Die Revolution des geschulten Geistes

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Essay
Publiziert am:

January 16, 2017

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Ausgabe 13 / 2017:
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January 2017
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Meditation an der Uni

Es ist still im Pausenraum der Techniker in der Lothstraße in München. Der Boden ist mit dickem Teppich ausgelegt, vor dem Fenster sieht man Studierende zur nächsten Vorlesung hasten. Zehn Studierende haben sich an diesem Nachmittag versammelt, um gemeinsam mit ihrem Professor eine Stunde lang zusätzlich zu ihrem regulären Meditationsprogramm in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu meditieren. Sie sitzen auf Bänkchen, Meditationskissen oder direkt auf dem flauschigen Boden. Die Studierenden kommen aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen, wie zum Beispiel Soziale Arbeit, Luft- und Raumfahrttechnik oder Maschinenbau.

Bereits weit über 1000 Studierende haben das von Professor Andreas de Bruin initiierte Meditationsprogramm des »Münchner ­Modells« an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Ludwig-­Maximilians-Universität in München seit dem Start 2010 absolviert. Bei de Bruin meditieren nicht nur Studierende aus mittlerweile neun Studiengängen, auch Angehörige des Hochschulapparats treffen sich regelmäßig in einer Gruppe zum Meditieren. De Bruin, der eine Professur für ästhetische Bildung innehat und selbst auf eine 25-jährige Meditationspraxis zurückblicken kann, weiß um die Vorteile, die durch eine regelmäßige Meditationspraxis entstehen.

¬ Alles Große bildet, sobald wir es gewahr werden. ¬ Johann Wolfgang von Goethe

Das Besondere am »Münchner Modell« ist, dass die Meditationskurse fester Bestandteil des Curriculums sind und nicht nur ein fakultatives Zusatzangebot. Für die beliebten Seminare mit je 20 Teilnehmenden gibt es lange Wartelisten, denn die Nachfrage ist groß und die Plätze sind beschränkt. Der Unterricht selbst besteht aus klassischen Achtsamkeits- und Meditationsübungen, wie zum Beispiel dem Bodyscan oder der Sitzmeditation, sowie einem Theorieteil.

Doch wie lassen sich die Meditationsleistungen der Studierenden benoten? Das »Münchner Modell« hat hier eine erprobte Antwort parat: Regelmäßige Teilnahme, Mitarbeit im Unterricht, das Führen eines Meditationstagebuchs sowie das Anfertigen einer Seminararbeit ergeben eine Gesamtnote für den Leistungsnachweis. Viele der Studierenden vertiefen sich so sehr in das Thema Achtsamkeit, dass sie eigene Praxis-­Projekte etwa für Schulen entwickeln oder ihre Abschlussarbeit dazu verfassen. Ein hochschuleigenes Meditationszentrum könnte das nächste große Projekt werden.

302 Kilometer Luftlinie von der Hochschule in München entfernt plant auch die Hochschule Frankfurt ein fachübergreifendes Meditationsprogramm, das im Sommersemester 2017 starten soll. Der ehemalige Kanzler der dortigen University of Applied Sciences, Reiner Frey, der Meditation als »Fortsetzung der Aufklärung« betrachtet, sieht darin eine Bewusstseinsschulung, die förderlich für Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis ist.

Selbstregulierende Angebote, wie Kurse in MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction), Meditation und Yoga zur Achtsamkeitsschulung werden mittlerweile an vielen Hochschulen im Rahmen des Hochschulsports angeboten. Bei den Achtsamkeits- und Medi­tationsangeboten geht es keineswegs da­rum, die durch straffe Studienpläne geplagten Studentinnen und Studenten stressresistenter zu machen. Im Gegenteil – der auf einer anderen Bewusstseinsebene geschulte Geist führt zu einem neuen Bewusst-Sein und einer verstärkten Selbstwirksamkeit. In München schlägt Andreas de Bruin in seiner Meditationsgruppe nach 60 Minuten stiller Meditation den Gong – ist die Stunde tatsächlich schon vorbei? Der Blick in offene und entspannte Gesichter in der Runde zeigt, dass den Studierenden die Auszeit vom Studienalltag sichtlich gut getan hat, denn ein zentrierter Geist ist ein wacher Geist. De Bruin, der bereits mit mehreren Hochschulen im In- und Ausland in Kontakt ist, die sich für die Implementierung ähnlicher Programme interessieren, ist überzeugt, für die Bildung des Geistes werde beides gebraucht – der intellektuelle Wissenserwerb und die Meditation.

Author:
Hannah Lisa Linsmaier
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