Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
January 21, 2016
Eine Besprechung des Buches »Erleuchtung, Evolution, Ethik« von David R. Loy
David R. Loy, Professor für buddhistische und vergleichende Philosophie und Zen-Lehrer der japanischen Sanbo Kyodan Schule, packt mit seinem Buch »Erleuchtung, Evolution, Ethik« den Ochsen auf dem Marktplatz bei den Hörnern und geht der Frage nach, wie der traditionelle Buddhismus sich in der Berührung mit der säkularen Moderne zeitgemäß neu verstehen kann, ohne dabei die Kraft und Klarheit seiner Überlieferungen preiszugeben. Wie er den Herausforderungen der Gegenwart gerecht werden kann, ohne sich dabei in funktionalistische Ansprüche, die gerade westliche Praktizierende bisweilen unbewusst mitbringen, zu verstricken. Im Zentrum von Loys Überlegungen stehen dabei die jüngeren Erkenntnisse der Evolutionsforschung, die er als Raum nutzt, in dem sich östliches Erleuchtungsstreben und westlicher Gestaltungsanspruch auf neue Weise begegnen können.
In seinen Betrachtungen aktueller ökonomischer und ökologischer Herausforderungen bringt David Loy behutsam die buddhistische Tradition mit Erkenntnissen evolutionärer Vordenker wie Duane Elgin, Stuart Kauffman, Elisabet Sahtouris oder Sri Aurobindo in Kontakt und initiiert eine zarte Berührung beider Perspektiven. Dabei geht es Loy nicht darum, östliche Spiritualität durch die Evolutionsforschung neu zu interpretieren. Vielmehr fragt er aufrichtig, ob die heute beinahe zeitlos wirkende Weisheit des Buddhismus sich im Angesicht des evolutionären Denkens, das in der Entwicklung des Lebens eine Richtung und eine Zunahme an Komplexität erkennt, selbst neu verstehen kann.
¬ LOY DEUTET LEERHEIT IM EVOLUTIONÄREN SINNE ALS »UNBEGRENZTE POTENZIALITÄT«. ¬
Wie kaum einer anderen spirituellen Strömung ist es dem Buddhismus gelungen, die rege Geistestätigkeit des menschlichen Daseins zu entschlüsseln und Perspektiven zu entwickeln, wie sich das aus Illusionen des Denkens selbstgeschaffene Leiden überwinden lässt. Eine Perspektive, die für westliche Praktizierende immer anziehender wird. Der buddhistische Begriff Shunyata, gemeinhin mit Leerheit übersetzt, steht für Loy für den steten Wandel aller Existenz – im Herz-Sutra verdichtet zur Formel »Form ist Leerheit – Leerheit ist Form«. Loy deutet Shunyata in der Dynamik, die zwischen der mystischen Stille und der materiellen Welt, die zu immer neuen Ausdrucksformen findet, entstehen kann, im evolutionären Sinne als »unbegrenzte Potenzialität«. Damit bringt er das kreative Entfaltungsmoment zeitgenössischer Evolutionstheorien ins Spiel. Indem er geistige Prozesse und menschliches Handeln als »Ausdruck eines unermesslich weiten Netzes wechselseitig aufeinander einwirkender Prozesse« begreift, versucht er, die buddhistische Erkenntnis der Unbeständigkeit aller Formen mit dem Aktivitätsdrang des westlichen Individualismus in eine neue Möglichkeit des Miteinanders zu bringen. Der Erkenntnisgewinn für den westlichen Individualismus liegt in Loys Augen darin, dass das getrennte Ich zu erkennen vermag, dass es das Netz dieser Prozesse ist, anstatt etwas zu gestalten. Es erfährt sich dann als die Entwicklungsdynamik selbst, als Kraft, die eine Richtung hat und stets in einer größeren Verbundenheit steht.
Am Beispiel des Bodhisattva-Gelübdes illustriert Loy, wie durch die evolutionäre Dimension die buddhistische Leerheit im menschlichen Ausdruck zu immer weiterer Vollkommenheit streben kann. Er beschreibt, wie sich Bewusstsein aus seinem »Eingebettetsein« in den Kosmos emanzipiert und sich der Radius der Bewusstheit über die Jahrhunderte immer weiter ausgedehnt hat. Nicht zu ruhen, bis alle Lebewesen erleuchtet sind (das klassische Gelübde), bedeutet für Loy, unter diesen evolutionären Vorzeichen immer wieder zu fragen: »Was kann ich zu einer Situation beitragen, damit sie besser wird?« Buddhistische Praxis wird dann zur Übung, dem kosmischen Werdensprozess zur Verfügung zu stehen und sich dabei immer bewusster als dieser zu erfahren und auszudrücken – ein qualitatives Moment der Entfaltung, das die Tradition des Buddhismus auf die konkreten Herausforderungen der Gegenwart bezieht, ohne sie durch einen konkreten Aktionismus zu vereinnahmen.
Das Buch ist ein gelungener Anfang, den Buddhismus mit der evolutionären Bewusstseinsforschung in einen Dialog zu bringen, denn es schafft einen neuen Verstehensraum für spirituelle Praxis unter den Vorzeichen der Zeit.