Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
April 16, 2020
Der eine sieht eine große Gereiztheit und Dauereskalation in der Art und Weise, wie Menschen heute kommunizieren, vor allem in den sozialen Medien. Der andere fragt sich, welche Chancen für mehr Verbundenheit in der digitalen Sphäre erwachsen könnten. Der eine konstatiert eine zunehmende Skandalisierung in den Medien und die Demontage von Autoritäten. Der andere sieht einen Schritt zu mehr Mündigkeit, wenn Menschen vermeintlichen Autoritäten misstrauen. Der eine empört sich über allgemeine Diskursverwilderung, der andere beobachtet, dass die meisten Menschen gut miteinander auskommen, sich um Fairness, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Anstand bemühen.
Und dann beschließen die beiden, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Bernhard Pörksen, ein sehr besorgter Medienwissenschaftler, und Friedemann Schulz von Thun, ein eher optimistischer Kommunikationspsychologe. Kann das gut gehen?
Wenn »Die Kunst des Miteinander-Redens« das Thema ist, liegt es nah, das Buch in Form eines Dialogs entstehen zu lassen. Pörksen bringt die soziologische Perspektive ein, er kennt sich in den gesellschaftlichen Zusammenhängen und der öffentlichen Kommunikation aus. Schulz von Thun interessiert sich dafür, wie das persönliche Gespräch, die interne Kommunikation gelingen kann und wie Menschen ihre dialogischen Potenziale nutzen können. Stimmig ist diese Form auch deshalb, weil es inhaltlich immer wieder um Polaritäten und unterschiedliche Perspektiven, um ein Durchwurschteln im Dschungel der Dilemmata geht.
Zu Beginn fragen sich die beiden in einer Art paradoxer Intervention: Gibt es eigentlich eine zentrale Zutat, um Gespräche auf jeden Fall scheitern zu lassen? Ihre Antwort: Eine innere Haltung von »Ich bin das Ideal – und du bist der Skandal« ist ein erfolgreicher Dialogsprenger. Eigene Aufwertung, Abwertung des anderen – da braucht man erst gar nicht anzufangen.
Aber wie lässt sich mit Personen reden, die offenkundig menschenverachtende Meinungen von sich geben? Verweigere ich das Gespräch, trage ich zu Ausgrenzung bei, und ein Gefühl von Ausgrenzung ist oft der eigentliche Motor verächtlicher Meinungen. Lasse ich mich jedoch auf Gespräche ein, insbesondere im öffentlichen Raum, riskiere ich den Vorwurf der Vereinnahmung. Wie damit umgehen?
Schulz von Thun betont, wie wichtig eine klare Unterscheidung zwischen Verstehen, Verständnis und Einverständnis ist. Zunächst müsse man wirklich begreifen: Was sagt der andere, was meint er? Außerdem wäre zu fragen: Kann ich nachvollziehen, dass einSchulz von Thun betont, wie wichtig eine klare Unterscheidung zwischen Verstehen, Verständnis und Einverständnis ist. Zunächst müsse man wirklich begreifen: Was sagt der andere, was meint er? Außerdem wäre zu fragen: Kann ich nachvollziehen, dass einMensch zu einer solchen Meinung gelangen kann? Etwas ganz anderes ist Einverständnis: Stimme ich mit der Meinung und Haltung des anderen überein oder nicht? Doch selbst wenn jemand im Diskurs sehr deutlich macht, dass er die Position seines Gegenübers versteht, aber nicht billigt, kann es immer noch passieren, dass Zuhörer – sagen wir: einer Talkshow – ein empathisches Verstehen mit klammheimlicher Sympathie gleichsetzen.
Mit Rechtsextremisten in Dialog treten? Das Buch präsentiert keine einfache Anleitung, sondern schärft das Bewusstsein, dass es auf den jeweiligen Moment ankommt. Will ich in diesem Gespräch zuhören und verstehen – oder tue ich nur so, und will dem anderen nur rhetorisch geschickt klarmachen, was für ein Spinner er ist? Ist mein Gegenüber prinzipiell offen für das Gesagte – oder vollkommen verbohrt, sodass die Voraussetzungen für Dialog nicht gegeben sind? Das Erspüren von Stimmigkeit in Situation, Kontext und Absicht ist die Herausforderung. Es bleibt das Risiko des Aneinander-Vorbei-Redens bis hin zur verbalen Aggression. Es bleibt ein unsicheres Terrain.
Pörksen sieht eine »Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten«. Einerseits konstatiert er in traditionellen und neuen Medien zunehmende Aggression und Abwertung, andererseits sei eine Form von Betulichkeit entstanden, begleitet von fanatischer »political correctness«. Weichgespültes Formulieren statt echter Konfrontation, etwa gegenüber Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Wann braucht es den Brückenbau, wann die klare Abgrenzung?
Die Autoren spielen das am Beispiel der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 durch. Sie polarisierte die Diskussion. Etwas vereinfachend könnte man sagen: Für die eine Fraktion war es selbstverständlich, die Grenzen zu öffnen und Menschen in Not aufzunehmen; die andere hielt die schiere Zahl der Migranten für eine Überforderung und betonte deren Fremdheit und Sicherheitsrisiko. Darüber mit einem Pegida-Anhänger sprechen, der gerade ein »Ausländer raus«-Plakat durch die Straßen trägt: Ist das nicht aussichtslos? Schulz von Thun würde es versuchen; er würde vielleicht sagen: »Bevor ich Ihnen wahrscheinlich heftig widersprechen muss, würde mich doch interessieren, wofür und wogegen Sie eintreten und von welchen Argumenten Ihre Haltung getragen ist!« Das wäre aus seiner Sicht eine stimmige Kombination aus Empathie und »klarer Kante«.
Viele Tugenden, die als zuträglich für gelingende Gespräche beschrieben werden, sind aus Dialogprozessen bekannt, wie sie in zivilgesellschaftlichen Gruppen gepflegt werden. Dazu gehören aktives Zuhören, das Bemühen um empathische Zuwendung, die bedingungslose Akzeptanz der anderen Person, das authentische Sprechen aus dem Herzen. Der Reiz des Buches besteht in Vorschlägen, diese Tugenden mehr in die politische Sphäre einfließen zu lassen. Geht nicht? Weil dort kalte Konfrontation, festgefahrene Debatten, das schlagende Argument die Bühne beherrschen? Die beiden Autoren loten immer wieder Möglichkeitsräume für einen solchen Transfer aus, verschweigen aber auch die Grenzen nicht. Denn es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen der privaten und der politischen Kommunikation. Im ersten Fall hat man es mit einem Adressaten zu tun, im zweiten mit einem Publikum, das aus vielen Charakteren, Rollen und Strömungen besteht. Entsprechend wird mit völlig unterschiedlichen Ohren zugehört.
GIBT ES EIGENTLICH EINE ZENTRALE ZUTAT, UM GESPRÄCHE AUF JEDEN FALL SCHEITERN ZU LASSEN?
Menschen in der Politik befinden sich in einem Dilemma, das man mit »Rolle versus Authentizität« beschreiben könnte. Im Buch wird der Fall durchdekliniert, dass ein Mensch, der in der Öffentlichkeit steht, sich für einen Fehler entschuldigen möchte. Kommt nicht oft vor. Aber wenn, erlebt das Publikum nicht selten ein inszeniertes »Mea Culpa«-Theater, mit wohlgesetzten Worten, Verharmlosung des eigenen Fehlverhaltens plus Umarmung wahlweise der Ehefrau oder der Mutter vor den Kameras. Doch ist totale Transparenz, die völlige Selbstkundgabe die Lösung? Sie ist zwar authentisch, kann aber verstörend wirken und das berufliche Aus bedeuten. Also eine Entschuldigung strategisch kommunizieren? Da ist es bis zur Lüge nicht weit. Jede Entscheidung kann unangenehme Folgen haben – der teuflische Aspekt eines jeden Dilemmas. Das wird im Dialog der Autoren immer wieder deutlich.
In der Coaching-Literatur ist es üblich, starke Thesen zu vertreten und »leichte Lösungen« anzubieten. Wie wohltuend, ein Buch zu lesen, das auf marktkonforme Heilsversprechen und bequeme Rezeptverschreibungen verzichtet. Es spricht vielmehr all jene an, die es wertschätzen, für kommunikative Dilemmata sensibilisiert zu werden, Menschen, die eine eigene Orientierung für den Gang auf dem Glatteis des privaten und öffentlichen Gesprächs suchen.
Der selbstgewählte Anspruch des Soziologen und des Psychologen an ihren Dialog war hoch. Ihr Ringen um Verstehen zeigt, dass miteinander reden tatsächlich eine große Kunstfertigkeit verlangt. Ihr Buch ist ein gutes Beispiel, wie es gelingen kann. Oder wie Schulz von Thun es formuliert: »Die Wahrheit beginnt zu zweit.«