Die Rückkehr der Freude

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Publiziert am:

January 21, 2016

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Ausgabe 09 / 2016:
|
January 2016
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Ich gehöre zu denen, die davon ausgehen, dass die weitere Evolution von Mensch und Erde mehr denn je von uns Menschen selbst abhängen wird. Denn zum einen verfügen wir Menschen mehr denn je über Wissen und Techniken, um die materiellen Dimensionen unserer Existenz auf der Erde zu gestalten. Und zum anderen ermöglichen moderne Medien mehr denn je ein trotz aller nötigen Diskussionen letztlich konstruktives Zusammenwirken vieler Menschen. Doch in welcher Weise und in welchem Ausmaß diese menschliche Mitwirkung möglich und notwendig ist – darüber besteht offenbar Diskussionsbedarf, auch in der evolutionär-­integralen Bewegung.

In der Kultur des Westens, deren vorwiegend egozentrische Zweckrationalität einerseits für die ökologischen und seelischen Krisen der Gegenwart maßgeblich mitverantwortlich ist, gibt es andererseits eine dem Mainstream eher verborgene geistige Linie. Diese Spur reicht von Hildegard von Bingen und ­Jacob Böhme über Blaise Pascal, Johann Gottfried Herder, J. G. Fichte und Novalis bis zu R. H. Lotze, Rudolf Steiner, C. G. Jung, Rudolf Bahro u. a. Ihr gemeinsamer Kern lässt sich durch das Zusammenspiel der Begriffe »Seele«, »Freiheit«, »Intensität«, »Bewusstsein«, »Liebe« und »Freude« ausdrücken. Doch was ist damit insbesondere gemeint und worin bestehen die nicht nur abstrakt-theoretischen, sondern »existenziell-spürbaren« Unterschiede zur bereits kurz benannten anderen, zweckrational-»politischen« Tendenz der modernen Kultur? Und warum ist es so wichtig, diesen Unterschied bis hinein ins Gefühl der eigenen Seele spüren zu können?

Vielleicht wird das am ehesten deutlich anhand eines feineren, doch ebenso wesentlichen Unterschieds zu an sich ebenso evolutionär orientierten Ansätzen, wie sie im sogenannten »integralen« Feld bestehen. Ken Wilber und seinen Freunden gebührt zweifellos Anerkennung dafür, durch ihre ganzheitsorientierten und komplexen Denkformen von sich ergänzenden Quadranten, Linien und Zuständen neue Möglichkeiten eines umfassenderen Welt- und Selbstbezugs eröffnet zu haben. Schaut man jedoch näher hin, vermisst man darin oft eine Art seelische Wärme und fröhliche Vibration. Das mag ein Grund dafür sein, warum die integrale Bewegung bisher eine intellektuelle Randströmung bleibt und kaum Wege zu den primär aus Gefühlen handelnden größeren Strömungen des Zeitgeistes findet. Und daher macht es Sinn, den Faden des integralen Bewusstseins, der in der westlichen Kultur als Unterströmung immer auch da war, dort noch einmal aufzunehmen, wo diese eher »seelischen« Dimensionen mit integriert waren und sind. Beispielhaft dafür steht Herder mit seiner Schrift: »Übers Erkennen und Empfinden in der menschlichen Seele«. Darin zeigt er sehr deutlich, dass Erkennen und Empfinden im seelischen Sinne weit mehr sind als kühle Rationalität. Er schreibt, dass die Seele mit ihrer Umwelt über Intensitätsvorgänge kommuniziert. Und ihre Innigkeit ist kein Rückzug vom Leben in der Welt, sondern Medium der Aneignung »in die Gestalt ihres Wesens«. Ähnlich argumentieren Novalis und ­Fichte: Sie verwenden Begriffe wie »Intensität des Lebens« und »seliges Leben durch immer freier fließende Liebe« als »Amen des Universums« zur Kennzeichnung einer innerlichst und spielend frei erfüllten und kreativen Qualität menschlicher Existenz.

¬ ERKENNEN UND EMPFINDEN SIND IM SEELISCHEN SINNE WEIT MEHR ALS KÜHLE RATIONALITÄT. ¬

Nun könnte man sagen, das waren historisch-romantische Illusionen, die von modernen Wissenschaften längst ad absurdum geführt sind. Doch dem ist nicht so. Dieselbe seelisch-integrale Qualität findet man auch in mutigen Forschungsansätzen der Gegenwart. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt klärt in seiner »Biologie des menschlichen Verhaltens« darüber auf, inwiefern die Handlungspotenziale der Liebe eine entscheidende Innovation im Übergang vom Tier zum Menschen waren. Der chilenische Neurobiologe und Systemforscher Umberto Maturana schrieb zusammen mit der Kinderpsychologin Gerda Verden-­Zoller ein im deutschen Sprachraum leider bisher kaum bekanntes Buch. Darin erklären sie, dass nicht die immer eher machtkalküle Rationalität, sondern die Herausbildung der Emotionalität, Zärtlichkeit und Verspieltheit kommunikativer Liebe die entscheidenden neuen Evolutionslinien öffneten, in denen die nicht macht-, sondern kooperations­orientierten menschlichen Kulturen entstehen konnten.

Ich finde, es wird höchste Zeit dafür, diese spannenden Ansätze einer seelisch-erfüllten integralen Kultur aufzunehmen und da­raus weitere Perspektiven zu entwickeln.

Author:
Prof. Maik Hosang
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