Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 18, 2019
Diese Ausgabe konnten wir mit Fotos von Arbeiten des Künstlers Johannes Volkmann gestalten. Wir sprachen mit ihm über seine Kunst im öffentlichen Raum.
evolve: Wie bist du auf das Projekt »Unbezahlbar« gekommen? Was hat dich dabei bewegt?
Johannes Volkmann: Auslöser war, dass die Bankenkrise zur Finanzkrise und damit zur weltweiten Unsicherheit führte. Ich fragte mich: Was passiert eigentlich, wenn wir dem Geld nicht mehr vertrauen können, auf dem letztendlich alles basiert, weil es unsere Tauschvereinbarung ist? Aus dieser großen Unsicherheit, wie wir unser Geldsystem retten und Schutzschirme bauen können, entstand die Frage, was eigentlich der Schutzschirm ist, den wir jenseits des Geldes für uns selber brauchen. Es war der Wunsch, eine große Diskussion anzustoßen zu der Frage: Was ist eigentlich jenseits des Geldes wertvoll und wichtig? Was ist unbezahlbar? Aus diesem Wunsch ist das Bild des großen Tisches entstanden, der im öffentlichen Raum, auf dem Marktplatz, auf der Agora steht. Um ein Gespräch zu initiieren, wollte ich in einer künstlerischen Verfremdung den Tisch in Papier einpacken und ihn feierlich decken. Für was? – Für das, was auf den Tellern auf den Tisch kommen soll: die Meinungen und Aussagen der Menschen, die diesen Platz überqueren und sich äußern wollen.
e: Wie bist du damit in die Umsetzung gegangen? Und welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
JV: Bei der ersten Aktion bauten wir den Tisch frühmorgens vor Marktbeginn auf dem Hauptmarkt in Nürnberg auf. Der Tisch hatte etwas Unspektakuläres, obwohl er 50 Meter mal 2 Meter groß war. Es gab 300 Teller mit Besteck, die wir alle einzeln einpackten. Die Größe dieses Bildes hatte eine unglaubliche Magnetwirkung. Es gab eine große Beteiligung und ein starkes Begegnungsmoment. Die Äußerungen reichten vom kleinen Kind mit der Aussage »Meine Familie ist unbezahlbar« bis hin zu politisch-ausgerichteten Kommentaren. Besonders schön war – und das hätte ich vorher nicht gedacht –, dass die Neugier so weit ging, dass die Leute mehrmals kamen, weil sie wissen wollten, wie der Tisch sich entwickelt. Nach dieser ersten Aktion ist der Wunsch entstanden, Stereotype über bestimmte Menschen, die sich sehr schnell entwickeln können, zu hinterfragen und den Tisch vier Jahre lang möglichst an ungewöhnliche und reibungsvolle Orte zu bringen wie zum Beispiel Jerusalem oder Ägypten.
ES ENTSTEHT EINE GESELLSCHAFTSINSZENIERUNG, DIE IHRE EIGENE KRAFT UND UNVORHERSEHBARE WIRKUNG HAT.
e: Hat sich der Wunsch – die Frage nach dem, was für uns unbezahlbar ist, in den öffentlichen Raum zu bringen – für dich als Künstler erfüllt?
JV: Auf der einen Seite mehr als gedacht, weil es unglaublich ist, wohin sich ein Gedanke innerhalb von vier Jahren entwickeln kann. In der Frage unserer Weltgestaltung bleibt die Aktion natürlich punktuell. Unsere Welt ist so verfahren und komplex, dass solch ein Tisch, auch wenn man ihn in allen Ländern gleichzeitig 1000fach aufstellen würde, an den Grundstrukturen unserer menschlichen Machtbestrebungen nichts ändert.
Aber es ist immer die Frage, wie hoch Erwartungen sind. Ich setze meine Erwartungen immer ganz oben an, weil mir das die Kraft gibt, die Aktionen überhaupt durchzuführen. In diesen Erwartungen werde ich immer enttäuscht, weil sie unmöglich sind. Aber es entsteht eine Gesellschaftsinszenierung, so nenne ich das mittlerweile, die ihre eigene Kraft und unvorhersehbare Wirkung hat. Vor zwei Wochen habe ich eine Rückmeldung bekommen, dass in Sydney eine Künstlerin dieses Bild aufgegriffen hat und der Tisch in Australien stand. Mittlerweile sind es etwa 20 Personen, die die Idee aufgegriffen haben. Damit leben diese Frage und diese Arbeit weiter.