Im Herzen Gottes
Ăber das Buch »Mystische Hoffnung« von Cynthia Bourgeault
August 1, 2014
Ted Chu kennt sich mit den spirituellen Traditionen in Ost und West genauso gut aus wie mit den transhumanistischen Ideen von einer technologisch verbesserten Welt. Welche Beziehung gibt es zwischen der Evolution des Bewusstseins und der Entwicklung der Technik?
evolve: Die Entwicklung des Menschen ist an einen Punkt gelangt, wo wir uns dessen bewusst werden, dass wir Teil der kosmischen Evolution sind. Gleichzeitig zeichnet sich die Möglichkeit ab, dass wir mittels Technik Lebensformen schaffen können, die viele unserer menschlichen Begrenzungen transzendieren. Werden Cyborgs, die âVerschmelzung von Mensch und Maschineâ, die nĂ€chste Stufe der Evolution sein?
Ted Chu: ZunĂ€chst einmal bin ich der Ansicht, dass der Mensch eine Maschine ist. Er ist eine auf Kohlenstoff basierende, durch die DNA codierte Lebensform, die auf der Mikroebene keinerlei mysteriöse Elemente umfasst. Verglichen mit von Menschen geschaffenen Maschinen ist der reale Unterschied die Ebene der KomplexitĂ€t. Das geheimnisvollste PhĂ€nomen ist unser Bewusstsein â wir kennen immer noch nicht dessen Ursprung, weshalb viele denken, es gĂ€be etwas Immaterielles namens âSeeleâ, das dem Körper innewohnt und ohne den Körper existieren kann. Ich bin offen fĂŒr die Möglichkeit der Seele und dem sich daraus ergebenden grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Aber ich denke, dass eines Tages ein kĂŒnstliches Bewusstsein geschaffen wird, womit gezeigt werden kann, dass Bewusstsein ein entstehendes PhĂ€nomen ist â etwas, das man beobachten und verstehen kann, wenn viele âdummeâ oder unbewusste Teile miteinander interagieren. Wenn sich dies als richtig herausstellt, dann kommen in der âVerschmelzung von Mensch und Maschineâ zwei Maschinen zusammen, um eine neue Ebene von KomplexitĂ€t und FĂ€higkeiten zu erreichen. Meiner Ansicht nach ist der Cyborg ein vielversprechender evolutionĂ€rer Schritt, denn es wir die FlexibilitĂ€t der Software (des Gehirns) mit der PrĂ€zision der Hardware verbinden.
e: Viele Philosophen sehen die Emergenz des technischen oder instrumentellen Bewusstseins in den letzten Jahrhunderten als eine Reduktion des menschlichen Bewusstseins und unseres menschlichen Potenzials. In diesem instrumentellen Bewusstsein werden die Welt und das Selbst objektiviert. Deshalb versuchen wir, die Wirklichkeit mit immer besseren Werkzeugen zu manipulieren. Wie kann der Transhumanismus ĂŒber diese entfremdete Beziehung zum Leben hinausgehen?
TC: Dieses so genannte technische oder instrumentelle Bewusstsein ist nichts Neues. Ein SelbstgefĂŒhl zu entwickeln, das vom Rest der Welt getrennt ist und die Dinge in der Welt als unterschiedliche Objekte zu sehen sind fundamentale psychologische Eigenschaften, ohne die wir nicht leben können. Das Neue seit der Industriellen Revolution ist die zunehmende Entwicklung von Werkzeugen und optimierten menschlichen Verbindungen (was zu immer komplexer werdenden Gesellschaften fĂŒhrt). Diese Entwicklung der Technik hat die FĂ€higkeiten und das Potenzial des Menschen dramatisch gesteigert. Dadurch wurde nicht nur unsere FĂ€higkeit verstĂ€rkt, die Wirklichkeit mit immer besseren Werkzeigen und kooperativer Zusammenarbeit zu manipulieren. Gleichzeitig steigerte sich auch unsere FĂ€higkeit und Bereitschaft, die Welt als ein gröĂeres Ganzes zu verstehen.
Durch Technik wird das menschliche Potenzial verwirklicht und nicht vermindert.
Die Idee der Einheit ist eine der tiefsten Einsichten oder Weisheiten. Sie beruht auf der Einsicht, dass nichts im Universum getrennt von allem anderen existiert. Zudem besitzen wir zwei Augen: das eine sieht die RealitĂ€t der Welt, das andere reflektiert das Ewige und Göttliche. Unsere FĂ€higkeit, uns von Objekten getrennt zu sehen und in Adam Smiths Worten ein âunparteiischer Zuschauerâ zu werden, ist eine grundlegende geistige FĂ€higkeit des Menschen.
Die psychologische Entwicklung ĂŒber das Selbst hinaus kann als Stufe der Perspektiven bezeichnet werden. Viele Menschen entwickeln heute ein ökologisches Bewusstsein oder sehen sich als WeltbĂŒrger. Aber letztendlich sind wir soziale Tiere. Die Denkweise des âWir gegen die anderenâ bleibt ein tief eingeprĂ€gter Instinkt. Selbst in den am weitesten entwickelten Gesellschaften können nur wenige Menschen die höchsten Ebenen des Bewusstseins erreichen, wo das GefĂŒhl des âEinsseins mit dem Universums (und allem darin)â vorherrschend wird. Das ist eines der Ziele des Transhumanismus â uns von unserem instinktiven Selbst zu befreien.
e: Sie sind auch mit den kontemplativen Traditionen vertraut. Diese Ăbungen fokussieren sich oft auf eine tiefe Erfahrung der PrĂ€senz des Bewusstseins, eine authentische Ich-Du-Beziehung zwischen Menschen oder eine tiefe Erkenntnis, dass der Einzelne und der Kosmos eins sind. Brauchen wir diese Ăbungen, um mit den neuen technologischen FĂ€higkeiten umgehen zu können und ihnen Tiefe und Bedeutung zu geben?
TC: Ja und nein. Das Gewahrsein fĂŒr unsere Verbundenheit mit der ganzen kosmischen Schöpfung kann eine wirkungsvolle Motivation sein, um Ziele zu verfolgen, die ĂŒber unser eigenes GlĂŒck hinausgehen. Kosmisches Bewusstsein ist ein zusĂ€tzlicher Antrieb fĂŒr diejenigen, die das gröĂte Abenteuer suchen â der Ăbergang von einer menschlichen zu einer post-menschlichen Welt.
Aber die kontemplativen Traditionen waren kaum effektiv bei der UnterstĂŒtzung der notwendigen Motivation fĂŒr Fortschritt und Risikobereitschaft. Die Kontemplation ĂŒber den Sinn des Menschen im Universum kann oft dazu fĂŒhren, dass wir uns aus dem Handeln zurĂŒckziehen.
Deshalb denke ich, dass wir die kontemplative Denkweise nicht unbedingt brauchen, aus einem einfachen Grund: die Natur und die Kultur haben sich ohne sie entwickelt, durch den wunderbaren Mechanismus der unsichtbaren Hand. Schon Adam Smith wies daraufhin, dass das Eigeninteresse in der kulturellen Evolution im Erreichen von Vorteilen fĂŒr alle resultieren kann, wenn es in einer eingemessenen sozialen Umgebung eingebettet ist. Letztendlich sollten wir uns auf das Eigeninteresse und unseren moralischen Instinkt verlassen. Die Kraft des Eigeninteresses ist weitaus stĂ€rker, aber sie muss âreguliertâ und kontrolliert werden, damit sie dem gröĂeren Ganzen dient.
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