Alchemie der Heilung

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

July 18, 2019

Mit:
Charles Eisenstein
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AUSGABE:
Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Wie unser kollektiver Körper gesunden kann

Charles Eisenstein war einer der Impulsgeber der Occupy-Bewegung. Der heute weltweit gefragte Autor und Visionär wurde durch sein Buch »Ökonomie der Verbundenheit« bekannt. Geld kann für ihn zu dem Mittel werden, das unserer Kreativität zur Verfügung steht. Doch dazu müssen wir neu definieren was Wohlstand ist. Wir sprachen mit dem Visionär einer Ökonomie der Verbundenheit.

evolve: Ist das Geld notwendig, um eine sich entfaltende, ökologisch nachhaltige und verbundene globale Kultur zu gestalten? Welche Funktionen des Geldes müssen wir dabei berücksichtigen?

Charles Eisenstein: Idealistische Menschen stellen sich möglicherweise vor, dass es eines Tages eine Welt ohne Geld geben könnte. Aber auch in einer geheilten Welt brauchen wir etwas, um menschliche Arbeit zu organisieren, Kreativität auf gemeinsame Ziele auszurichten und die Verteilung der Ressourcen zu koordinieren, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. In der Biologie gibt es Signalmoleküle, die diese Funktion im Körper übernehmen. Leider erfüllt das Geld diese Aufgabe in unserem kollektiven Körper, den wir Gesellschaft nennen, nicht besonders gut. Vielleicht brauchen wir eine andere Ausgestaltung von Geld, sodass diese soziale Chemie eher ein Teil von Heilung sein kann als von Ausbeutung und Zerstörung. Im gegenwärtigen System erscheint Geld als Feind von Ökologie, Gerechtigkeit und Gleichheit. Aber könnte es eine andere Art von Geld geben, eine andere Ausgestaltung von Geld, eine andere Geschichte, die zu einer heilenden Welt passt?

Wo das Geld hinfließt, bringen wir kollektiv unsere kreative Kraft zur Geltung. Finanzielles Kapital repräsentiert unseren gesellschaftlichen Mehrwert. Wie wir ihn einsetzen, bestimmt, was wir kollektiv tun wollen. Sollen wir Bomben bauen? Yachten? Villen? Wolkenkratzer? Sollen wir Wälder aufforsten, Wasser reinigen, den Boden regenerieren? Jede dieser Bemühungen braucht menschlichen Willen, Zeit, Energie und Aufmerksamkeit. Wie wir den Geldfluss regulieren, ist unsere kollektive Wahl.

Schulden und Wachstum

e: Welche Rolle spielen Schulden und Zinseszinsen in der Krise, in der wir stehen?

CE: Geld wird heutzutage durch verzinsliche Forderungen geschaffen. Das hat zwei Konsequenzen, die charakteristisch für die moderne Welt sind. Die erste ist Mangel. Wegen der Zinsen gibt es immer mehr Schulden als Geld. Jedes Mal, wenn eine Million Euro in die Wirtschaft eingeführt werden, wird eine extra Million Schulden geschaffen. Das heißt, dass niemals genug Geld fließen wird, da jeder mit jedem im Wettkampf um etwas steht, das Mangel schafft. Es wird immer einige geben – die Unglücklichen und Benachteiligten genauso wie die »Faulen« (diejenigen, die nicht-ökonomische Prioritäten im Leben haben) –, die in Konkurs gehen oder in einer endlosen Schuldenfalle landen. Individuen, Familien und auch ganze Nationen können in Konkurs gehen, ihr produktiver Mehrwert gehört für immer ihren Kreditgebern. Die Kreditgeber werden reicher und reicher, während die Schuldner arm bleiben. Wir sehen das heute in der Konzentration von Reichtum in den Händen weniger auf der ganzen Welt.

Die zweite Charakteristik ist Wachstum. Verzweifelte Schuldner, Menschen oder Nationen, müssen immer etwas tun, um Geld aufzubringen, damit sie ihre Geldgeber befriedigen können. Sogar wenn wir keine persönlichen Schulden haben, dient ein großer Teil unseres Geldes dazu, die Schulden derjenigen zu bedienen, die uns Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Die Finanzkosten sind Teil des Preises, den wir bezahlen. Wie kann man also Geld verdienen, um die Schulden abzuzahlen? Man muss Waren und Dienstleistungen erfinden. Dafür werden die meisten Leute bezahlt. Wir bekommen Arbeit, die dazu beiträgt, Produkte zu erschaffen oder die Räder der sozialen Produktionsmaschine am Laufen zu halten. Wer auch immer uns anstellt, will vermutlich Geld (mehr als unser Gehalt) durch den Verkauf dieser Güter und Dienstleistungen verdienen. Ökonomisches Wachstum ist die Produktion neuer Güter und Dienstleistungen. Es bedeutet, etwas aus der Natur zu nehmen und daraus ein Produkt zu machen oder etwas Kulturelles in eine Dienstleistung umzuformen. Wenn zum Beispiel Ecuador 38 Milliarden Dollar externe Schulden hat, steht es unter Druck, seinen Regenwald zu Holz, Kupfer und Öl umzuwandeln.

Ökonomisches Wachstum ist essenziell wichtig für ein auf Schulden basierendes System wie das unsere. Langsames oder Nullwachstum bedeutet, Schuldner können keine Arbeit, Güter oder Dienstleitungen zum Verkauf anbieten. Sie geraten bald in Zahlungsverzug und das ganze System gerät in einen teuflischen Kreislauf von Bankrott, Arbeitslosigkeit und Deflation. Da es immer mehr Schulden als Geld gibt, ist Rückzahlung nur möglich, wenn ständig neues Geld geschaffen wird. Damit das passiert, muss es verlässliche Gelegenheiten geben, Geld zu leihen und zu investieren – um zum Beispiel eine Fabrik zu bauen, damit die steigende Nachfrage befriedigt werden kann. Kein Wachstum bedeutet, dass es nicht genug solcher Möglichkeiten gibt. Kein neues Geld zu schaffen heißt, kein Geld für bestehende Schulden zu haben, was zu Zahlungsausfällen und zu einer Wirtschaftskrise führt.

Der konstante Druck, Wachstum zu schaffen, wurde einst als etwas Gutes betrachtet. Die Wachstumsideologie hielt das Verwandeln von Natur in Besitz und Kultur zu Dienstleistungen für Fortschritt. Wir Menschen wollten das Wilde zähmen, die Welt uns zu eigen machen und zu Besitz umformen. Es wurde als Fortschritt betrachtet, Nahrungsmittel nicht mehr selbst zuzubereiten, denn Fabriken waren so viel effizienter. Eine Beziehungsfunktion nach der anderen wurden professionalisiert. Heute jedoch erreichen wir die sozialen und ökologischen Grenzen des Wachstums. Und wir erreichen die philosophischen Grenzen des Wachstums, denn wir zweifeln daran, dass es unsere Bestimmung sein kann, alles zu besitzen.

Vielleicht streben wir eher nach Teilhabe als nach Beherrschung. Vielleicht wollen wir wieder öfter unsere eigenen Lieder singen, uns um unsere Kinder kümmern, selbst verantwortlich sein für unsere Gesundheit, unsere eigene Nahrung anbauen und kochen, statt diese Funktionen abzugeben an spezialisierte Professionelle in einer immer größeren und feineren Arbeitsteilung. Wenn dem so ist, brauchen wir ein anderes Finanzsystem.

Natürliches Geld

e: Wie wird Geld geschaffen? Welches sind die interessantesten neuen alternativen Wege, Währungen zu schaffen?

CE: Heutzutage wird Geld von Zentralbanken geschaffen, die es durch Anleihekäufe und andere Sicherheiten des offenen Marktes in das Finanzsystem pumpen. Es gibt sicherlich Alternativen zur Geldschöpfung als verzinsliche Schulden. Ich werde drei allgemeine Kategorien näher erläutern. Die erste ist die Geldschöpfung aus Nichts. Eine Möglichkeit, die »positives Geld« genannt wird.

Dabei muss die Regierung einfach etwas als Geld benennen und es dann in den Wirtschaftskreislauf geben. Die Geldversorgung kann dann durch Mehrausgabe oder Rücknahme mittels Steuern justiert werden. Ein Einwand dagegen ist, dass die Regierung versucht sein könnte, exzessiv Geld zu drucken und so eine Inflation zu verursachen.

Die von mir bevorzugte Alternative ist, das bestehende Zentralbanksystem beizubehalten und es mit negativen statt positiven Zinsraten zu betreiben. Das heißt, dass Einlagen in der Zentralbank negative Zinsraten in Form von Liquiditätsgebühren erbringen. Staatsanleihen und andere risikoarme Investitionen hätten Renditen unter Null. Negative Zinsen generieren im Vergleich zu positiven Zinsen einen gegensätzlichen Effekt. Sie ermutigen Langzeitinvestitionen im Vergleich zu Kurzzeitinvestitionen, sie tendieren dazu, die Verteilung von Reichtum auszugleichen und sie erlauben Investitionen und ökonomische Aktivität in einem Bereich von Null- oder Negativ-Wachstum (degrowth). Sie verringern ebenfalls den Anreiz, Geld zu horten und zu akkumulieren und unterstützen den Geldfluss. Im Grunde setzen sie Geld dem Verfall aus, machen es zu etwas wie alles in der Natur, wohingegen das gegenwärtige Geldsystem die Ökologie verletzt mit seinen Zielen von Kapitalschutz und endlosem Wachstum.

Das Geld und wir

e: Viele Menschen, die sich für die Umwelt und die Gemeinschaft engagieren, haben Angst vor Geld – aus gutem Grund. Wie befreien wir uns aus den Fängen des Geldes und dem Denken, das Wert mit Geldbegriffen berechnet? Gibt es eine gesunde Beziehung zu Geld?

CE: »Die Fänge des Geldes« ist ein Satz, der eine bestimmte Dynamik suggeriert. Er kann Verschiedenes bedeuten. Für viele Menschen auf diesem Planeten geht es um wirtschaftliche Not, um den Kampf, die Notwendigkeiten des Lebens bezahlen zu können, wodurch unsere Lebenskraft jeden Tag darauf gerichtet ist, genug Geld zu verdienen, um zu überleben. Bezeichnenderweise jedoch empfinden nicht nur die Armen diese Fänge des Geldes in ihrem Leben und die damit verbundene Unsicherheit und Angst. Reiche Menschen denken auch ununterbrochen an Geld. Das heißt, die Fänge des Geldes sind nicht nur systemisch, sie sind auch psychologisch.

Deshalb beinhaltet die Frage »Wie können wir uns befreien?« eine systemische und eine psychologische Antwort. Wir würden niemals einem armen Menschen beispielsweise in Somalia sagen: »Ändere deine Haltung zu Geld, deine ökonomischen Probleme gibt es nur wegen deiner Überzeugungen«. Das wäre unglaublich arrogant und würde die Ausbeutungs- und Armutssysteme, an denen wir alle in gewissem Maße teilnehmen, ignorieren. Diese Systeme müssen verändert werden. Weiter oben erwähnte ich die Dynamik von Schulden. Solange dieses System wirkt, ist es egal, welchen Überzeugungen wir anhängen. Ein Fülle-Bewusstsein wird gegen die Strömung eines Systems, das Mangel hervorruft, nicht ankommen.

Aber wir können damit anfangen, einige grundlegende mentale Programme zum Thema Geld loszulassen: Geld verführt uns dazu, alle guten Dinge als auf eine gute Sache reduzierbar zu betrachten, sodass alle Werte auf einen einzigen Standard reduziert werden können. Wir nehmen an, dass es eine eindimensionale Lösung für all unsere Probleme gibt (wenn ich nur mehr Geld hätte). Da wir immer »den« Grund für ein Problem suchen, verpassen wir die komplexen Gründe hinter den ganz realen Problemen. Wir glauben, dass Verlust und Gewinn, Vorteil und Schaden quantifizierbar sind und dass eine bessere Welt durch besseres Aufrechnen erreicht werden könnte. Wir setzen uns mit unserem Geld gleich (MEIN Geld!), das – anders als unser physischer Körper – nicht vom Verfall und von biologischen Prozessen betroffen ist. Das ermutigt unsere Kultur zur Verleugnung des Todes. Wir beschreiben die Welt mit abstrakten Begriffen, um Zahlen zu manipulieren, die immer weiter von realen Dingen entfernt sind, die sich für weit entfernte Menschen und an weit entfernten Orten ereignen.

Wir quantifizieren unser Selbstinteresse und vergleichen es mit dem anderer. Wir glauben an das universelle Prinzip von »Was du hast, habe ich weniger«. Wenn ich dir Geld gebe, hast du mehr und ich weniger. Völlig im Geldsystem verfangen, vergessen wir dabei, dass andere Dinge nicht so funktionieren. Liebe ist nicht so. Gemeinschaft ist nicht so. Ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Verbindung ist auch nicht so.

Alle diese konditionierten Vorstellungen können verändert werden, auch wenn wir dabei gegen die fortdauernde Konditionierung durch unsere ökonomischen Bedingungen angehen müssen. Wir können uns in tiefere Wahrheiten von gegenseitiger Verbundenheit und Schenken begeben und Beziehungsräume schaffen, in denen wir sie üben können.

WO DAS GELD FLIESST, BRINGEN WIR KOLLEKTIV UNSERE KREATIVE KRAFT ZUR GELTUNG.

Was ist Wohlstand?

e: Es gibt einen Trend in unserer postmodernen spirituellen Kultur, über »Wohlstandsbewusstsein« zu sprechen oder das »Gesetz der Anziehung« oder andere Denkweisen, die besagen, dass das Individuum und seine Bewusstheit seinen Reichtum oder dessen Mangel kreieren. Wie sehen Sie diese Aussagen? Wenn wir die Verantwortung dem Individuum geben, wie trägt dies zur Ungleichheit und den destruktiven Aspekten unseres momentanen Geldsystems bei?

CE: Es ist leicht, das Wohlstandsbewusstsein und das Gesetz der Anziehung als spirituelle Vermeidung anzusehen, bei der politisch wichtige Themen ausgelassen werden. Lassen Sie uns jedoch trotzdem auch die innige und geheimnisvolle Verbindung zwischen unserem Bewusstsein und der Realität, wie wir sie erleben, anerkennen. Menschen, die eine Vorstellung von Großzügigkeit haben und leben, erleben meist Formen von Reichtum, die aber vielleicht nicht finanzieller Art sind. Tatsächlich ist ja auch das Verlangen nach finanziellem Reichtum eine Form von Armutsbewusstsein. In der modernen Gesellschaft steht finanzieller Reichtum als Ersatz für das tiefe Gefühl von Sicherheit, das man durch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, durch das Zugehörigsein zu einem Stamm oder einem Ort, in der tiefen Verbindung zu Menschen, Tieren, Pflanzen und dem uns umgebenden Land erfährt. Echtes Wohlstandsbewusstsein wird diese Dinge mehr anziehen als Geld. Möchten Sie lieber mehr Geld haben oder weniger Geld benötigen?

Zweitens sind das Bewusstsein und Politik auch tief miteinander verwoben. Jemand, der Ausgrenzung erlebt und unverarbeitete Traumen mit sich herumträgt, wird sich von einer Politik der Dominanz und der Kontrolle angezogen fühlen. Konkurrenz und der Kampf um mehr und mehr wird sich für diesen Menschen ganz normal anfühlen. Daher ist es ein Fehler, für eine Veränderung des Systems aktiv zu werden und dabei die Werte des alten Systems zu nutzen. Eine ökologische Wirtschaft wird zum Beispiel nicht mehr ökonomisches Wachstum bringen als eine Wirtschaft, die Ressourcen verbraucht. Sie wird keine besseren Autobahnen, Autos, billigere Flüge oder größere Häuser schaffen. Sie wird weniger Bedürfnis nach Reisen hervorbringen, weil die lokale Kultur sehr viel interessanter wird. Sie wird weniger Bedürfnisse nach großen Häusern hervorbringen, weil es eine wieder erstarkte Gemeindekultur geben wird, bei der das Leben nicht in einem solchen Ausmaß zu Hause hinter verschlossenen Türen stattfindet. Sie wird weniger Bedarf nach hochtechnisierter Pflege hervorbringen, wenn natürliche Mittel und ganzheitliche Lebensstile üblich werden. Das Leben wird finanziell ärmer, aber in allen anderen Bereichen viel reicher sein.

Erfahrungen dieser Art von Reichtum sind für die Menschen heute über viele Zugänge erfahrbar: Pflanzenmedizin, Kreisübungen, Naturverbundenheit, Musik, spirituelle Praxis usw. Sie machen nicht bloß den Kapitalismus ein bisschen erträglicher. Sie haben das Potenzial, uns in Menschen zu transformieren, die nicht mehr am Kapitalismus in seiner heutigen Form teilhaben wollen. Wir können viel wirkungsvollere Akteure für politischen Wandel sein, wenn wir kein Bedürfnis mehr empfinden, den Status Quo fortzusetzen. Sonst verstärken wir das System selbst dann, wenn wir es bekämpfen.

Um noch mal zum Wohlstandsbewusstsein zurückzukommen: Wenn wir es erweitern um den Zustand von tiefem Vertrauen, die Bereitschaft zum Loslassen von Kontrolle, die Erkenntnis, dass wahrer Überfluss durch Beziehung entsteht, und das Wissen, dass man nur reich und gesund sein kann, wenn es die Welt auch ist, dann ist dieses Bewusstsein auch zutiefst politisch. Es geht nicht darum, für sich selbst mehr Geld anzuhäufen. Es geht darum, die Welt zu bereichern, damit sie durch meine Beteiligung reicher wird. Ich bin dabei gar nicht selbstlos. Ich will reich sein! Und ich erkenne, dass finanzieller Reichtum nur ein Ersatz für das ist, was ich wirklich will. Klar, wenn das System sich nicht ändert, dann ist Reichtum immer noch besser als nichts, aber es gibt bessere Weg als diesen!

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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