Die Suche nach der Heimat

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Interview
Publiziert am:

January 16, 2017

Mit:
János Darvas
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 13 / 2017:
|
January 2017
Liebe in Zeiten von Trump
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Reflexionen über Österreich, Ungarn und unsere Identität

In Europa erstarken die populistischen Bewegungen. Und die Frage nach dem Volk und dem »Völkischen« wird in der öffentlichen Diskussion wieder modern. Thomas Steininger, der als Österreicher in Deutschland lebt, und János Darvas, der österreichischer Jude ungarischer Abstammung ist, sprechen über die neue Welle des Identitären.

Thomas Steininger: In Österreich hatten wir gerade Präsidentschaftswahl. Fast hätten wir einen Rechtsaußen als Präsidenten bekommen. Aber auch Van der Bellen, der grüne Präsidentschaftskandidat, der letztendlich gewonnen hat, führte einen­»Heimatwahlkampf«. Es ist ihm gelungen, den Begriff Heimat mit einer weltoffenen und europafreundlichen Gesinnung zu verbinden. Das ist an sich gut, zumindest für den Augenblick, denn die FPÖ ist bei den Umfragen noch immer die stärkste Partei. Aber offensichtlich ist in den neuen Zeiten der Unsicherheit »Heimat« wieder ein ganz wichtiger Begriff geworden. In Europa geht die Angst vor dem Fremden um.­Brexit, Ungarn, Polen, und es ist ungewiss, was nächstes Jahr in Frankreich geschehen wird.

János, du bist Österreicher ungarischer Abstammung. Du bist auch jüdischen Glaubens und lebst seit vielen Jahren in Deutschland. Deine Frau kommt aus Frankreich. Zuhause sprecht ihr Französisch. Das ist doch ein besonderer Ausgangspunkt, um über Heimat und regionale und nationale Identität zu sprechen. Wie erlebst du diese neue Heimatsuche?

János Darvas: Ich lebe zwar seit 1967, also seit meinem 19. Lebensjahr, nicht mehr in Österreich, aber meine Identität ist stark wienerisch geprägt. Ich bin als Kind und Jugendlicher in diesem Wiener Milieu aufgewachsen. Dort habe ich wichtige Impulse aufgenommen, auch wenn mir manches fremd blieb, da ich in einer ungarisch- jüdischen Familie aufgewachsen bin. Meine Erfahrung war in den letzten Jahren stärker mit Ungarn verbunden, weil ich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dort die Waldorfschulbewegung mit aufgebaut habe. In Ungarn ist mir die Frage nach dem Völkischen immer wieder begegnet. Dort war ich mit einer richtigen Re-Nationalisierung und Re-Ethnisierung konfrontiert. Diese staatsnationalistische Ideologie greift Grundgefühle der Menschen auf. Und die gibt es einfach, wir sehen es in Österreich, in Ungarn, in Frankreich. Die Angst vor der Globalisierung lockt diese Gefühle besonders stark hervor. Man wehrt sich instinktiv gegen etwas Vereinheitlichendes, das über das westliche und auch über das östliche Europa gelegt wird: Konsumgesellschaft, Wirtschaftsliberalismus, Technifizierung, Digitalisierung. All dies wird aber paradoxerweise zugleich – sogar begeistert – assimiliert. Vor einigen Jahren kam ich mit einer ungarischen Studentin ins Gespräch. Sie war begeistert von ungarischen Volkstänzen und hat darin ein Identitätsgefühl gefunden. Als ich sie dann fragte, ob sie nach dem Tanzen in Trachten wieder ihre Jeans anziehe und mit Freunden zu McDonalds gehe, war die Antwort: »Ja, natürlich.« Das zeigt, dass diese Form der Rückbindung auch etwas Künstliches hat.

TS:Österreich und Ungarn haben eine gemeinsame Geschichte und beide Länder scheinen einen starken Bezug zu diesem Ethnischen zu haben – das Beispiel mit dem Volkstanz hätte man auch aus Österreich erzählen können. In Deutschland wäre das wohl nur in Bayern möglich.

¬ Es ist wichtig, die Stellung einer Kulturnation zu verstehen, um sie den Demagogen aus der Hand zu nehmen. ¬

JD: Es geht hier ja nicht nur um die Idee von Ungarn oder Österreich, sondern um die Frage nach der eigenen Identität. Es ist sehr wichtig, sich mit der Frage der Kulturnation auseinanderzusetzen. Bei der Frage einer nationalen Identität gibt es sehr verschiedene Schichten. Einmal diese stammesmäßige, erdgebundene, provinzielle Ebene, aber eben auch eine tiefere, geistige Ebene, die mit dem Begriff der Kulturnation bezeichnet werden kann.

In Österreich ist nicht so ganz klar, ab wann man von einer österreichischen Identität sprechen kann. Österreich hat sich aber als Kulturnation etabliert, das merke ich immer wieder, wenn ich Passagen aus »Der Mann ohne Eigenschaften« von­Robert­Musil lese, was ich regelmäßig tue. Das ist eine bestimmte Art der Intelligenz, der Sprache, eine ganze Stimmung, die­seelisch sehr nahe ist und die mich irgendwie nährt. Sowohl in Österreich als auch in Ungarn leben die Menschen übrigens mit den verstümmelten und zurückgelassenen Überresten ihrer vergangenen Größe. All das ist Teil dieser Sehnsucht nach Identität.

Natürlich ist es gefährlich von einer »Volksseele« zu sprechen, aber ich sehe mich als Empiriker, und da ich in verschiedenen Kulturen zuhause bin, denke ich schon, dass es geistige Realitäten oder Kräfte gibt, die eine Nation oder Kultur prägen. Vor Kurzem bin ich über die Schweiz nach Frankreich gefahren, vom Badischen ins Elsass. Man merkt sofort, dass man in einer anderen Atmosphäre ist. Der Grund, sich mit diesen Identitäten auseinanderzusetzen, liegt für mich darin, die eigene Prägung und die Prägung anderer zu verstehen und nicht gleich wegzuschieben. Es ist wichtig, die Stellung einer Kulturnation im politischen Prozess zu verstehen und ihr eine neue Wertigkeit zu geben, um sie den Demagogen und Nationalisten aus der Hand zu nehmen.

TS:Was wäre solch eine neue Wertigkeit, die man hier positiv besetzen könnte?

JD: Diese Frage beschäftigt mich in den letzten Jahren in Bezug auf die Religionen. Ich glaube, wir können von einem Konzert der Religionen sprechen. Genauso können wir von einem Konzert der Völker sprechen. Die Volksmentalitäten können als Basis für etwas Geistiges stehen, das sich in ihnen inkarniert, was sich dann in Intuitionen artikulieren kann. Das erlebe ich jedes Mal, wenn ich die Sprache wechsle. Wenn ich ins Ungarische übergehe, dann muss ich anders denken, ich erfasse andere Zusammenhänge als im Französischen oder Deutschen. Diese Unterschiede kann man nicht direkt definieren, aber anschaulich machen.

TS:Österreich lebt noch immer vom Mythos der Kaiserzeit. Als Besucher Wiens hat man vor allem in der Innenstadt den Eindruck, dass die Zeit dort irgendwie stillsteht, was einen Teil des Charmes dieser Stadt ausmacht. Dort passen die Pferdekutschen wirklich noch in das Straßenbild. In Deutschland gibt es keine Stadt, nicht einmal München, die eine solche Identität aus der Vergangenheit bezieht. In den österreichischen Alpen ist es anders, aber ähnlich. Die zeitlose Schönheit der Berge und die professionell inszenierte Bergbauernwelt geben diesen Alpentälern eine Ausstrahlung, als wäre man Zeitgenosse in irgendwelchen Vorzeiten. Man ist da trotz Fernsehen und Internet innerlich seinen »Vorfahren« manchmal näher als unseren Mitmenschen im Ausland oder gar auf den anderen Kontinenten dieser Erde.

Ich lebe in Frankfurt. Das ist eine völlig andere Welt. Hier treffe ich in der U-Bahn andauernd Menschen von überall. Aber jetzt kann ich sogar im Aldi in Frankfurt Lederhosen und Dirndl für das Oktoberfest kaufen.

JD: Menschen mit einer weltoffenen, kosmopolitischen Haltung sollten sich dieses Themas annehmen, denn es ist wichtig, diese Identitäten im Kontext eines größeren Ganzen zu sehen. Man kann Traditionen pflegen, ohne sie mit einer politischen Agenda oder der unterschwelligen Botschaft einer Überlegenheit zu verbinden. Aber diese Rückbindung ist eben auch verständlich. Wenn ich zum Beispiel durch deutsche Städte gehe, dann bietet sich oft ein ähnliches Bild: die gleichen Geschäfte, von C&A bis dm mit ihrem Slogan »Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein«. In Ungarn und Frankreich gibt es ebenfalls immer mehr riesige Einkaufszentren. Das sind Tendenzen der Vereinheitlichung, die genossen werden und zugleich die Sehnsucht nach einer regionalen Identität wachrufen.

Ich sehe auch kein Problem, wenn man Volkssitten und -bräuche in einem lockeren Stil pflegt. Ein Problem wird es erst, wenn die Angst entsteht, ich werde mir selbst entzogen. Meine angeborene, anerzogene, gewohnte Lebenswelt verschwindet, weil etwas über mich kommt, das mir fremd ist. Es gibt einen abstrakten Universalismus, der uns von der eigenen Kultur entfremden kann. Die Frage ist, wie wir die gewachsene, mehr elementare Volkskultur mit der Hochkultur – zum Beispiel dem Deutschen Idealismus oder der großen Wiener Zeit Anfang des 20.

Jahrhunderts, die beide zugleich kosmopolitisch waren – individuell verbinden können. Ich denke, ein solcher neuer Bezug zu den Kulturtraditionen in einer globalisierten Welt ist heute wichtig.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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