Der Zauber des Geldes

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Publiziert am:

July 18, 2019

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Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
Was das Geld mit uns macht
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Wege aus der Vereinnahmung durch die ökonomische Vernunft

Die Erfindung des Geldes hat unsere Geschichte tief geprägt. Geld ist auch zu einer Bewusstseinsform geworden. Können wir die Welt noch ohne die Brille des Geldes sehen? Eine aufgeklärte Bewusstseinskultur hat die Chance, diesen Bann des Geldes zu brechen, um jenseits des rechnenden Verstandes der Welt neu zu begegnen.

Wie würde sie aussehen – eine Welt ohne Geld? Versuchen Sie – für einen Augenblick – sich unsere globale Welt ganz ohne Geld vorzustellen. Wahrscheinlich würde das auch Ihnen sehr schwerfallen. Allein so ein Versuch bringt unsere Vorstellung von Welt ins Wanken. Geld ist das vielleicht wichtigste Bindemittel unserer globalen Welt. Das Gedankenexperiment gelingt meist erst dann, wenn wir die große Welt vergessen. In einer kleinen Welt, in der jede jeden kennt, in der jede/r eingebunden ist in ein unmittelbares Miteinander zwischen Menschen und auch mit der umgebenden Natur, wird es denkbar, ohne Geld zu sein. Es ist eine romantische Welt. Und ja, es ist auch die Welt, aus der wir ursprünglich kamen. Das Land war einfach Land. Es hatte noch keinen Geldwert. Die Menschen lebten, gehalten von gemeinsamen Ritualen, Tabus und den Versammlungen des Clans. Es war außerdem auch eine Welt voll radikaler Abhängigkeiten, denen man nicht entkommen konnte. Und es war eine Welt, in der wir nicht mehr leben.

Die Erfindung des Geldes war einer der großen Meilensteine der Geschichte. Diese Erfindung veränderte uns. Die Fähigkeit, abstrakt zu denken, die Fähigkeit, zu rechnen, das verdanken wir auch dem Geld. Diese Fähigkeit erlaubte uns, in immer größeren, komplexeren Zusammenhängen zu leben. Aber damit wurde Geld auch zu einer hypnotischen Kraft. Die revolutionäre Kraft dieser Erfindung verführte uns immer mehr, unsere Gesellschaft durch die Brille des Geldes zu sehen. Geld hat auch seine eigene Logik, in gewissem Maße sein eigenes Leben. Zins und Zinseszins sind hier nur das offensichtliche Beispiel.

Wie bewusst sind wir uns dieser Vereinnahmung durch das Geld? Wie bewusst sind wir uns, was diese Institution mit uns macht? Mit uns allen! Aufklärung ist immer eine Form der Bewusstwerdung. Wenn wir diese Bewusstseinskraft des Geldes tiefer betrachten, entstehen neue gemeinsame Möglichkeiten, wie wir mit Geld menschlich leben können.

DER KAUFAKT SELBST ZERSTÖRT DAS WESEN DER LIEBE.

Das Wunder des Geldes

Die enorme Kraft des Geldes auf unser Bewusstsein verwundert nicht, wenn man bedenkt, wie radikal seine Erfindung die Welt verändert hat. Vor dem Geld lebten wir gemeinsam in unserem Familien-Clan und vielleicht gemeinsam mit einigen umliegenden Clans, mit denen man je nachdem gute Tauschbeziehungen oder blutige Kriegszüge pflegte. Mit den Vorläufern des Geldes kam die Stadt und mit ihr die ersten großen Reiche. Schon die ersten Städte in Mesopotamien bedienten sich der Schuldverschreibungen, um eine komplexere und größere Wirtschaft betreiben zu können. (Nebenbei erfanden sie damit auch die Schrift.) Das eigentliche Geld in seiner Form als Münze erlaubte dann einen noch weiteren Schritt. Auf einmal konnten Wagemutige über das Mittelmeer, durch die Sahara oder entlang der Seidenstraße mit immer weiter entfernten Kulturen Handel betreiben. In China verwendete man zum ersten Mal um 1000 v. u. Z. kleine Messer und Gabeln aus Bronze zum Tausch. Und König Phaidon von Argis ließ im 8. Jahrhundert v. u. Z. die erste griechische Silbermünze prägen. Gleichzeitig führte Phaidon die ersten Maße für Flüssigkeiten und Gewichte ein. Das universelle Tauschmittel Geld änderte auch unsere Beziehung zu den Göttern. Standen früher lokale Naturgötter im Mittelpunkt der Religion, so entwickelten sich in dieser Achsenzeit von China bis in den Mittelmeerraum neue, universelle Vorstellungen des Heiligen. Aber nicht nur die Religion, auch das Denken änderte sich. Mit den neuen Möglichkeiten des Rechnens und des Handels entstand ein ganz neuer Geist. KarlHeinz Brodbeck beschreibt in seinem Buch »Die Herrschaft des Geldes«, wie sich unsere Vorstellung von Denken und Vernunft in dieser Zeit vom griechischen »Logos«, das sich auf Sprache und Verständigung bezieht, zum römischen »Ratio« wandelte. Ratio ist nicht nur ein anderes Wort. Es bezieht sich auf etwas anderes – auf die kaufmännische Rechenfähigkeit. Bei den frühen griechischen Philosophen stand die Fähigkeit zur Verständigung im Mittelpunkt der Vernunft. Jetzt verschob sich unsere Vorstellung von Vernunft auf die Fähigkeit, gut zu rechnen. Mit diesem neuen Denken bauten die Römer nicht nur Handelsbeziehungen aus. Sie bauten auch Straßen, Brücken, Aquädukte, ihre Armee und die Verwaltung eines großen Reichs.

DAS GELD EXISTIERT EIGENTLICH IN UNS.

Einige Jahrhunderte später schrieb 1202 Leonardo Fibonacci, der Begründer der europäischen, neuzeitlichen Mathematik, in Pisa sein berühmtes Mathematikbuch »Liber abaci«. Die Rechenbeispiele in seinem Liber abaci sind fast alles kaufmännische Probleme, wie das Umrechnen von Gewichten und Münzen. Es ist also nicht übertrieben zu sagen, der Umgang mit dem Geld hat uns das Rechnen gelehrt. Das Geld wurde so zur Keimzelle der Mathematik und damit auch der modernen Wissenschaft.

Im Bann des Geldes

So eine Erfolgsgeschichte entfaltet natürlich auch eine geistige Kraft. Das Geld wurde zum Architekten der Welt und schlug auf diese Weise unser Denken in seinen eigenen Bann. Was ist Wohlstand? Unser anerkannter Maßstab für Wohlstand ist das Bruttonationaleinkommen. Diese Geldperspektive auf den Wohlstand schlägt manchmal solche Kapriolen, dass unsere Gesellschaft so gesehen »reicher« wird, wenn es mehr Autounfälle oder mehr Naturkatastrophen gibt. Die Reparaturkosten und die Heilungskosten solcher Schicksalsschläge »beleben die Wirtschaft«. Auch im Allgemeinen werden Umweltprobleme oft erst dann gesellschaftlich relevant, wenn sie »zu Buche schlagen«.

Ja, Geld definiert die Welt und wir haben uns daraus eine Kultur gemacht. Las Vegas zum Beispiel ist ein Tempel dieser Kultur. Seit Einführung des Geldes gab es immer ein Näheverhältnis zwischen Tempel und Geld. Die antiken Heiligtümer, wie der Artemistempel zu Ephesos oder der Parthenon von Athen und auch die ägyptischen Tempel, waren immer auch Hüter des Schatzes. Doch heute hat sich die Rolle offensichtlich verkehrt. Heute sind Banken zu Tempeln geworden. Man kann es nicht von der Hand weisen, dass Geld in unserer Kultur eine göttliche Aura bekommen hat.

Wir sehen sie selbst in unseren Kindercomics: Wenn Dagobert Duck in seinem Geldspeicher in die Goldmünzen eintaucht wie in einen Swimmingpool, hat das durchaus auch etwas von einem kultischen Bad. Worin besteht eigentlich Dagobert Ducks Glücksgefühl, in einen Haufen harter Metallstücke zu springen? Und wie kommt es, dass wir sogar mit ihm mitempfinden können? Es ist der Zauber des Geldes, seine Kraft scheinbar der Zauberstab zu unserem Glück. Doch ist er das? Wir wissen, das ist, wenn überhaupt, nur eine halbe Wahrheit.

Der postmarxistische Philosoph André Gorz hat in seinem Buch »Kritik der ökonomischen Vernunft« eindrucksvoll dargestellt, wie wir gerade unsere existenziellsten menschlichen Bedürfnisse eben nicht kaufen können. Er demonstriert das neben anderen Beispielen anhand einer Analyse der »käuflichen Liebe«. Er zeigt, wie die Prostitution für die Unmöglichkeit steht, Liebe zu kaufen. Liebe, so schreibt André Gorz, kann ihrem Wesen nach nur frei geschenkt werden, auch wirkliche, körperliche Liebe. Sobald Liebe sich in einen Kaufakt verwandelt, wenn jemand Liebe für Geld bekommen oder jemand Liebe für Geld verkaufen möchte, dann zeigt sich in dieser »käuflichen Liebe«, dass sich nur die Simulation der Liebe kaufen und verkaufen lässt. Der Kaufakt selbst zerstört das Wesen der Liebe. Die wesentlichsten Werte des Lebens, so schreibt André Gorz, ganz nüchtern analysierend, sind einfach nicht käuflich. Darin zeigt sich die Tragik einer Kultur, in der alles zum Kaufakt wird. Dieses Leben kann nur als Simulation gelebt werden. Weil wir das alle irgendwo spüren, aber oft nicht verstehen, wollen wir oft noch mehr von der Simulation, in der vergeblichen Hoffnung, dann doch irgendwie das zu bekommen, was wir uns kaufen wollen. Wenn wir nicht in der Lage sind, das Leben letztlich als Geschenk zu leben, empfangend und schenkend, dann verpassen wir das eigentliche Leben.

Die Kraft der Krise

In unserer Geschichte haben wir Menschen immer wieder versucht, uns aus dem Bann des Geldes zu befreien. Das Christentum hat im Römischen Reich das Zinsverbot eingeführt. Franz von Assisi war im hohen Mittelalter, gerade als in seiner unmittelbaren Umgebung die ersten europäischen Banken entstanden, ein flammender spiritueller Protestler gegen die damals neu aufblühende Geldkultur. Luthers Zorn richtete sich auch gegen den »Wucher« und Johann Wolfgang von Goethe widmete seinen zweiten Band des Faust-Dramas dem Geld. Darin beschreibt Goethe die Einführung des Papiergeldes (die eine Idee Mephistos war!) als eine neue Form der Alchemie, als einen neuen Versuch, diesmal erfolgreicher künstlich Gold zu erschaffen, und Goethe prophezeite in diesem zweiten Band des Faust, dass das alles nicht gut enden wird. Auch die Sozialisten versuchten mit radikalen Visionen die Logik des Geldes in den Griff zu bekommen und scheiterten in dramatischer Weise. Der Durchbruch des Neoliberalismus in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts war noch einmal ein Triumph der ungebremsten Geldmärkte. Aber, was spricht dafür, dass es nicht so weitergeht?

Die Krise. Nicht nur die Finanzkrise, auch die Klimakrise hat wesentlich mit dem ungebremsten Wachstumszwang der Geldmärkte zu tun. Es scheint so, dass diese wahrscheinlich größte Krise der Menschheit uns dazu zwingt, neu darüber nachzudenken, wie sehr wir uns auf die Logik des Geldes einlassen wollen, ja, wie sehr wir das können. Krisen zwingen einen immer dazu, scheinbare Gewissheiten radikal neu in Frage zu stellen.

Das muss nicht gut gehen. Der neo-völkische Rechtspopulismus der letzten Jahre ist natürlich auch eine Reaktion auf die Logik des Neoliberalismus. Und natürlich haben die Rechtspopulisten nicht in allem Unrecht. Traditionelle Familienwerte, regionale kulturelle Werte wollen geschützt werden. Es ist kein ungewöhnliches Phänomen, dass in Krisen die Betroffenen sich zuerst einmal in eine Regression flüchten, zurück in die fantasierte »gute alte Zeit«, in der die Herausforderungen der Gegenwart noch nicht existierten. Aber abgesehen davon, dass diese Flucht nach gestern auch von so manchen Diktatoren und dunklen Gestalten benutzt wird, wird sich zeigen, dass wir neue Antworten finden müssen, auch wenn diese neuen Antworten viel Respekt vor dem Alten und Gewachsenen beinhalten müssen.

Gerade die Klimakrise scheint zu zeigen, dass die reine Logik des Geldes unser Überleben auf diesem Planeten akut gefährdet. Diese Krise ist eine neue Kraft, die uns dazu zwingt, unser Verhältnis zur Logik des Geldes neu zu bedenken. Wir brauchen offensichtlich eine radikale neue Verständigung, wer wir Menschen eigentlich außerhalb der Logik der Märkte sind und was das Leben, das wir schützen wollen, eigentlich ist. Um mit Charles Eisenstein zu sprechen: Was ist die schönere Welt, die unser Herz schon kennt, die außerhalb des »Banns des Geldes« über uns möglich ist? Vielleicht sind wir gezwungen, aufzuwachen.

Das Geld und wir

Wir meinen, das Geld würde irgendwo »da draußen« existieren, in Tresoren, auf Bankkonten, vielleicht als Computercode auf irgendwelchen Servern im Internet. Aber eigentlich existiert das Geld in uns. Es lebt als eine Vereinbarung zwischen uns Menschen. Es lebt als eine Erwartungshaltung, als ein gemeinsam gepflegtes Vertrauen in eine kulturelle Übereinkunft. Geld ist eine Bewusstseinsform. Irgendwann in unserer frühen Geschichte haben Menschen sich darin gefunden, dass bestimmte Dinge, zuerst vielleicht Muscheln, dann Metalle, einen bestimmten allgemeinen Tauschwert haben. Diese Vereinbarung ist tief in unsere Wahrnehmung eingedrungen, und aufbauend auf dieser Übereinkunft haben wir unsere globale Welt gebaut. Diese Übereinkunft, die wir Geld nennen, hält unsere Welt buchstäblich zusammen. Ihre Denkform, die eine abstrakt rechnende ist, hat unser Wesen tief durchdrungen. Geld ist eine Bewusstseinsform und Goethes Parabel vom Zauberlehrling ist noch immer eine gute Parabel, um unsere Geschichte mit dem Geld zu beschreiben.

KÖNNEN WIR UNS AUS DEM BANN BEFREIEN?

Aber Bewusstsein kann durch Bewusstseinsarbeit durchdrungen werden. Hier liegt der Wert der großen spirituellen Traditionen. Hier liegt der Wert von Meditation, aber auch den vielfältigen anderen Formen der Bewusstseinsarbeit, die uns erlaubt, unser Menschsein tiefer auch jenseits des rechnenden Verstandes zu erfassen. Auch alternative Lebensformen, wie die Ökodorfbewegung, alternative Währungen, bewusste Gemeinschaften erlauben uns, wieder den Dialog aufzunehmen, wer wir Menschen eigentlichen sind und sein können, wenn wir uns auf eine Welt einlassen wollen, die größer ist als die ökonomische Vernunft. Größer, aber nicht ohne. Es ist eine der Stärken eines integralen Bewusstseins, auch der Logik des Geldes und des Marktes ihren Platz zuzugestehen, denn Geld ist trotz allem auch eine großartige menschliche Errungenschaft.

Natürlich ist das auch eine demokratische Frage. Es braucht neue demokratische Freiräume, um die ökonomische Logik auf ihren Platz zu verweisen. Wenn wir uns selbstbestimmt darüber verständigen wollen, wie wir als Menschen leben wollen, braucht es eine lebendige, bewusste globale Zivilgesellschaft und Institutionen, die die Kraft haben, die Logik des Geldes zu zähmen. Vor allem braucht es aber uns, unsere Liebe zum Leben und zu einem tiefen Bewusstsein dafür, wer wir eigentlich sind.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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