolg einer Bewegung für einen Geldkonvent?

CF: Wir sind gerade u. a. mit Otto Scharmer und dem Presencing Institute in Kontakt, die daraus einen Prototyp machen könnten. Ein Prototyp ist etwas, was weltweit replizierbar ist und dann nicht nur in Schulen und Unternehmen, sondern tatsächlich in Gemeinden umgesetzt werden kann. Meine Hoffnung ist, wenn in der ersten Gemeinde ein formal abgesegneter Geldkonvent stattgefunden hat, dann kann das zu einem Pilotprojekt mit weltweiter Wirkung werden, weil es so etwas unerhört Einfaches und Selbstverständliches und gleichzeitig Bahnbrechendes und Systemveränderndes ist. Das könnte schnell ganz viele Nachahmer finden.

Ich glaube, es werden zunächst Hunderte solcher Konvente auf kommunaler Ebene stattfinden, bis sich dann das erste Land findet, wo das Parlament mit Mehrheit die Einführung eines Geldkonvents beschließt: sei das Costa Rica, Schottland, Bhutan, Island, Slowenien oder Neuseeland. Dadurch wird nicht die gesamte Verfassung verändert, sondern wir klären den Teil der Verfassung, der etwas über die Geldordnung aussagt. Wenn ein Land so etwas einführt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere Länder folgen. Ich sehe das so wie die Frauenrechte und die Aufhebung der Rassendiskriminierung. Irgendwann fängt ein Land an und dann wird es eines Tages ganz selbstverständlich, dass wir die allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschreiben.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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