Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 18, 2019
Wir alle gehen ganz selbstverständlich mit Geld um. Dabei sind wir uns über die tieferen kulturellen, geschichtlichen und tiefenpsychologischen Dynamiken, die in ihm wirken, oft wenig im Klaren. Die Kulturhistorikerin Christina von Braun versucht, diese unbewussten Wirkkräfte zu entschlüsseln, die das Geld und unseren Umgang damit antreiben. Wir sprachen mit ihr über den menschlichen Preis des Geldes.
evolve: Als Kulturhistorikerin haben Sie einen ungewöhnlichen Zugang zum Thema Geld. Wie würden Sie diesen Zugang beschreiben?
Christina von Braun: Ich versuche jene Prozesse und Strömungen zu entziffern, die man als das kollektive Unbewusste umschreiben könnte. Sie bestimmen unsere Geschicke mindestens ebenso wie die rationale Geschichte mit ihren politischen Erwägungen oder ihrem ökonomischen Kalkül. Ich meine damit etwa religiöse Lehren, Geschlechterbilder – etwa das Männlichkeitsgehabe, dessen Wirkmacht wir im Moment so schön an einigen unserer World Leaders beobachten können – aber auch das Geschehen an der Börse, das oft sehr wenig mit Rationalität zu tun hat.
e: »Wir alle zahlen den Preis des Geldes«, eine Formulierung, die Sie einmal verwendet haben, ist wahrscheinlich auch in diesem kulturgeschichtlichen Kontext zu verstehen?
CvB: Ja, mit diesem »Preis des Geldes« ist der Tribut gemeint, den wir für das Funktionieren des Geldes zahlen müssen. Er besteht unter anderem im Regelwerk, das es uns aufzwingt. Die Menschen haben gern die Ansicht, dass das Geld uns Dienste leistet: als Tauschmittel, als Wertaufbewahrungsmittel, als Messlatte für unterschiedliche Werte usw. In Wirklichkeit formatiert Geld uns, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Das Geld spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Gemeinschaften. Es formt die Gesellschaft, nicht andersherum.
Denn Geld ist ein Schriftsystem und hat sich auch immer parallel zur Schrift entwickelt – bis zu seiner aktuellen digitalen Form. Die verschriftete Sprache hat nicht nur das Sprechen, sondern auch die Art der Gemeinschaftsbildung, die Idee von Unsterblichkeit, das religiöse Denken verändert. Ein geschriebenes Wort überlebt, auch wenn der, der es niedergelegt hat, schon längst begraben ist. Ähnlich ist auch das Geld an religiöse Denkformen gebunden. Beim Geld geht es um eine Glaubensfrage: Wenn niemand an eine bestimme Währung glaubt, verliert das Geld sofort seinen Wert. Im Laufe der Geschichte hat das Geld zudem eine immer größere Zeichenhaftigkeit entwickelt – deshalb stellte sich immer nachdrücklicher die Frage nach seiner Beglaubigung. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten. Das eine sind materielle Werte – das Wort »pekuniär« kommt von pecus, Vieh, die älteste Währung. Gold ist schon eher symbolischer Art. All das funktioniert schon lange nicht mehr. Die zweite Möglichkeit ist die Beglaubigung durch den Souverän – der hat allerdings oft betrogen. Die dritte Art der Beglaubigung kommt aus dem sakralen Opferkult. »Gelt« bedeutet ursprünglich Götteropfer.
GELD FORMATIERT UNS, SOWOHL INDIVIDUELL ALS AUCH GESELLSCHAFTLICH.
Die Griechen verwendeten Spieße für die großen sakralen Opferriten, zu denen insbesondere das Stieropfer gehörte. Bruchstücke dieser Spieße begannen als Wertobjekte zu zirkulieren, sie bezogen ihren Wert ausschließlich aus ihrer sakralen Funktion als Opferinstrumente. Aus den Metallstücken wurden Münzen. Man prägte ihnen ein Zeichen auf, das an das Opfer erinnerte: Stierhörner zum Beispiel. Ein Opfer an eine Gottheit hat aber nur dann einen Wert, wenn der Mensch selbst im Opfer enthalten ist. Insofern ist der geopferte Stier nur Stellvertreter für den Menschen. Es war also das Menschenleben, das das Geld beglaubigte. Das erwies sich als die nachhaltigste Form der Beglaubigung, und sie hat sich bis heute erhalten. Unsere großen Banken ahmen die Architektur der antiken Tempel nach, in denen die sakralen Opferriten stattfanden. Auch der Stier an der Börse erinnert an den Opferzusammenhang. Laut dem Schrifthistoriker Alfred Kallir sind auch die zwei Striche im Dollar, im Pfund und im Euro ein Relikt der Stierhörner. Insofern berufen sich unsere Geldzeichen noch immer auf den sakralen Opferkult.
e: Als Ursprungsgeschichte ist das nachvollziehbar. Aber hat das heute noch eine Bedeutung? Wo zeigt sich heute dieser Opferritus oder dieser Opferhintergrund des Geldes?
CvB: Jede Finanzkrise fordert heute ihre Opfer ein. Nach der Lehman-Pleite haben fünf bis sechs Millionen Menschen alleine in den USA ihren Job und ihre Behausung verloren, sie sind aus der sozialen Existenz herausgefallen, haben einen symbolischen, manchmal auch einen realen Tod erlitten. Jedes Mal, wenn das Geld offenlegt, dass es nur ein Zeichen und ohne Deckung ist, gibt es eine Krise des Glaubens ans Geld. Dann kommt es wieder zum »Menschenopfer«. Menschen müssen dran glauben, damit die anderen wieder ans Geld glauben können. Natürlich trifft es immer die Schwächsten.
e: Sie haben vorhin gesagt: »Das Geld formatiert uns.« Wie werden wir durch Geld formatiert?
CvB: Wir sind als soziale Wesen auf Kommunikation angewiesen. Ein Teil dieser Kommunikationsform ist das Geld. Gesellschaften werden davon zusammengehalten, dass ich etwas schenke und der andere mir etwas anderes schenkt oder die Gabe weitergibt. Es ist dieses zirkulierende Band der Gabe, das den Gemeinschaftszusammenhalt stiftet und Konflikte verhindert. Jeder, der gibt, muss auch etwas zurückerhalten. Dadurch entsteht ein Band der Gegenseitigkeit. Auch im 21. Jahrhundert sehen wir, wie das zirkulierende Geld Gemeinschaften herstellt oder auch Menschen aus der Gemeinschaft herausfallen lässt.
JEDE FINANZKRISE FORDERT HEUTE IHRE OPFER EIN.
e: Sie sprechen auch von der Abstraktionskraft des Geldes. Heute haben wir es ja vor allem mit einer virtuellen Form von Geld zu tun. Es hat keine materielle Entsprechung mehr. Lösen sich hier unsere Vorstellungen davon, worauf Geld basiert, auf?
CvB: Der größte Anteil an Geld heute ist Kreditgeld. Es geht um ein Geld, das keinem bestehenden Wert entspricht, sondern die Hoffnung auf etwas, das entstehen soll, bietet. Eben das macht Geld so unberechenbar. Bei jeder Finanzkrise kann man sehen, wie wenig irgendjemand damit gerechnet hat und wie alle an die grenzlose Vermehrbarkeit des Geldes glaubten. Das Geld ist ein Faktor, der uns in permanente Unsicherheit versetzt.
Auf der anderen Seite gehen wir alle wie selbstverständlich mit Geld um. Selbst die Menschen, die sagen, sie wollen überhaupt nichts mit der Geldzirkulation zu tun haben, leben vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die vom Geld abhängt. Ich denke z.B. an die Menschen, die aus Prinzip – ich spreche nicht von den Bedürftigen – nur das konsumieren wollen, was in den Supermärkten übrigbleibt, die kein Geld in die Hand nehmen und versuchen,vom Überfluss der anderen zu leben. Das funktioniert nur in der Überflussgesellschaft, einer Gesellschaft, die auf Geld basiert. Das heißt, selbst wenn wir glauben, dass wir uns aus dem Kreislauf des Geldes heraushalten können, holt es uns ein. Das gilt auch für die Parallelwährungen, wie sie einige Gemeinden eingeführt haben. Sie funktionieren nur in kleinen überschaubaren Gemeinschaften, wo jeder jeden kennt. Aber für alles, was über diese Gemeinschaft hinausgeht – Transport, Kommunikationsmittel oder Industrieprodukte – sind auch sie auf das »große« Geld angewiesen.
Wir können uns gar nicht mehr vorstellen, wie eine Gesellschaft ohne Geld aussieht. Das ist eigentlich das Interessante am Geld, dass es uns vorantreibt und agieren lässt und zugleich in der Illusion wiegt, wir seien die Akteure. Viele der Spekulanten, die zur Lehman-Pleite beitrugen, haben später beschrieben, dass sie gar nicht anders konnten. Sie waren sich und ihren Kollegen gegenüber unter Druck, die Gewinne zu erhöhen – niemand konnte die Maschinerie aufhalten. Diese Eigendynamik des Geldes müssen wir uns bewusst machen.
e: Diese Dynamik des Geldes führt in der Spekulationswirtschaft auch zu einem Realitätsverlust.
CvB: Uns geht der Sinn dafür verloren, dass wir alle sterblich sind, dass wir alle essen müssen und ein Dach über dem Kopf brauchen. Wenn ich am Computer sitze und mir die Zahlen der Börse anschaue, dann vergesse ich, dass es das Wetter gibt, was Kriege und Konflikte bedeuten, dass Menschen an meinen Spekulationen zugrunde gehen können. In der virtuellen Welt können diese Realitäten leicht ausgeblendet werden. Schon das Papiergeld stützte die Phantasie, das Geld ließe sich spielend – im Drucker – vermehren. Das digitale, virtuelle Geld hat diesen Eindruck noch einmal verstärkt.
e: Um noch einmal auf die Opferkulte zurückzukommen. Hat das Geld sie ersetzt?
CvB: Die Opferkulte sind in dem Maße zurückgegangen, in dem sich die Geldwirtschaft etablierte. Das Geld verlangt zu seiner Deckung nach dem sakralen Opfer, aber das Opfer selbst nahm zunehmend symbolische, körperlose Form an. Und dieser Prozess bezog auch den männlichen Körper ein, den die Kultur zum Akteur der Geldwirtschaft bestimmt hatte. Ihm war generell die Rolle zugewiesen worden, Kultur und Geist zu symbolisieren – wie man unter anderem am jahrhundertelangen Ausschluss von Frauen aus Bildung und geistlichem Amt erkennen kann. So durchlief der männliche Körper, wie das Geld, einen Prozess der Entkörperung. Das Geld domestiziert den Menschen – und am männlichen Körper ist dies besonders deutlich zu beobachten.
Zwar wuchs die männliche Macht, doch der männliche Körper ist nur scheinbar der Akteur. Das Geld hat seine Eigendynamik, das Geld hat ein Ich. Zu glauben, dass wir als Menschen dieses Ich in den Griff bekommen, ist eine Illusion. Der Anthropologe Karl Polanyi hat in seinem großartigen Buch »The Great Transformation« die Auswirkungen des Industrialisierungsprozesses beschrieben. Am Anfang, so sagt er, war die Ökonomie ein Anhängsel der Gesellschaft – am Ende war die Gesellschaft ein Anhängsel der Ökonomie. Wieso, so kann man sich fragen, ist die Gesellschaft damit so einverstanden? Vermutlich hat sie gar keine andere Wahl – oder könnte die Dinge nur zum Preis hoher Gewalt verändern.
DAS GELD IST EIN FAKTOR, DER UNS IN PERMANENTE UNSICHERHEIT VERSETZT.
Aber man kann sich auch fragen: Warum zahlen wir denen, die an der Börse und im Finanzwesen aktiv sind, so enorm hohe Gehälter und Boni? Ich glaube, das erklärt sich aus dem religiösen Hintergrund des Geldes. Der Mensch bringt der Gottheit ein Opfer, weil er ihr etwas schuldet. Aus diesem Schuldkontext entstanden Opfer und das Geld, das aus diesem Opfer seine Beglaubigung zieht. Die christliche Religion, in der Opfer und Glauben eine so zentrale Rolle spielen, übernahm dieses Prinzip. Aber sie ergänzte es durch einen Zusatz, der für die Geldwirtschaft entscheidend werden sollte. Das Christentum ist die einzige Religion der Welt, in der nicht der Mensch einer Gottheit opfert, sondern Gott seinen Sohn, das heißt, sich selbst den Menschen opfert. Damit gerät der Mensch in eine Schuld, die überhaupt nicht einzulösen ist. Wie soll ich einem Gott, der sich selbst geopfert hat, eine entsprechende Gabe zurückgeben? Es entstand eine Schuld, aus der der gläubige Christ nicht herauskommt.
Meiner Ansicht nach ist das einer der Gründe, weshalb der Kapitalismus im christlichen Kulturraum entstand und mit dem Finanzkapitalismus eine solche Eigendynamik entwickelte. Hinter den hohen Boni-Zahlungen und der guten Bezahlung der Finanzwirtschaft scheint das Phantasma zu stehen, dass man diese Leute unterstützen muss, weil sie vielleicht irgendwann genügend Geld produzieren, dass wir Gott endlich auszahlen und uns aller Schuld entledigen können.
e: Ist das eine ausweglose Geschichte? Oder kann sich daraus neue Geschichte entwickelt? Gibt es Alternativen?
CvB: Es gibt einige, die sagen: Lasst uns die Ökonomie der hebräischen Bibel betrachten. Da gibt es einige Gesetze, über die man nachdenken könnte, etwa dass der Sklave, der Leibeigene, der Schuldner, nach sieben Jahren aus der Schuld entlassen werden muss. Die Thora sieht diese Art von Sabbatical vor, und einige fragen sich, ob sich solche Prinzipien nicht auch auf die moderne Ökonomie übertragen ließen.
Auch ein Blick in andere Kulturen und deren Geldpolitik kann hilfreich sein. Zwar sind die meisten anderen Kulturen inzwischen von der Geldwirtschaft, wie sie sich in Europa entwickelte, beeinflusst. Doch sie erlauben es, auch in anderen Kategorien zu denken. So kannten die chinesische oder die japanische Kultur zwar sakrale Opferkulte, aber diese dienten nie der Geldbeglaubigung. Insofern gab es dort eine viel pragmatischere Art, mit Geld umzugehen. Solche Überlegungen könnten hilfreich sein, wenn man sich Gedanken darüber macht, wie es anders gehen könnte. Die Frage ist nur, ob die Eigendynamik des Geldes diese Vorstellung überhaupt zulässt. Von den üblichen Business-Schools kann ich mir das kaum vorstellen.