Brückenbauer

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August 1, 2014

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Ausgabe 03 / 2014
|
August 2014
Maschinen meditieren nicht
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Aus den Gegensätzen zur Integration


Zwischen den Religionen und nationalen Identitäten, als Homosexueller, Jurist, Journalist, Pilot, Hochseesegler, Finanzberater, spiritueller Sucher, Change-Manager – Ralph Remo Faes lebt zwischen den Welten und für die Momente, in denen es möglich wird, sie zu verbinden.

Ich habe mein Leben eigentlich ständig zwischen den Welten gelebt. Vielleicht ist das der Grund, dass ich immer wieder versucht habe, unterschiedliche Sichtweisen in eine fruchtbare Kommunikation und Integration zu bringen, und zwar seit meiner Kindheit.
Mein Vater war protestantisch und meine Mutter katholisch. Beide waren nicht besonders religiös, aber die Familien, aus denen sie kamen, waren es umso mehr. Als protestantischer Junge verbrachte ich viel Zeit bei meinen katholischen Großeltern im Tessin, dem italienischsprachigen Süden der Schweiz. Meine Großmutter nahm mich damals – es waren die 50er Jahre – als kleinen Jungen fast jeden Tag mit in die Kirche, um dort den Rosenkranz zu beten. Dieses tägliche Ritual hat mein Leben bis heute mitgeprägt. In einem gewissen Sinne war das auch meine erste spirituelle Erfahrung. Nie werde ich dieses Mantra-hafte Gebet vergessen. Damals, in dieser Kirche im Tessin, habe ich wahrscheinlich zum ersten Mal tiefe Stille erlebt.

1952: Erster Schultag.


Dann gab es aber noch meine Tante in Genf, der Stadt des Calvinismus. Und damals – ich besuchte meine Tante sehr oft – lebten wir in Genf in einem zutiefst calvinistisches Umfeld. Was mich in dieser ganz anderen Welt faszinierte, war die fundamentale Strenge der Genfer Calvinisten. Das christliche Gebot, „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – auch kein geistiges Bild – wurde von ihnen sehr ernst genommen. Das war so anders als im farbig-katholischen Tessin und für einen kleinen Jungen ein ganz seltsamer Gegensatz.
In diesen ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg lebte ich als dreisprachiger Junge in der Schweiz und der Hass auf die Deutschen war damals vor allem in den romanischen Teilen des Landes enorm. Da gab es immer wieder Anfeindungen. Da ich mich neben der italienschein und französischen aber auch als Teil der deutschen Kultur verstand, kam es zwangsläufig zu Konflikten. Das geschah auch auf religiöser Ebene, da mich meine Freundschaft mit dem Imam der damaligen Zürcher Moschee auch hier vor neue Aufgaben stellte.
Schon früh konnte ich deshalb beobachten, wie sehr wir davon geprägt sind, in welcher Kultur, Nation, Religion wir aufwachsen und leben. Es ist dieses Festhalten an einer bestimmten Sicht der Dinge, das mich schon früh erstaunt hat. Es hat mich aber auch in viele innere Konflikte gebracht. Immer hatte mich die eine Seite vor der je anderen gewarnt. Immer waren die anderen die Schlechten. Es waren wahrscheinlich diese Konflikte, die mich später dazu brachten, neben Jura auch Philosophie und Psychologie zu studieren. Es war so etwas wie eine Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Harmonie.
Mein Gerechtigkeitssinn wurde aber auch durch meine Erfahrungen als Homosexueller gestärkt. In den 60er Jahren sah man Homosexualität ja noch als Krankheit. So hatte man damals eigentlich nur die Wahl, ein Doppelleben zu führen. Ich sah immer wieder Freunde, die ihre Arbeit verloren oder Probleme mit ihrer Familie bekamen. Zum Glück traf ich vor 45 Jahren meinen Lebenspartner, mit dem ich noch heute zusammen lebe.

1977: In Südindien und Sri Lanka.


Nach meinem Studium absolvierte ich bei der damaligen Swissair eine Ausbildung zum Berufspiloten und war danach oft in Südindien und in Sri Lanka, wo ich bei privaten Fluglinien kleinere Charterflugzeuge flog. In dieser Zeit besuchte ich auch Auroville und lernte von Satprem, einem französischen Schüler von Sri Aurobindo und der Mutter, zum ersten Mal etwas über den Integralen Yoga. Vor allem die Konsequenz, mit der die Mutter verlangte, dass wir uns als Menschen bis hinunter auf die Ebene der Zellen transformieren müssten, hat mich damals tief angesprochen. Diese Erfahrung war ein Wendepunkt in meinem Leben, und so gelangte ich dank Sufismus, Hermetik und Taoismus zum Mystizismus und über Satprem zu einer integralen Sichtweise. Die Begegnung mit Satprem wurde zu einem tiefen Einschnitt. Mir wurde klar, dass sich jede spirituelle Erfahrung an ihrem Ausdruck in der Welt messen lassen muss.

Jede spirituelle Erfahrung muss sich an ihrem Ausdruck in der Welt messen lassen.


Ich sollte in meinem Leben noch vielen spirituellen Weisen und Lehrern begegnen, die für mich große Bedeutung hatten – Schamanen, Alchemisten, Mystikern (von Tao bis Zen). In den letzten Jahrzehnten wirkten Kontakte mit Ken Wilber, Monika Sharma, Erwin Laszlo und vielen anderen katalytisch auf mein Sein und Wirken. Ganz besonders stark haben dann Begegnungen mit Andrew Cohen, Tom Steininger und Annette Kaiser meinem Leben eine neue Wende gegeben. Doch letztlich waren es immer wieder nur die Wendepunkte in mir selbst, die mich zu einer weiteren Integration und Verbindung mit der Wirklichkeit führten und die sich auf diese Weise, wenn auch mit Hilfe von „Außen“,  in meinem Wesen und Herzen Schritt für Schritt vollzogen haben und vollziehen.
Während solche tieferen Erlebnisse für mich anfangs doch eher eine Privatsache waren, veränderte sich durch diese Begegnungen und Wendepunkte aber auch immer mehr meine berufliche Orientierung.  Es wurde mir ein Bedürfnis, die Weisheit und Verbundenheit, die ich auf meinem spirituellen Weg erfuhr, in die Welt zu bringen – und das hieß für mich nicht bloß in meinem privaten und sozialen Umfeld, sondern auch und besonders ins Wirtschaftsleben hinein.
Seither fand ich in der Beratung von Unternehmen und im Change-Management den Raum, um das Leitmotiv meines Lebens zu verfolgen: verschiedene, scheinbar gegenteilige Sichtweisen in eine kreative Integration zu bringen. Ich arbeitete viele Jahre für die Swiss Re oder Unternehmen wie Swarovski, leitete einen Wirtschaftsverband und war an einer Wirtschaftsschule als Lehrer tätig, wobei ich bei Führungskräften und Teams das Verständnis dafür förderte, dass Konkurrenz nicht Selbstzweck sein dürfe, sondern letztlich dem übergeordneten Wert der Kooperation verpflichtet sein sollte. Solche Versuche sind auch oft gescheitert. Das waren und sind Erfahrungen, die mich immer wieder an meiner eigenen Fähigkeit zweifeln ließen, die Tiefe, die ich erlebt habe, ins Leben und gerade in einen so ego-orientierten Bereich wie der Wirtschaft zu bringen – wobei wir ja alle Teil dieser Wirtschaft sind. Aber immer, wenn ich dann einen Schritt zurücktrete und in der Stille die große Freiheit erlebe, die wir sind, und mich als Ausdruck des kreativen Prozesses des Lebens verstehe, erkenne ich auch diesen roten Faden in meinem Leben, der darin besteht, Brückenbauer und Geburtshelfer zu sein.
Es ist immer ein Wunder, wenn aus der Integration scheinbar unvereinbarer Haltungen etwas kreativ Neues entsteht. Und an diesem Wunder bewusst mitzuwirken, als Aspekt eines sich seiner selbst bewusst werdenden kosmischen Bewusstseins, ist trotz aller damit verbundenen Geburtswehen das Schönste, was uns zuteil werden kann.

1989: Als Buschpilot in Sri Lanka.

Author:
Ralph Remo Faes
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