Eine Besprechung des Buches »Das Glücksdiktat« von Edgar Cabanas & Eva Illouz
Julius Kuhl, vielleicht der bedeutendste deutschsprachige Psychologe der Nachkriegszeit, entwickelte eine der fundiertesten Theorien der Selbstregulation. Sie ist ein bisschen komplexer als die einfachen Modelle der Positiven Psychologie und vielleicht deswegen weniger stark in populärwissenschaftlichen Kreisen bekannt. Julius Kuhl erzählte mir einmal, dass bei einer Gutachtersitzung, bei der es um seinen Forschungsantrag ging, Martin Seligman gesagt habe: »I don’t like theories that have more than three boxes.« Diese Interaktion bringt die Kritik, die Cabanas & Illouz in ihrem Buch an der Positiven Psychologie formulieren, auf einen guten Punkt.
Seligman, der Vater der Positiven Psychologie, ist ein Meister der wissenschaftlichen Vereinfachung. Das macht das Erfolgsrezept der Positiven Psychologie aus. Er schaffte es innerhalb kürzester Zeit, der Psychologie ein neues Narrativ zu unterlegen, ja vielleicht sogar eine paradigmatische Trendwende einzuleiten, und das mit »three boxes«, wie zum Beispiel: Glück führt zu Motivation und Zufriedenheit, und das wiederum führt zu besserer psychischer Gesundheit. Man unterlege das Narrativ mit einer Menge von datenschweren, aber relativ nichtssagenden Korrelationsstudien, die idealerweise mit Modellen arbeiten, die mehrere Variable berücksichtigen, und fertig ist die wissenschaftliche Basis. Auf diese Art und Weise haben Seligman und seine Jünger das erreicht, worum die Humanistische oder die Transpersonale Psychologie über Dekaden erfolglos gekämpft haben, nämlich akademische Anerkennung und vor allem breites Echo in der Welt der psychologisch interessierten Laien, der Selbsthilfe- und der therapeutischen Kultur.
Die Analyse von Cabanas & Illouz ist scharfsinnig: Die Positive Psychologie stellte die Maslowsche Bedürfnispyramide auf den Kopf. Glück, Wohlbefinden und Sinnerfüllung sind nicht das Luxusgut derer, die alle anderen Bedürfnisse befriedigt haben. Nein, sie sind die Basis für alles andere. Diese neue Theorie, im Verein mit großzügigen Geldmitteln, zumeist aus den Fördertöpfen privater Stiftungen wie der Templeton Foundation, aber auch mit Venture Capital von Unternehmern, schaffte den Durchbruch. Denn dadurch konnte eine einmalige Verbindung entstehen, so würden es Cabanas & Illouz analysieren, oder vielleicht auch eine »Win-Win-Situation« in den Augen der Positiven Psychologen: die Verbindung von wissenschaftlicher Psychologie und neoliberalen Wirtschaftsideen.
Klarsichtig und sehr gut informiert analysieren die Autoren die Verbindung von Kapital und Ideologie, die zur willfährigen Kooperation der Abermillionen junger Millennials mit den Zielen des Kapitals führt: der Selbstoptimierung, der Maximierung der eigenen betrieblichen Verfügbarkeit, der Verwischung von Privatem und Betrieblichem und Öffentlichem. Und weil diese Positive Psychologie zu einer ideologisch-narrativen Unterstützung der post-modernen Ausbeutungsmaschinerie und Wertschöpfungskette der neuen Datenhaie führt, ist der Sog und die gegenseitige Stützung so stark. Die Happiness-Apps, die Positive Psychologen entwickeln, generieren nicht nur die Millionen Datensätze, mit denen sie wiederum ihre Forschungsideen umsetzen, sondern auch die Milliarden Umsätze, mit denen die entsprechenden Unternehmen reich werden.
WAHRSCHEINLICH WIRD ERST EINE KOMPLETT NEUE SICHT AUF DEN MENSCHEN UNSER WIRTSCHAFTSMODELL UND DIE PSYCHOLOGIE REVOLUTIONIEREN.
Seligman und sein Ansatz sind gerade deswegen so erfolgreich, weil sie völlig unbeschadet jedes traditionellen Ballastes eine neue, visionäre Geschichte entfalten: vom Einzelnen, der es immer und überall in der Hand hat, sich um sein eigenes Glück und Wohlbefinden zu kümmern, egal, wie die Umstände sind. Denn, so die Selig mansche Glücksformel: 50 Prozent unseres Glücks sind sowieso Genetik und wir können nichts dran ändern. 10 Prozent machen die »Umstände« aus, die wir auch nicht ändern können. Aber 40 Prozent machen unser Verhalten und unsere Einstellungen aus. An denen können wir drehen und schrauben. Und drücken dem Einzelnen einen hübschen Baukasten mit Hammer, Laubsäge und Bohrer in die Hand, und auf geht’s.
Dass diese Ideologie Vereinzelung, Subjektivismus, Selbstoptimierung und damit auch Selbstausbeutung fördert, ist klar. Das ist ein angenehmer Nebeneffekt. Angenehm für das neoliberale Kapital. Da haben Cabanas & Illouz zweifelsohne recht. Aber auf die Idee, dass es vielleicht sogar andersrum sein könnte, kommen sie nicht: Könnte es vielleicht sein, dass der Erfolg des neoliberalen Modells eben genau jene Psychologie befördert, die ihm die ideologischtheoretische Grundlage und die praktischen Werkzeuge an die Hand liefert? War nicht Wissenschaft und daraus abgeleitete Ideologie immer Reflex der dominanten Kultur und ihrer Voraussetzungen? Da empfinde ich Cabanas’ & Illouz’ Analyse als sehr altmodisch und schwachbrüstig. Sie operieren vom – unhinterfragten – Olymp sozialwissenschaftlicher Reflexion und wenden ihr kritisches Instrumentarium gekonnt auf ein theoretisch und empirisch schwaches, aber dominantes Forschungsparadigma an. Aber die eigentliche Kunst wäre, diese Kritik auf die eigenen Voraussetzungen anzuwenden und vielleicht daraus einen neuen Ansatz zu entwickeln. Der ist leider nicht in Sicht.
Aber vielleicht ist es auch ein bisschen viel verlangt, nicht nur Kritik, sondern auch eine neue Vision zu erhoffen. Wer eine solide Kritik der Positiven Psychologie sucht: Hier ist sie. Gut begründet, reichhaltig mit Referenzen unterfüttert. Wer glaubt, das würde einen Positiven Psychologen zu einem neuen Glauben führen, der irrt. Dazu ist die Kritik nicht grundlegend genug. Nur an den ideologischen Bausteinen rumzumäkeln ist nicht ausreichend. Dazu hätte man sich gewünscht, dass die empirischen Grundlagen sauber zerlegt werden: zentrale Studien dargestellt und deren Schwächen demonstriert werden.
Zudem wäre es hilfreich, wenn die Autoren sich und ihren Lesern mehr Rechenschaft über ihre eigenen Voraussetzungen geben würden. Wenn man hinter und zwischen den Zeilen liest, erkennt man diese Voraussetzungen. Sie gehen von einem eher sozialistisch-demokratischen Politikund Gemeinschaftsverständnis aus, das die Verantwortung für soziale Ungleichheit im System sieht, dem Staat und »den Verhältnissen« die Aufgabe zuteilt, für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen, und die sich vor allem an die sprichwörtliche Putzfrau, Pflegehilfe und Supermarktkassiererin wendet. Was eigentlich diskutiert gehört, ist doch die Frage, warum, trotz übermächtiger Strömungen dieser Art in den 70er- und 80er-Jahren, dieses Modell auf aller Welt komplett auf dem Rückzug ist.
Die Kritik der Autoren an der Positiven Psychologie und am Neoliberalismus, so berechtigt sie ist, greift damit ins Leere. Denn sie operiert von einer wirkungslosen Position aus und hat nichts Neues anzubieten. Sie erinnert mich daher ein bisschen an das Gemaule eines Kindes, das sich darüber beschwert, dass ihm der Hammer den Finger blau geschlagen hat. Die Positive Psychologie ist ein Werkzeug. Wenn sich Menschen damit selber malträtieren und durch Selbstoptimierungsprogramme tyrannisieren lassen, ist nicht das Werkzeug schuld. Aber wahrscheinlich wird erst eine komplett neue Sicht auf den Menschen unser Wirtschaftsmodell und die Psychologie revolutionieren. Falls wir dafür noch so viel Zeit haben. Und es wäre wohl zu viel von einem solchen Buch verlangt, das liefern zu sollen.