Die Rückkehr des Glaubens

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

January 16, 2017

Mit:
Raoul Eshelman
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AUSGABE:
Ausgabe 13 / 2017:
|
January 2017
Liebe in Zeiten von Trump
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Neue Transzendenz in der Kunst

In seinem Buch »Die Rückkehr des Glaubens« zeigt Raoul Eshelman anhand der modernen Kunst, dass sich weitgehend unbemerkt eine Entwicklung über die Ironie und den Relativismus der Postmoderne hinaus vollzogen hat.

Raoul Eshelman ist Deutsch-Amerikaner und lehrt als Slawist an der Universität in München. In seinem Buch »Die Rückkehr des Glaubens – Zur performatistischen Wende in der Kultur« diagnostiziert er nicht weniger als eine kulturelle Zeitenwende. Wir leben am Ende der Postmoderne, am Ende einer Kultur der Ironie, die unseren Kulturbetrieb über Jahrzehnte dominiert hat. Eshelman ist ein Beobachter der Kunst; er studiert die Literatur unserer Zeit, die Filme im Kino und Fernsehen, die neue Architektur und die Werke der neuen Malerei. Was er hier zu erkennen glaubt, nennt er eine performatistische Wende der Kultur. Wir erleben in den letzten 15 bis 20 Jahren in der Kultur eine Abkehr von der Ironie und eine Rückkehr des Glaubens als bestimmende Kraft in unserer so säkular geprägten Welt. Glaube bedeutet hier ein Vertrauen in ein höheres Prinzip, ein Glaube in die Menschen. Es geht Raoul Eshelman nicht um eine religiöse Wende, er meint eine neue Ästhetik.

Die Postmoderne war in großen Teilen eine Kulturkritik an der Moderne. Anfang des 20. Jahrhunderts war die westliche Kultur von einem großen Optimismus geprägt. Doch dieser Optimismus hat die zwei Weltkriege, Auschwitz und die sowjetischen Gulags nicht überlebt. Eshelman zeigt an Filmen wie »Paris, Texas« von Wim Wenders oder Romanen wie »Das Parfüm« von Patrick Süskind die tiefe Skepsis, welche der postmoderne Kulturbetrieb gegenüber den Fehlleistungen der Moderne entwickelt. Postmoderne, das ist auch eine Aversion gegen jede Form von Utopie. Man machte einfach nicht mehr mit. Der postmoderne Mensch ist in hohem Maße ambivalent, er hat keine Illusionen mehr. Was ihm bleibt, ist frei zu simulieren und zu spielen. Nur eines kann er nicht mehr – über sich selbst hinauswachsen.

¬ Die lange Welle der Selbstinfragestellung hat sich aufgebraucht. ¬

Eshelmans Diagnose ist, dass sich diese lange Welle der Selbst­infragestellung und der Ironisierung in den letzten Jahrzehnten aufgebraucht hat. Er demonstriert dies an vielen Beispielen der Kunst und des Kulturbetriebs. So zeigt er, wie der Film »American Beauty« schon in den 90er Jahren sich zwar geschmeidig und listig der postmodmodernen Ästhetik anschließt, aber die Aussage hat sich radikal verändert. Lester, der Held des Films, erzählt uns am Ende, nachdem er bereits gestorben ist, dass das Leben unendlich schön sei. Wir Menschen erfahren das erst, nachdem wir sterben, aber in dieser Gebrochenheit setzt sich die unendliche Schönheit des Lebens durch.

Der Autor weist darauf hin, dass in den Kulturwerken der Postmoderne die Menschen über keinen festen Kern verfügen. Sie sind geprägt von Fremdbestimmtheit, oft selbstironisch und möglichst illusionslos. Als Gegenpol setzt er den Philosophen Peter Sloterdijk, dessen Werk oft mit einem stark literarisch ausgeprägten Stil spielt. In Sloterdijks Buch »Sphären« entsteht wieder ein Menschenbild der »gegenseitigen Vertrauenseinhauchung«. Wenn Sloterdijk die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes kulturhistorisch aufzeigt, dann ist das keine bloße Finte. »Gott ist die legitime theologische Bezeichnung für den Vorgang der gegenseitigen­Beseelung, die wiederum ermöglicht, dass der Mensch als Kulturwesen überhaupt zustande kommt«, so Peter Sloterdijk.

Auch in der neuen Architektur sieht er eine Abwendung von der Ästhetik der Postmoderne, die in ihrer Vielfalt davon geprägt war, alle Versuche, einen schönen Schein zu produzieren, ironisch aufzubrechen. Im Performatismus kommt die Schönheit hinter der Gebrochenheit wieder zurück. Architektur darf wieder als abgeschlossene aber dynamisch oszillierende Ganzheit wahrgenommen werden. Starre Kontexte werden transzendiert. Christos »Verhüllung des Reichstags« (1971–1995) ließ sich zwar durchaus mit den Kategorien »schön« und »erhaben« in Zusammenhang bringen, trotzdem blieb sie von einer grundlegenden Ironie getragen. Bei der Renovierung des Reichstags sieht Raoul Eshelman jedoch spezifisch performative Eigenschaften verwirklicht – die begehbare gläserne Kuppel mit ihrem Pfeil in die Mitte des Plenarsaals. Das Glas, das Teile der original massiven Seitenwände ersetzt und aus einem ehemals dunklen Gebäude ungeahnte Helligkeit und Leichtigkeit hervorholt. Der Besucher des Reichstags übersteigt buchstäblich das behäbige Gebäude. In der offenen Kuppel steht er im Himmel von Berlin und zumindest für den Augenblick über den »Machthabern der Republik«. Performative Kunstwerke schaffen Transzendenzerlebnisse, in diesem Beispiel für den Besucher des Reichstags in Berlin. Die Eigentümlichkeiten der performativen Ästhetik, die Bildung eines Rahmens, der Fokus auf das Subjekt und die Transzendenz des gesetzten Rahmens finden sich, so Raoul­Eshelman, auch in der neuen Malerei.

So sieht er in Tim Eitel, einem der profiliertesten Vertreter der Leipziger Schule, einen Vertreter des Performatismus. Im Zentrum von Eitels Gemälden stehen opake, undurchsichtige Menschen, deren Gesichter man entweder nicht sehen kann, oder deren Gesichter sich vom Betrachter abwenden. Diese Menschen stehen eingerahmt in einer streng geometrisch gehaltenen Räumlichkeit oder in einer streng geometrisch gehaltenen Natur. Oft sind die Bilder monochrom oder zwischen zwei sehr fein abgestimmten Farben gehalten. Doch die Bilder sind nicht flach und die undurchsichtigen Menschen wirken nicht eingesperrt: »Der von einem ›göttlichen Maler‹ abgebildete Raum lässt das Transzendenzpotenzial des enigmatischen Menschen bildhaft erfahren.« Es ist kein Zufall, dass etliche Bilder Eitels an die romantischen Gemälde von Caspar David Friedrich erinnern.

Raoul Eshelman ist mit diesem kleinen Buch eine beeindruckende Zeitdiagnose gelungen. In der Verschiebung der Ästhetik, die den Fokus der Postmoderne auf Dekonstruktion und Ironie ablöst, zeichnet sich in der Vielzahl und großen Unterschiedlichkeit der Gegenwartskunst etwas ab, das mehr ist als »nur Kunst«. Er spricht von einer Bewegung, die der Postmoderne genau entgegengesetzt ist, sie inszeniert mit künstlerischen Mitteln eine Glaubenserfahrung. Er hält den Begriff der Glaubenserfahrung völlig offen. Es ist eine Erfahrung, die sich in einer säkularen und offenen Gesellschaft bewegt und offensichtlich auch bewegen möchte. Glaube wird hier nicht in einen dogmatischen Rahmen gestellt, vielmehr wird Glaube hier für sich alleinstehend in aller Offenheit verstanden. Doch sich wieder zu erlauben, in einer sehr fundamentalen Weise zu »glauben«, ist ein Bruch mit der postmodernen Gebrochenheit. Auch Transzendenz, wie Eshelman sie in den von ihm dargestellten Kunstwerken zeigt, ist einfach die Transzendenz von starren Rahmen. Aber in dieser freien Darstellung wird Befreiung wieder erfahrbar, ein Gefühl, das in der postmodernen Ästhetik zutiefst suspekt war. Eshelman verwendet das Wort nicht – aber man könnte auch davon sprechen, dass die neue Ästhetik, die er so vielfältig beschreibt, auch eine postsäkulare Spiritualität anspricht, die in der Kunst einen neuen Ausdruck findet.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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