Ein freier Spieler werden

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Interview
Publiziert am:

January 12, 2015

Mit:
Eva-Maria Koch
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AUSGABE:
Ausgabe 05 / 2015
|
January 2015
Vom Körper den wir haben zum Leib der wir sind
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Entwicklung durch Bewegung


Als junge Tänzerin und Eurythmistin experimentiert Eva-Maria Koch mit den Möglichkeiten körperlichen Ausdrucks. Wir sprachen mit ihr über Bewegungskunst als Katalysator für Entwicklung.

e: Du hast Eurythmie studiert und bist heute Teil der Kompanie Vonnunan, die sich einer neuen Form von Bewegungskunst verschrieben hat. Was ist für dich das Besondere an der künstlerischen Arbeit mit Körper und Bewegung?

Eva-Maria Koch: Das faszinierende für mich ist eigentlich, dass wir durch unsere Kunst Welten erschaffen. Wenn wir vom ersten Skript über die Proben bis zur Aufführung kommen, dann kreieren wir schließlich eine Wirklichkeit, die auch für das Publikum zugänglich wird. In diesem Prozess verändere ich mich auch selbst, denn nach jedem Projekt sehe ich die Welt irgendwie neu. Die künstlerische Arbeit war für mich immer ein Entwicklungskatalysator, ein Push. Durch die Kunst kann ich diese Prozesse besser verstehen und werde befähigt, sie mit anderen zu teilen; ich kann andere Menschen in künstlerische Prozesse einladen, um Entwicklung zu ermöglichen.

e: Kannst du diese Veränderung, die du durch die Kunst erlebst, noch etwas genauer beschreiben.

EMK: Diese Veränderung hat verschiedene Ebenen. Durch die Bewegungskunst habe ich zunächst ein anderes Verhältnis zu meinem physischen Körper entwickelt. Ich erlebe den Körper als Haus, in dem ich wohne, und das ich besser kennengelernt habe. Die Eurythmie als Bewegungskunst beschäftigt sich mit dem physischen Körper, aber auch mit dem energetischen Körper und einer emotionalen und geistigen Ebene des Menschen. Ich habe erfahren, dass ich nicht nur mein physischer Körper bin, und kann die verschiedenen Ebenen immer besser differenzieren.

Sprache und Musik sind Ausdruck von etwas Geistigem und wir versuchen, dieses Geistige durch Bewegung auszudrücken.


In der Eurythmie werden diese Ebenen bearbeitet, um sie als künstlerische Ausdrucksmittel zur Verfügung zu haben. Ich muss zum Beispiel meine Emotionen kennen, um sie auf der Bühne wirkungsvoll einsetzen zu können. Oder auch eine Bewusstheit über meine gedanklichen Prozesse, weil auch die meine Bewegung beeinflussen und darin sichtbar werden. Wenn das eigene Wesen mit Körper, Gedanken und Gefühlen zu einem Instrument wird, das man schulen und stimmen kann, dann eröffnet sich ein unglaubliches Potenzial für Entwicklung. Eurythmie ist in diesem Sinne auch ein Schulungsweg. Für mich ist das ein Nebeneffekt, ich begebe mich in diese Schulung, um auf der Bühne wirkungsvoll sein zu können. Damit ich auf der Bühne frei bin, das zu machen, was ich machen will, und nicht beispielsweise durch Schamgefühl oder andere Gedanken und Gefühle gehemmt zu sein. Ich möchte in der Lage zu sein, sie auszudrücken, wenn ich es will. So kann ich zur Spielerin werden, die frei ist, zu spielen. Diese Freiheit muss ich mir erarbeiten. Und da hilft mir die Auseinandersetzung mit der Eurythmie, sie bringt mich als Mensch und als Bewegungskünstlerin weiter.

e: Eurythmie hat einen spezifischen anthroposophischen Hintergrund, wo auch von einem spirituell erweiterten Menschenbild ausgegangen wird. Welche Rolle spielen für dich solche spirituellen Aspekte?

EMK: Diese spirituellen Aspekte sind für mich total lebendig und immer präsent. Aber es ist nichts Zusätzliches für mich. In der Arbeit mit Eurythmie ist es so, dass auf Grundlage der Anthroposophie Musik und Sprache an sich als etwas Spirituelles betrachtet werden. Ich suche darin keinen tieferen Sinn, sondern das Wunder ist, dass wir überhaupt Sprache und Musik haben. Es ist also eigentlich ganz einfach und gleichzeitig etwas sehr Besonderes. Sprache und Musik sind Ausdruck von etwas Geistigem und wir versuchen, dieses Geistige durch Bewegung auszudrücken. Wir verwandeln beispielsweise Klang in Bewegung.

e: Was möchtest du in den Bühnenstücken, die ihr aufführt, bei den Menschen erreichen?

EMK: Die Stücke haben natürlich immer bestimmte Themen, aber unter diesen Themen liegt für mich das Grundthema Entwicklung. Für mich ist die Beschäftigung mit meiner Kunst ein Weg zu mehr Freiheit. Und unabhängig von den Themen, die unsere Stücke behandeln, ist das der Grund, weshalb ich auf die Bühne gehe: Damit ich im Moment auf der Bühne die Präsenz habe, ich zu sein, mit allem Chaos und aller Überforderung, die da sind – das bedeutet für mich, frei zu sein. Wenn die Zuschauer nachvollziehen, was ich in dieser Präsenz tue, eröffnet sich ein Raum, der alles verändert, was in dem Moment ist. Das ist meine Möglichkeit, mit Kunst die Welt zu verändern. Das mache ich in den Momenten auf der Bühne, wo es mir gelingt, und in den Workshops, die ich gebe.

e: Diese größere Freiheit, die sich in dir ereignet, kann sich dann auch in den Zuschauern ereignen.

EMK: Ja, und was das dann konkret für jeden bedeutet, ist offen. Aber es kann ein Impuls sein, dass jemand sagt, „Die haben das anders gemacht. Ich trau mir jetzt auch, etwas anders zu machen.“ Es ist vielleicht ein Impuls, der irgendwie weiterlebt in den Leuten. Diese ehrlichen Momente kommen wirklich an und sind wie ein Same, der wachsen kann, wenn er auf einen fruchtbaren Boden fällt.

e: Wie erlebst du die Zusammenarbeit eurer Kompanie Vonnunan? Und was ist das besondere Anliegen des Ensembles?

EMK: Zunächst einmal ist es für mich ein kreativer Umgang mit Eurythmie, bei dem ich sehr viel lerne. Was mich von Anfang an in der Eurythmie interessiert hat, ist die Verbindung von Sprache, Musik, Bewegung und Bühnenpräsenz. Erst im Studium habe ich dann gemerkt, was es bedeutet, sich auf eurythmische Art mit Sprache und Musik zu beschäftigten. Es war anders als andere Tanzformen und das Schauspiel, die ich vorher kennengelernt hatte.
Bei Vonnunan gehen wir über die klassische Eurythmie hinaus und benutzten verschiedene Elemente, um auszudrücken, was uns wichtig ist. Wir nennen es ganz bewusst „Movopoetische Kunst“. Mit dieser interdisziplinären Haltung gehen wir neue Wege. Und für mich ist es eine Möglichkeit, meine Erfahrungen mit anderen Formen von Bewegungskunst und Tanz einzubringen.
Die Zusammenarbeit in der Kompanie ist aber auch eine Art sozialkünstlerisches Experiment. Wir bekommen alle ein Grundeinkommen. Alle Einnahmen und Spenden, die wir im Kontext unserer Gruppe erhalten, fließen in einen Pool für ein Grundeinkommen, das wir als zehn Künstler und Organisatoren im Team erhalten. Das gibt uns die Freiheit, immer ein Einkommen zu haben, egal, ob wir gerade auf Tournee sind, ein Projekt entwickeln oder an einer Schule arbeiten.
So eine Zusammenarbeit erfordert natürlich unglaubliches Vertrauen untereinander. Es erfordert viele Gespräche darüber, wie wir zusammen arbeiten und leben wollen. Für mich ist es ein völlig neues Experiment, ich bin ja erst seit einigen Monaten dabei. Wenn man in eine schon bestehende Gruppe kommt, muss man erst erfahren, was dort lebt, so eine Gruppe ist ja wie ein eigenes Wesen. In den ersten Monaten habe ich viel von der Erfahrung der anderen gelernt. Jetzt merke ich, dass ich immer mehr meinen eigenen Beitrag, meine eigenen Impulse in die Gruppe geben kann. Dieser Zusammenfluss von individueller Kreativität und gemeinsamem Schaffen ist ja auch die Lebendigkeit solch einer künstlerischen Gruppe.

Author:
Mike Kauschke
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