Die Entwicklung Gottes

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

July 18, 2019

Mit:
Tilmann Haberer
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AUSGABE:
Ausgabe 23 / 2019:
|
July 2019
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Eine Rezension des Buches »Gott. Eine Geschichte der Menschen« von Reza Aslan

Das Spannendste an diesem insgesamt ungemein anregenden, lehrreichen und dazu noch unterhaltsamen Buch sind für mich die ersten und die letzten Seiten des Textteils: Einführung und Fazit. Darin gibt sich der Autor Reza Aslan als Mensch zu erkennen, er beschreibt seine spirituelle Suchbewegung und den Weg, den er dabei gegangen ist. Im Iran geboren, floh seine Familie 1979 vor der Islamischen Revolution in die USA. Dort hatte er mit 15 Jahren ein Bekehrungserlebnis zum evangelikalen christlichen Glauben, doch die anschließende intensive Lektüre der Bibel weckte eher Zweifel in ihm, statt seinen Glauben zu vertiefen. Er studierte Religionswissenschaften und begegnete dem Satz Ludwig Feuerbachs, wonach der Mensch sich Gott nach seinem Ebenbild schaffe. Dieser Satz traf ihn »wie ein Donnerschlag«, er bestimmte fortan Aslans Denken und Forschen. Doch von Gott konnte er nicht lassen. Er wandte sich vom christlichen Glauben ab und wurde wieder zum Muslim. Schließlich begegnete er der Mystik der Sufis, sein persönlicher Glaube wandelte sich zum Pantheismus: Gott wohnt nicht in einem fernen Jenseits, sondern ist in allen Dingen gegenwärtig.

Reza Aslan lehrt Creative Writing an der University of California in Riverside, seine Bücher »Kein Gott außer Gott« (über den Islam) und »Zelot« (über Jesus) wurden Bestseller, er selbst ist ein gefragter Interviewpartner und Talkshow-Gast. In seinem neuen Werk »Gott. Eine Geschichte der Menschen« zeichnet er nun die Entstehung der Religionen nach, und er beschreibt die Geschichte der Religion als eine Entwicklung, die parallel zur Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, des menschlichen Bewusstseins – und letztlich seiner eigenen spirituellen Entwicklung verläuft. Damit scheint die evolutionäre Betrachtungsweise von Religion und Spiritualität im Mainstream angekommen; auch ohne Jean Gebser, Spiral Dynamics oder Ken Wilber zu erwähnen, bildet Aslan die Religionsgeschichte im Grunde nach integralen Prinzipien ab und kann so bei manchen Leser*innen vielleicht zum Türöffner für die integrale Weltsicht werden.

Religiosität findet sich nach Überzeugung des Autors schon bei den allerersten Menschen, wie etwa prähistorische Höhlenmalereien aus unterschiedlichen Kontinenten nahelegen. Die Wurzel des Glaubens liegt, so Aslans These, in der Anlage des menschlichen Gehirns, hinter allen Ereignissen in der Außenwelt einen menschlichen oder menschenähnlichen Akteur zu vermuten, der diese Ereignisse bewirkt: Wenn es donnert, muss es »jemanden« geben, der den Donner verursacht. Durch diese kognitive Grundstruktur unseres Gehirns konnten die ersten Menschen gar nicht anders, als an Geister, Dämonen, schließlich an Götter zu glauben. Darüber hinaus schließen Menschen aus ihrem eigenen mentalen Erleben intuitiv, dass andere Menschen ebenfalls über einen Verstand und eine Seele verfügen und genauso empfinden wie sie selbst, und das gilt natürlich auch für nichtmenschliche Wesenheiten, die Geister und Götter ihrer Lebenswelt. So wandelt sich mit der menschlichen Sozialform die Vorstellung von Gott. Die Jäger und Sammler lebten noch in engster Verbindung mit der Natur. Aus ihrer Überzeugung, alles sei durchdrungen von einer übermenschlichen Präsenz, entwickelte sich allmählich der Glaube an individuelle Götter. Je klarer sich im Laufe der Menschheitsgeschichte das menschliche Ich-Bewusstsein herausbildete, desto individuellere Charakterzüge erhielten die einzelnen Götter zugeschrieben. Mit dem Aufkommen der großen Reiche der Sumerer oder der Ägypter mit ihren Großkönigen erhielten die obersten Götter immer mehr Macht. Der Schritt, einen einzigen Gott zu postulieren, lag dann nahe, doch die beiden bekannten ersten Gründer monotheistischer Bewegungen scheiterten letztlich. Echnaton, der ägyptische Pharao, setzte zwar die alleinige Verehrung des Sonnengottes Aton im gesamten Ägyptischen Großreich durch, doch traf er damit nicht den Nerv seiner Zeitgenossen. Unmittelbar nach Echnatons Tod wurden die alten polytheistischen Kulte wiederbelebt. Auch Zoroaster (Zarathustra), der historisch nicht so klar fassbare persische Prophet, sprach von einem einzigen Gott, doch sein Ansatz scheiterte an dem Anspruch, alles – Gutes wie Böses – in einem religiösen Konzept zusammenzufassen. Aus dem ursprünglichen monotheistischen Impuls wurde sehr bald ein streng dualistisches Prinzip, das zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis schied.

Im 6. Jahrhundert v. Chr. »erfand« ein kleines Volk im Nahen Osten die Idee neu, dass es überhaupt nur einen Gott gibt, der alle menschlichen Eigenschaften in sich vereint: Güte und Zorn, Liebe und zerstörerischen Hass. Der Gott der Juden, später der Christen und noch später der Muslime war geboren. Die Zeit scheint dafür reif gewesen zu sein, denn immer wandelte sich das Bild, das die Menschen von Gott haben, parallel zu Bewusstsein und Lebensweise der Menschen.

WENN GOTT »MEHR ALS ALLES« IST, IST GOTT IMMER AUCH MEHR ALS MEINE VORSTELLUNGEN UND PROJEKTIONEN.

Aslans Buch endet mit dem Pantheismus, dem Gedanken, dass alles Gott ist. Er stellt für den Autor die Möglichkeit dar, Gott auf nicht menschliche Weise zu denken – und gleichzeitig als die höchste Identifikation Gottes mit den Menschen: Wenn alles Gott ist, bist auch du, bin auch ich Gott. Und so endet das Buch mit den Worten: »Gott brauchen Sie jedenfalls nicht zu fürchten. Sie sind Gott.«

Meines Erachtens greift dieses an sich nicht unsympathische Konzept deutlich zu kurz. Im Pantheismus geht Gott in der Welt auf, eigentlich ist der Terminus »Gott« gar nicht mehr sinnvoll. Über diesen Kurzschluss hinaus führt der Panentheismus, der nach meiner Überzeugung das Verhältnis von Gott und Welt am überzeugendsten beschreibt. Ja, alles ist Gott, sagt auch der Panentheismus, doch er ergänzt den Satz durch die paradoxe Formulierung: Aber Gott ist mehr als alles. Gott geht im Vorfindlichen nicht auf, sondern hat immer noch mehr Möglichkeiten.

Interessant ist für mich, dass Aslan diesen panentheistischen Ansatz als einen weiteren Versuch des menschlichen Gehirns begreift,Gott doch wieder menschliche Züge zuzuschreiben. Denn jede Absicht, jeder Eros, der in Gott gesehen wird, sei wieder eine Projektion menschlicher Eigenschaften. Er weist damit auf die Gefahr hin, die in jeder Vorstellung von Gott liegt: sich Gott nach dem eigenen Ebenbild zu schaffen – wie der Feuerbachsche »Donnerschlag« es formuliert. Dieser Gefahr lässt sich jedoch mit einer evolutionären Betrachtungsweise gut standhalten: Vor dem Hintergrund einer Entfaltung des menschlichen Bewusstseins, wie es in der integralen Theorie angenommen wird, ist die eigene Vorstellung von Gott immer eine dem jeweiligen Verständnishorizont angemessene Momentaufnahme. Wenn Gott »mehr als alles« ist, ist Gott immer auch mehr als meine Vorstellungen und Projektionen. Diese Erkenntnis ist eine wirksame Medizin gegen Absolutheitsansprüche und unreflektiert anthropomorphe Bilder von Gott.

Trotz dieser kleinen Einschränkung beim Fazit bietet Reza Aslans neues Buch ein durchaus spannendes Lesevergnügen – auch durch den flüssigen, sehr gut lesbaren Stil. Wissenschaftliche Tiefe erhält es durch den umfangreichen Anmerkungsteil, der mehr als ein Drittel des Buches umfasst. Insgesamt ein informatives, lehrreiches, das Denken herausforderndes Werk.

Author:
Tilmann Haberer
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