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Im Jahr 2010 hat die Aktion »The Artist is Present« der Performance-Künstlerin Marina Abramović im MOMA New York viele Menschen tief berührt. Eine Aktion von größter Einfachheit lässt mitten im Museum einen zeitlosen Raum entstehen: zwei Stühle, ein Holztisch und die Künstlerin Auge in Auge mit unzähligen Besuchern. Für drei Monate acht Stunden Tag für Tag entfaltet die stille Präsenz ihre innewohnende Kraft. Die Masken fallen und Tränen fließen in der Erfahrung, ganz anwesend zu sein, in der Begegnung mit einem fremden Gegenüber. Bis heute hat die Aktion ihre berührende Wirkung nicht verloren und weltweit Menschen inspiriert. So auch die folgenden Initiatoren aus Freiburg und San Francisco, die den Impuls von Marina Abramović auf ihre Art in den öffentlichen Raum bringen.
Ein roter Teppich und zwei Stühle laden die Vorübergehenden ein: Der Bürger ist anwesend. Hinsetzen – Stillwerden – Schauen. Mitten im Trubel der Stadt sinkt der Lärm in die Stille und ein starkes Feld der geteilten Achtsamkeit entfaltet seine Wirkung: »Wieviel Berührung, Anteilnahme, Licht und Verbindung wir auf einem öffentlichen Platz erleben durften, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Das Wesen von »The Citizen is Present« ist Liebe und will die Spaltung umarmen. Ich glaube, so etwas will auf öffentlichen Plätzen passieren.« Der Initiator Axel Perinchery spricht aus reicher Erfahrung, er öffnete solche Räume des Gegenwärtigseins schon an verschiedensten Orten, unter anderem auch auf der Klimakonferenz 2019 in Madrid. Gerade hier konnten sich in der stillen Begegnung die eigentlichen Herzensanliegen vieler Konferenzteilnehmer zeigen. Die wiedergefühlte Verbundenheit zum Leben und zur Erde öffnet einen Bewusstseinsraum tiefer Menschlichkeit, der dann im Feld der globalen Entscheidungen wirken kann. So liegt es nahe, dass das Team von »The Citizen is Present« an den Hotspots dieser Welt anwesend sein will, wie beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos und der nächsten Klimakonferenz 2021 in Glasgow.
Wieder zwei Stühle auf offener Straße gegenüberstehend und die Einladung: You talk. We listen. Was auf Initiative der Therapeutin Tracy Ruble in San Francisco begann, entwickelt sich schnell zu einer internationalen Bewegung. »I want to deeply know who you are!« – Wer bist du, Fremder? Tracy Ruble ist zutiefst bewusst, dass es die Beziehungsqualität ist, die unseren Lebensraum lebenswert gestaltet. Wir brauchen einander im Bewusstsein der Verbundenheit allen Lebens und nicht in Abhängigkeit.
DIE TRANSFORMIERENDE KRAFT ACHTSAMER BEGEGNUNG WIRD ZUM »LICHTANKER«.
Die Initiative »Sidewalk Talk« schenkt mit der Kunst des absichtslosen Zuhörens Momente echter Begegnung. Einem Fremden wertschätzend zuzuhören, heißt auch, dem eigenen Fremdsein zu begegnen. Und in der Begegnung mit einem Obdachlosen spiegelt sich die eigene Heimatlosigkeit. Im bedingungslosen Zuhören liegt eine herzöffnende Kraft, denn es geschieht auf Augenhöhe. Empathie und Mitgefühl schenken kostbare Augenblicke, in denen wir als Menschen gesehen und gehört werden. So erwacht aus der Anonymität eine Verbundenheit, die zu Wertschätzung und Respekt führt. Tracy Ruble erkennt darin die Voraussetzung für wirklich gelebte Demokra tie: »Für eine lebendige Demokratie müssen wir uns mit unserem Herzen einbringen, nicht nur mit unserem Kopf.«
Angesichts der Herausforderungen unserer Demokratie in Zeiten zunehmender Polarisierung können solche spontanen Begegnungen eine größere Bedeutung haben, als es auf den ersten Blick scheint. Sie wirken auch hinein in unsere Stadträume, wo die innere Abwesenheit längst unausgesprochener Konsens ist. Die transformierende Kraft achtsamer Begegnung wird zum »Lichtanker, aus dem die Marktplätze immer mehr leuchten«, sagt Perinchery.
Die Netzwerke von »The Citizen is Present« und »Sidewalk Talk« schaffen ein Beziehungsnetz, das inmitten von Hektik und Geschäftigkeit zum Innehalten einlädt und den Menschen an sein eigentliches Menschsein erinnert.
Author:
Valeska Schoene
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