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Das Pilotprojekt »Empathie macht Schule« fördert Pädagoginnen und Pädagogen in ihrer Beziehungskompetenz. Es wurde im Februar 2020 in drei Schulen in Berlin gestartet und soll fünf Jahre dauern. Lukas Herrmann ist einer der Begleiter des Projekts und forscht gleichzeitig zur Dynamik generativer sozialer Felder. Wir fragten ihn, wie wir eine wertschätzende und kreative Beziehungskultur fördern können.
evolve: Im Rahmen des Projekts »Empathie macht Schule« arbeitest du an einer Doktorarbeit zur Wirkung sozialer Felder in der Bildung. Worum geht es dabei?
Lukas Herrmann: Darin geht es um generative soziale Felder und das Erleben von Veränderungsmomenten in Beziehungen. Hierzu interviewe ich die Schulleitungen, Pädagoginnen und Lehrer der am Projekt »Empathie macht Schule« beteiligten Schulen. Sie durchlaufen ein intensives 18-tägiges Training, das Beziehungskompetenz, Empathie und Präsenz fördern will. Mich interessiert, welche Veränderungsmomente sie in ihren Beziehungen zu Schülern, Eltern und Kolleginnen erleben – und was wir dadurch über die Entstehung von generativen sozialen Feldern lernen können.
e: Hast du Gemeinsamkeiten gefunden beim Erleben von solchen Veränderungsmomenten?
LH: Die Datenanalyse ist noch nicht abgeschlossen, aber was sich abzeichnet, ist, dass die Einsicht in eigene Reaktionsmuster, Gefühle, Empfindungen und der Kontakt zum eigenen Wesenskern eine große Rolle spielen – gerade in herausfordernden Situationen. Das ist überraschend für viele Pädagoginnen, weil sie es gewöhnt sind, mit ihrer Aufmerksamkeit bei den Kindern zu sein. Man kann aber anderen letztlich nur so tief begegnen, wie man sich selbst begegnet. In dem Projekt nennen wir dieses Prinzip »60:40«, das heißt, die eigene Aufmerksamkeit sowohl bei sich selbst zu haben (60 %) als auch bei den Kindern (40 %). Es gibt bewegende Beispiele wie das einer Schulleiterin, die von Eltern heftig dafür kritisiert wurde, dass es in der Corona-Zeit zu wenig Online-Learning gab. Es half ihr, dieses Verhalten mancher Eltern als eine Krisenreaktion zu erkennen. Indem sie es weniger persönlich nahm, konnte sie weiter zuhören und Unterstützung geben.
Eine Erzieherin erzählte von einem Jungen, der sehr verzweifelt war und seine Aufgabe nicht schaffte. Um keinen Druck auszuüben, hätte sie ihn sonst einfach in Ruhe gelassen. Stattdessen stimmte sie sich auf ihn ein und tastete sich mit Worten an ihn heran: »Ich sehe, du bist überfordert. Ich glaube, du brauchst eine Pause, möchtest du mal rausgehen?« Der Junge fühlte sich gesehen und wurde ruhiger und die Erzieherin erlebte sich als wirksam. Beide bekamen mehr von dem, was sie brauchten. Das sind kleine Veränderungen, die das Feld mit Qualitäten wie Vertrauen und Wertschätzung aufladen.
e: Was sind die Merkmale von generativen sozialen Feldern?
LH: Am besten lässt es sich bei den »Gipfel-Momenten« beschreiben, die man leicht wiedererkennt, weil dann der Flow, das Potenzial oder auch die Verbundenheit in einer Gruppe wirklich »in der Luft liegen«, fast so, als könnte man sie berühren. Neue Möglichkeiten tauchen auf und viele Dinge scheinen wie von selbst zu geschehen. Letztlich geht es aber nicht so sehr darum, ob sich diese Felder gut anfühlen. Wirklich generative Felder sind nicht immer angenehm, sie können auch aufwühlen und konfrontieren. Was sie kennzeichnet, ist, dass die Menschen dort wachsen und miteinander mehr sie selbst werden. In so einem Feld spürst du, wie du auf eine neue oder präsentere Weise dir selbst und den anderen begegnest – und auch den Themen oder Aufgaben, die anstehen. In den Workshops von »Empathie macht Schule« gab es schon häufiger so eine offene Atmosphäre, ein Ankommen bei sich, Auflösen von beengenden Mustern und einem Kennenlernen neuer Möglichkeiten.
¬ GENERATIVE FELDER ERMÖGLICHEN TIEFES LERNEN. ¬
Generative Felder ermöglichen tiefes Lernen. Die Essenz eines Faches kommt dann wirklich an. Die Menschen resonieren nicht nur miteinander, sondern auch mit dem Lerninhalt. Es führt zu einer Art von Aufblühen, aber auch zu einer Steigerung von Integrität. Die innere Kohärenz wird gesteigert, weil es eher möglich ist, als ganzer und einzigartiger Mensch anwesend und in Beziehungen verbunden zu sein. So können wir auch anders mit Konflikten umgehen, unsere Unterschiedlichkeit hat darin Platz. Je kohärenter ein komplexes System, desto besser funktioniert es auch.
Soziale Felder wirken nicht nur auf die beteiligten Menschen, sondern auch auf ihren größeren Kontext, also zum Beispiel die Institutionen, in die sie eingebettet sind. Die Teilnehmenden von »Empathie macht Schule« etwa berichten von ihrem Frust über das Schulsystem, das es ihnen schwer macht, so miteinander in Beziehung zu gehen, wie sie es sich eigentlich wünschen. Das ist unangenehm, aber von dort können auch Veränderungsimpulse ausgehen, die das Schulsystem in Richtung größerer Kohärenz bewegen.
e: Die Erfahrung, die du für die Schule beschreibst, ist auf viele gesellschaftliche Bereiche anwendbar. Diese Beziehungsfelder sind ein blinder Fleck, im schulischen System, aber auch sonst in der Gesellschaft, sei es im Gesundheitswesen oder in der Politik. Alles findet in Beziehungsfeldern statt, die aber kaum bewusst reflektiert und bewusst als Gestaltungsraum erschlossen werden. Wie können wir diese sozialen Felder stärker ins Bewusstsein rücken?
LH: Gerade, weil sie ein blinder Fleck sind, haben sie potenziell eine große Hebelwirkung. Die Qualität der sozialen Felder beeinflusst die Resultate, die wir in diesen gesellschaftlichen Bereichen erzielen – auch die, die eigentlich keiner will. Die Interdependenz in all diesen Bereichen ist viel stärker, als wir in unserem individualistischen Mindset annehmen. Wir wissen zum Beispiel, dass sich in Gruppen auch physiologische Prozesse zwischen Menschen koppeln bis hin zu ihrer Herz- und Hirnaktivität. Diese Wechselwirkungen werden meistens nicht gesehen, aber bergen ein großes Potenzial.
Die individuelle Kompetenz, Felder wahrzunehmen und zu gestalten, lässt sich auf viele Weisen entwickeln. Das Projekt »Empathie macht Schule« ist ein Beispiel dafür. Eine Teilnehmerin drückte es so aus: »Wir sind es gewöhnt zu funktionieren. Und jetzt nehme ich wahr, dass ich ja auch als Mensch in der Schule bin, und wieviel auf dieser menschlichen Ebene bei jedem abläuft.«
Soziale Felder lösen in uns bestimmte Empfindungen aus, zum Beispiel Anspannung oder Vorsicht, und fragen so bestimmte Verhaltensweisen an, wie etwa sich zu verschließen oder misstrauisch zu sein. Zunächst geht es also darum, dies überhaupt zu bemerken: ›Oh, jetzt wird das in mir ausgelöst, ich merke, ich verschließe mich.‹ Das erfordert Präsenz und Mitgefühl. Und dann geht es darum, auf diese Stimmung zu antworten, auf eine Weise, die der eigenen Integrität entspricht, und Verantwortung für sich und auch ein Stück weit für das Feld zu übernehmen. Also vielleicht zu bemerken: ›Eigentlich möchte ich mich nicht verschließen. Ich frage mal, ob es den anderen auch so geht.‹ Und wenn das gelingt, dann spüren wir eine gewisse Stimmigkeit. Dafür ist der Körper ein sensibles Wahrnehmungsorgan.
Darüber hinaus gibt es auch Werkzeuge, die speziell darauf abzielen, die Felder von Gruppen oder Organisationen sichtbar zu machen – wie zum Beispiel das Social Presencing Theater. Wenn wir kollektiv wach werden für das soziale Feld, dann können wir – in allen gesellschaftlichen Bereichen – auch wirklich zu der Antwort werden, die unsere Zeit braucht.
Author:
Mike Kauschke
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