Brücken bauen

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Artikel
Publiziert am:

January 24, 2018

Mit:
Angelus Silesius
Niklaus Brantschen
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Issue 17 / 2017:
|
January 2018
Die Postmoderne und darüber hinaus
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Niklaus Brantschen – ein Leben zwischen den Welten

Die einzige Zeit, in der ich lebe, ist nicht die Vergangenheit, nicht die Zukunft, sondern dieser erfüllte eine Augenblick, die wache Präsenz. Und präsent sein heißt, ein Präsent sein, ein Geschenk sein.« Das Leben, auf das Pater Niklaus Brantschen mit 80 Jahren mit diesen Worten zurückblickt, kann man wohl als ein solches Geschenk bezeichnen. In seinem spirituellen Leben hat er sich immer wieder bemüht, Brücken zu bauen – zwischen Zen und Christentum, der Verbindung von Kontemplation und dem Wirken in der Welt beim Aufbau des Lassalle-Hauses und des Lassalle-Instituts, der Begegnung von Spiritualität und Wirtschaft in der Arbeit mit Führungskräften. Wobei diese Aktivität für ihn in einer tiefen Erfahrung des präsenten Seins gründet und immer wieder zu der Erkenntnis führte: Man muss gar keine Brücke bauen, sie ist schon da. Wir müssen uns dessen nur innewerden.

Niklaus Brantschens Heimat sind die Berge, er wuchs im schweizerischen Bergdorf Randa auf. Schon früh war er mit seinem Vater und seinen Brüdern im Hochgebirge unterwegs und erfuhr dort, so sagt er heute, vor allem die Kraft der Stille. Nebst den Bergen prägte die Kirche diese Kindheit, sie spielte im Tal seines Bergdorfes eine zentrale Rolle. »Die Kirche war bei uns nicht nur im Dorf; sie war das Dorf«, erklärt er. Vor allem die naturnahen kirchlichen Feste berührten den Jungen und ließen den Wunsch reifen, Jesuit zu werden.

Während des Theologiestudiums in Tübingen und an der Jesuitenschule in München rang er mit einer brennenden Frage, die sich schon der große Theologe Dietrich Bonhoeffer stellte: »Ist die Kirche noch brauchbar?« Auf der Suche nach einer zeitgemäßen, lebendigen Spiritualität hatte er begonnen, Meditation zu üben. Und so war das Angebot, das letzte Jahr seiner spirituellen Ausbildung als Jesuit bei Pater Hugo Lassalle in Japan zu verbringen, eine willkommene Einladung, den ersten großen Brückenschlag zu unternehmen. Pater Lassalle, ein gebürtiger Westfale, der als Jesuit den Weg des Zen für westliche, christlich geprägte Menschen erschloss, lehrte ihn in seinem Zendo »Höhle des göttlichen Dunkels« die Zen-Meditation. Und der Lehrer Lassalles, der Zen-Meister Yamada Roshi, wurde auch ihm zum geliebten Begleiter auf dem Zen-Weg. Jährlich übte er eine längere Zeit bei Yamada Roshi, bis dieser ihn 1988 zum Zen-Lehrer ernannte. Yamada Roshi fragte ihn nach einem Sesshin nach der Antwort auf das Koan »Stoppe den Klang der fernen Tempelglocke«. »Da fällt mir aus dem Bauch heraus die richtige Lösung zu. Ja, so ist es: Ich bin eins mit dem Klang, eins mit der Glocke, eins mit der Grille, die im Tempelgarten zirpt. Ich bin im Einklang mit allem, was ist, ich – bin«, sagt er über diese Zen-Erfahrung. Aber sein Meister macht ihm auch klar, dass dies erst der Anfang ist. Jede spirituelle Erfahrung muss sich in der Welt, im Alltag bewähren.

Darin übt sich Niklaus Brantschen, seit er 1977 die Leitung des Bildungshauses Bad Schönbrunn oberhalb des Zentralschweizer Städtchens Zug übernommen hat – der vielen Quellen wegen hieß der Ort einst »zum schönen Brunnen«. Er nennt es ab 1993 Lassalle-Haus – Zentrum für Spiritualität und soziales Bewusstsein und bemüht sich darum, spirituelle Praxis in einer Weise zu vermitteln, die in das konkrete Leben der Menschen hineinwirkt und es verändert. Für diesen Brückenschlag zwischen innerem Wachsen und äußerem Wirken war ein nächster Schritt auf dem Weg nur folgerichtig. Im Lassalle-Institut für Zen, Ethik & Leadership, 1995 gegründet, können Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik ihre Arbeit tiefer reflektieren und erfahren, wie sich ihr Engagement durch den kontemplativen Weg vertiefen kann. »Menschen auf Führungsetagen haben Einfluss, sie sind Multiplikatoren. Darum schien es uns wichtig, sich an diese Menschen zu wenden, um auch hier einen gewissen Brückenschlag zu versuchen, nämlich die Brücke zwischen der spirituellen Dimension und der Welt der Wirtschaft in der Politik«, sagt er über dieses Projekt, das er zusammen mit Pia Gyger aufbaute, einer Ordensfrau des Basler Katharina-Werks.

Präsent sein heißt, ein Präsent sein, ein Geschenk sein.

Niklaus Brantschen

Pia Gyger hat Niklaus Brantschen mehr inspiriert und geprägt als alle anderen Wegbegleiter. Mit ihr lebte er seinen vielleicht ungewöhnlichsten Brückenschlag. In einer »zölibatären Partnerschaft auf der Herzensebene« blieben die beiden Ordensleute ihren Gelübden treu, entschlossen sich aber gleichzeitig, die tiefe Liebe zueinander zu leben. Für Niklaus Brantschen war es eine große Bereicherung, Herausforderung und Lernerfahrung zugleich. »Wir haben uns sehr ergänzt in unserer Arbeitsweise, Pia mehr intuitiv und ich mehr gestalterisch begabt.« Ihre Partnerschaft aus der Tiefe und Hingabe ihres spirituellen Weges sahen sie auch als eine Botschaft an die Welt, für eine respektvolle, lernende und ko-kreative Beziehung zwischen Mann und Frau, die aus dem Bezug zum Göttlichen schöpft. Das wollten sie auch ganz konkret vorleben, sie trafen alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam und lehrten zusammen. »Es ist ein Zeichen der Zeit, dass wir lernen, partnerschaftlich zu arbeiten«, sagt er über ihre Zusammenarbeit. Und fährt fort: »Die Menschheit ist wie ein Vogel, mit den beiden Flügeln Mann und Frau. Wenn ein Flügel nicht entfaltet ist, dann ist es ein ›schräger Vogel‹ und kommt nicht vom Fleck. Durch die respektvolle Begegnung entsteht eine wirksame Wir-Kultur, eine Kultur der Partnerschaft.«

Die Trägerinnen und Träger des Lassalle-Hauses und -Instituts wollen diesen Impuls für eine Kultur der Partnerschaft in die Welt bringen, in Familien, Unternehmen, die Politik und die Gesellschaft. Ganz im Sinne der Verbindung zwischen dem Weg nach innen und dem Weg nach außen, den Niklaus Brantschen als sein Lebensthema beschreibt. In seinem Wirken war es ihm immer wichtig, die Brücke zwischen Kontemplation und Aktion zu bauen – im Sinne einer »Innerlichkeit, die sich äußert«. Denn, so sagt er, »wer nur nach innen geht, der erstickt, wer nur nach außen geht, der verliert sich.«

In solch einer Verbindung der Welten sieht er ein neues Denken aufkeimen, das uns aus dem »Entweder-oder« in ein »Und« führt, ein Denken, in dem Feindschaften überwunden werden und Kooperation statt Konkurrenz möglich wird. Diese Haltung ist ihm auch im Dialog der Religionen wichtig, für den er sich zeitlebens eingesetzt und der ihn persönlich immer wieder tief bereichert hat: »Wenn verschiedene Traditionen zusammenkommen, sich begegnen und keine Angst voreinander haben, ist es wie bei einzelnen Menschen mit verschiedenen Standpunkten: Jede echte Begegnung bereichert und weitet die Sicht, macht offener, verständnisvoller.«

Bei diesem leidenschaftlichen Einsatz für die Verbindung der Gegensätze muss sich die Begrüßung des Zen-Meisters Bernie Glassmann wie ein Nachhausekommen angehört haben: »Ich bin der, der Dinge zusammenbringt, die nicht zusammenzugehören scheinen.« Niklaus Brantschen nahm bei ihm 1993 an einem Straßen-Zen-­Retreat in Manhattan teil. Glassman Roshi wurde ein weiterer wichtiger Begleiter auf seinem Weg. 1999 wurden Niklaus Brantschen und Pia Gyger von Glassman zu Zen-Meistern ernannt; sie gründeten daraufhin eine eigene Zen-Linie – die Glassman-­Lassalle Zen-Linie und später die Kontemplationsschule Via Integralis. Beides Impulse, die heute von ihren Schülerinnen und Schülern weitergetragen werden, nachdem Pia Gyger im Jahre 2014 verstarb.

Bei der Gelegenheit, anlässlich der Veröffentlichung seines autobiografischen Buches »Zwischen den Welten daheim« mit Niklaus Brantschen auf sein Leben zurückzublicken, erwähnt er noch eine Brücke, die wohl alle anderen Brückenschläge seines Lebens trägt. Die Brücke zwischen Zeit und Ewigkeit, die auch schon als Kind sein Erleben prägte. Er zitiert Angelus Silesius mit den Worten, »Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, so du nur selber machst keinen Unterscheid.« Und sagt: »Wir machen den Unterschied und denken, die Ewigkeit sei etwas nach der Zeit. Aber Ewigkeit ist eine Dimension in der Zeit, eine Qualität der Zeit. In der spirituellen Praxis geht es darum zu erfahren, dass beides zusammengehört.«

Und als ich ihn frage, was heute mit 80 Jahren für ihn das Wichtigste im Leben sei, klingt seine Antwort neugierig und weise zugleich. Und wie ein eindringlicher Ausdruck dessen, was man im Zen Anfängergeist nennt: »Das Wichtigste ist, ohne falsche Hemmungen und dankbar das Leben zu genießen, weil es ein Geschenk und begrenzt ist. Ich frage mich jeden Tag aufs Neue: Wie schmeckt das Leben?«

Author:
Mike Kauschke
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