Betreuer der Transformation

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Interview
Publiziert am:

July 19, 2018

Mit:
Prof. Dr. Carl Fingerhuth
Kategorien von Anfragen:
Tags
No items found.
AUSGABE:
Ausgabe 19 / 2018:
|
July 2018
Stadt & Land
Diese Ausgabe erkunden

Bitte werden Sie Mitglied, um Zugang zu den Artikeln des evolve Magazins zu erhalten.

Städtebau aus einem neuen Bewusstsein

Seit 50 Jahren ist Carl Fingerhuth als Stadtplaner tätig und hat aus seiner Erfahrung bei Projekten in vielen Ländern der Erde eine Vision der Stadt jenseits der Moderne entwickelt, in der Mensch, Natur und Kultur zu neuem Einklang finden.

evolve: Im Zusammenhang mit einem anderen Umgang mit unseren Städten sprechen Sie davon, dass wir die Transformation der Stadt betreuen sollten. Das ist eine ungewöhnliche Formulierung in der Stadtplanung. Was meinen Sie damit?

Carl Fingerhuth: Eines der zentralen Themen im Umgang mit der Stadt heute ist das Bewusstsein von der Einheit von Mensch und Natur, also von einer Integration des Menschen in etwas größeres Ganzes. Die Integration des Bewusstseins äußert sich in der Integration von Stadt und Natur. In der Transformation der Stadt muss immer wieder entsprechend diesen neuen Werten eine Gestalt gefunden werden. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, diese Transformation der Stadt zu betreuen, sodass sie in ihrer Gestalt den Bedürfnissen, Zielen und Träumen der Gesellschaft entspricht.

e: Wie spiegeln sich menschliche Kultur und menschliches Bewusstsein in der Art und Weise, wie wir Städte bauen?

CF: Wenn wir nach einem Städtebau fragen, der unsere menschliche Kultur im Blick hat, möchte ich zunächst darauf verweisen, dass das lateinische Wort »cultura« mit »Pflege« übersetzt wird. In unserem Kontext geht es um die Pflege des Gebauten und damit verstehe ich das Gebaute als das von Menschen erstellte, im Gegensatz zu dem aus der Natur gewachsenen. So verstehe ich auch das Wort »Pflege« in einem umfassenderen Sinn als es heute vielfach verstanden wird. Es geht nicht nur um das Vorhandene, sondern auch um das Kommende. Es geht um die Pflege oder die Betreuung der Transformation der Stadt, sodass sie die Stadt ihrer Menschen ist. So ist die Stadt in ihrer Gestalt ein Bilderbuch unserer Geschichte. Sie ist, wie der Mensch, nicht eine Maschine, die man wegwerfen und durch eine effizientere ersetzen kann. Sie ist auch nicht eine Sandkiste, die man jeden Tag umgraben kann. Sie ist unsere Vergangenheit, muss aber auch unser Heute integrieren können.

e: Warum finden Sie die Integration von Neuem und Altem so wichtig?

CF: Auch dies ist ein Ausdruck eines neuen Bewusstseins. Wir werden uns bewusst, dass wir Prägungen haben, ein kollektives Unbewusstes, das in der Geschichte verankert ist. Man darf wieder von Heimat sprechen und man darf die Altstadt als Teil der Stadt ernstnehmen. Die Bauwut in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit der Zerstörung dieser Geschichten, wird durch eine Haltung ersetzt, die diese Balance zwischen Veränderungen und Kontinuität der Stadt ernstnimmt. Wir müssen die Dominanz der Kraft des Neuen als das einzig Richtige kritisch reflektieren und bei Veränderungen der Stadt abwägen, ob das die Identität und die Verankerung der Menschen in ihrem Lebensraum übermäßig zerstört oder für den Aufbau einer neuen Identität unerlässlich ist.

Es ist zudem eine Wiederentdeckung von Erkenntnissen der taoistischen Philosophie, wo immer ein Wechselspiel von Yin und Yang, von Veränderungen und Kontinuität, besteht.

Wir sind, was wir bauen. 

e: Aus welcher inneren Haltung ist eine solche Veränderung in der Planung von Städten möglich?

CF: Der Architekt muss zu einem Übersetzer der Werte einer Stadt werden. Seine Aufgabe besteht darin, sorgfältig zuzuhören, ob er überhaupt gebraucht wird und nicht darin, der Welt zu erklären, was sie braucht. Der Philosoph Martin Heidegger hat in einer Rede vor Architekten auf den faszinierenden Hintergrund des Wortes »Bauen« aufmerksam gemacht: »Das alte Wort bauen, zu dem das ›bin‹ gehört, antwortet ›ich bin‹ … Die Art wie du bist und wie ich bin, die Weise, nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Bauen.« Wir sind, was wir bauen. Unser »Bauen« zeigt im »Ge-bauten«, wer wir sind. Der Architekt hat nicht die Aufgabe, das schöne Haus zu entwickeln, sondern das Haus, das für den Bewohner das ist, was er gern sein möchte.

e: Sie sprechen davon, dass dieses neue Bewusstsein im Umgang mit unseren Lebensräumen auch eine spirituelle Dimension hat. Wie würden Sie diesen spirituellen Aspekt beschreiben?

CF: Am deutlichsten äußert sich diese in dem neuen Suchen nach der Einheit mit der Landschaft, mit der Natur und mit dem biologischen Bewusstsein, in einem kosmischen Zusammenhang zu leben.

Irgendwann – vor Tausenden von Jahren – haben wir das Paradies verlassen und dabei die Einheit von Mensch und Natur aufgegeben. Wir waren nicht mehr im Kosmos aufgehoben. Wir mussten für uns sorgen, mussten bauen; Hütten, Häuser, Dörfer, Städte, Metropolen. Heute stehen wir hoch über der Erde, am Ende einer betonierten Treppe, mit Weitsicht und suchen trotzdem nach Einsicht.

Haben wir uns ver-baut? Der moderne Mensch war in einem bedenkenlosen Vertrauen in die Materie, in das Konstruierte, in das Neue, in den Tempel der Wissenschaften und in seine Rationalität verankert. Er machte sich die Natur zum Untertan und baute auf ihr seine Stadt, nicht als Gast, sondern als Ausbeuter.

Wir sind heute mit Städten voller Unübersichtlichkeit, Komplexität und Widersprüchlichkeit konfrontiert. Wir suchen im Chaos der Erscheinungen nach einer neuen Baukultur, nach einer neuen Identität der Stadt. Bevor wir über deren Formen und Strukturen reden können, müssen wir die Energien identifizieren, die nach Ausdruck in der Gestalt dieser Stadt jenseits der Moderne suchen. Erst dann macht es Sinn, nach der Gestalt zu fragen, mit der die Identität dieser neuen Zeit zum Ausdruck gebracht werden soll. 

Könnte es sein, dass die Identität der Stadt jenseits der Moderne auch eine emotionale und poetische Stadt sein muss, voll von Erinnerungen und Überraschungen, die Geschichte bewahrt und Veränderung und Kontinuität ausbalanciert? Könnte es sein, dass die Stadt jenseits der Moderne wieder eine spirituelle Stadt sein soll, die von der Einheit von Körper und Seele berichtet? Soll die gewalttätige Vertreibung der Natur aus der Stadt rückgängig gemacht werden? Sind Ökologie und Nachhaltigkeit nicht nur eine technische Herausforderung, die man mit überhohen Dichten lösen will, sondern eine Annäherung an eine Ahnung von der Einheit von Mensch und Natur? Könnte es sein, dass die Stadt jenseits der Moderne auch eine soziale Stadt sein muss, die Schwache und Fremde nicht ausgrenzt, sondern integriert? Könnte es sein, dass die Stadt jenseits der Moderne eine diskursive Stadt sein muss, geführt von Kooperation und Dialog? Das sind die Fragen, die wir uns heute stellen müssen.  

Das Gespräch führte Thomas Steininger. 

Author:
Dr. Thomas Steininger
Teile diesen Artikel: