Da sein für das, was werden will

Our Emotional Participation in the World
English Translation
0:00
0:00
Audio Test:
Interview
Publiziert am:

November 6, 2020

Mit:
Thomas Hübl
Kategorien von Anfragen:
Tags
AUSGABE:
Ausgabe 28 / 2020:
|
November 2020
Der Sinn des Lebens
Diese Ausgabe erkunden

Bitte werden Sie Mitglied, um Zugang zu den Artikeln des evolve Magazins zu erhalten.

Vom Aktivisten zum Gestalter der Transformation

Robin Alfred lebt seit vielen Jahren in dem Ökodorf Findhorn in Schottland. Was er dort über die Kraft des Zuhörens und die Offenheit für eine umfassendere Intelligenz lernte, wendet er heute als Berater in gemeinschaftlichen Feldern für Organisationen an und findet darin zudem Impulse für einen neuen Aktivismus.

evolve: Wie würdest du dein Wirken beschreiben? Worin liegt deine Kernintention?

Robin Alfred: Vor zwei oder drei Jahren hätte ich den Zweck meiner Arbeit damit erklärt, dass ich Menschen helfen möchte, ihr Potenzial zu leben. Heute würde ich mich eher als jemanden beschreiben, der eine Transformation in gemeinschaftlichen Feldern unterstützt. Mich interessiert das Beziehungsfeld, in welches das System eingebettet ist, denn dieses Feld besitzt eine Intelligenz. Wenn wir Zugang zu dieser subtilen Intelligenz finden, kann uns das Einsichten eröffnen und Veränderungen im System erleichtern, zu denen wir sonst keinen Zugang haben – Veränderungen im System und in den Individuen, welche Teil des Feldes sind. Somit würde ich mich als Moderator transformativer Felder bezeichnen.

Vor Kurzem arbeitete ich mit einer Organisation zusammen, um sie bei ihrem Restrukturierungsprozess zu unterstützen. Gegen Ende des dreitägigen Meetings hatten wir viele Ideen und Flipcharts, nichts jedoch wollte richtig zusammenfinden. Ich hatte keine weiteren Ideen beizutragen und spürte, dass ich als Moderator ihres Prozesses gerade nichts Besseres tun konnte, als mich mit so viel Präsenz und Herzoffenheit, wie mir möglich war, sowie mit einer klaren Intention in den Raum zu setzen. Meiner Erfahrung nach katalysiert eine klare Intention das Feld. Die Gruppen, die an verschiedenen Themen arbeiteten, kamen zwei Stunden später wieder und erzählten mir, dass sich alles wie durch Magie ergeben hätte und sie nun ein stimmiges Ganzes erkennen könnten. Vielleicht haben mein Raumhalten und meine Hilfe, ein energetisches Feld mit einer klaren Intention zu kreieren, zu diesem Gelingen beigetragen und geholfen, ein selbstorganisierendes Prinzip sowie die emergierende Bestimmung der Organisation zu aktivieren.

e: Was meinst du mit einer emergierenden Bestimmung?

RA: Lass mich dir mit einem Beispiel antworten. Vor etwa sechs Jahren veranstalteten wir eine gut durchstrukturierte Konferenz in Findhorn, genannt »New Story Summit«. Ich war Co-Moderator dieses siebentägigen Events und für den Mittwochmorgen hatten wir einen »Open Space« angesetzt. Die Tafel war voll von Post-its mit Zeiten und Orten zu Treffen mit unterschiedlichsten Themen. Nun hatten sich jedoch während Dienstagnacht ein paar Menschen in das Auditorium geschlichen und all die Post-its durch die Aussage »Wir wissen nicht« ersetzt. Sie forderten die Annahme heraus, dass wir wissen könnten, wie die neue Geschichte der Menschheit lauten müsse. Als ich morgens eintrat und es bemerkte, fühlte ich mich merkwürdig ruhig. Dieses »Wir wissen nicht« war eine Stimme aus dem Feld, die hier gehört werden wollte. Ich war nicht beunruhigt, als die vierhundert Teilnehmer eintrafen und verschiedenste Reaktionen von Wut bis Übereinstimmung ausgedrückt wurden. Ich war neugierig. Was wollte uns diese Stimme mitteilen? Ich versuchte, es nicht zu fixieren, sondern weit und präsent zu sein. Nahezu von Moment zu Moment kam jeweils der nächste Schritt wie selbstverständlich auf mich zu. Wir erlebten Chaos, in dem unterschiedliche Reaktionen geäußert wurden, es gab Stille und einige strukturierte Dialoge. Gegen Ende des Vormittages hatten wir ein neues Programm für den Nachmittag kreiert.

Sobald wir weder Struktur noch einen Plan haben, auf den wir zurückgreifen können, bleibt uns nur noch, in der Präsenz der Emergenz zu sein. Während der Konferenz konnten wir spüren, wie sich die Intelligenz des Feldes durch uns manifestierte.

e: Du hast lange Zeit in Findhorn gelebt. Kannst du etwas mehr darüber erzählen, was du dort gelernt hast?

RA: Ich war als Sozialarbeiter im Strafvollzug im Londoner East End tätig, bevor ich vor 29 Jahren nach Findhorn kam. In dieser Zeit hatte ich, während ich in einer Gesprächsrunde saß, eine Art Erleuchtung; plötzlich empfand ich für jeden in dieser Runde Liebe, unabhängig von dessen Persönlichkeit, dessen Rolle oder seiner politischen Einstellung. Ich wusste, dass ich an einem Ort und auf eine Art leben wollte, wo ich diese Erfahrung fortsetzen konnte.

ALS FACILITATOR HAT MAN VERLOREN, WENN MAN AUCH NUR EINE MINUTE DARAN DENKT, WAS MAN ALS NÄCHSTES TUN WIRD.

Vier Jahre später kam ich dann hierher, um hier dauerhaft zu leben, und die ersten sieben Jahre lernte ich viel über ein bewussteres Leben, während ich daran arbeitete, die

drei Hauptprinzipien von Findhorn zu verinnerlichen: »Arbeit ist Liebe in Aktion«, »Inneres Zuhören« und »Zusammenarbeit mit der Intelligenz der Natur«. Heute lebe ich mehr außerhalb der Gemeinschaft, bin aber immer noch nahe dran. Das Wichtigste, was ich lernte und was ich immer noch in meine Arbeit einbeziehe, ist das tiefe Zuhören, die Praxis der Dankbarkeit und die Öffnung für etwas, das größer ist als ich selbst.

Daran orientiere ich mich auch in meiner Arbeit als Facilitator. Mein Lehrer Thomas Hübl sagte einmal, dass man als Facilitator verloren hat, wenn man auch nur eine Minute daran denkt, was man als nächstes tun wird. Denn dann ist man nicht mehr offen für das, was auftauchen möchte. Wenn ich also heute eine Gruppe moderiere,habe ich eine Absicht und immer weniger einen vorbereiteten Plan. Denn erst wenn wir uns getroffen, aufeinander eingestellt und einander genau zugehört haben, wissen wir, was jetzt gebraucht wird. Ich fühle mich viel wacher und kreativer, wenn ich das, was sich entfalten möchte, in den Raum einlade.

e: Du setzt diese tiefere Präsenz und das Zuhören auch für eine neue Sicht auf den Aktivismus ein. Wie zeigt sich dies in deiner Arbeit für dich?

RA: Bevor ich nach Findhorn kam, war ich meist in viele soziale und ökologische Kampagnen involviert. Das war eine Reaktion auf die Dinge, von denen ich spürte, dass sie in unserer Gesellschaft falsch laufen. Viele Formen des Aktivismus bewegen positive Absichten, sie bleiben aber reaktiv. Es gibt aber auch eine andere Art von Aktivismus, in dem wir anerkennen, was da ist, um dann zuzuhören und herauszufinden, was der nächste evolutionäre Schritt ist, zu dem wir aufgerufen werden. Deshalb habe ich ein Fünf-Schritte-Programm für einen neuen Aktivismus konzipiert. Der erste Schritt ist: Die Vergangenheit anerkennen, d. h. wir sehen uns als das Ergebnis einer viele Milliarden Jahre andauernden Evolution; wir bedenken, dass dieses Leben hier und heute eine außerordentliche Schöpfung ist, die zu diesem Wesen führte, das ich bin. Als Zweites betone ich die radikale Präsenz: Kann ich das Leiden in der Welt im Herzen halten? Kann ich es fühlen, ohne mich selbst zu betäuben oder zu dissoziieren oder davon überwältigt zu werden? Kann ich mich dann, als einen dritten Schritt, verbeugen, Demut empfinden und etwas Größeres als mich selbst akzeptieren und in das Zentrum meines Lebens stellen? Dann spreche ich über den Schritt der Stille und des Zuhörens, die wir bereits erwähnt haben. Der fünfte Schritt besteht darin, ins Handeln zu kommen und dabei mit einem ersten Schritt zu beginnen, aus dem sich der nächste Schritt von allein zeigen kann. Und wenn wir zurückblicken, können wir sehen, dass es ein Weg war. Das trifft auch auf mein Leben und meine Arbeit zu: Der Weg nach vorne wird durch jeden Schritt geformt, der aus einem tieferen Zuhören für das, was ist und auftauchen möchte, entsteht.

Author:
Robin Alfred
Teile diesen Artikel: