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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

October 23, 2023

Mit:
Jascha Rohr
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AUSGABE:
Ausgabe 40 / 2023
|
October 2023
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Über das Buch »Die große Kokreation« von Jascha Rohr

Überschwemmungen, verheerende Stürme, Waldbrände, Rechtsruck, Krieg – die schlechten Nachrichten reißen nicht ab, viele Menschen fühlen sich überfordert, mutlos und resigniert. »Was kann man da als Einzelne schon machen?«, ist eine Frage, die mir in meiner Arbeit mit Menschen und Organisationen fast täglich begegnet. Glücklicherweise gibt es Bücher wie »Die große Kokreation« von Jascha Rohr, das sich hoffnungsvoll pragmatisch mit Fragen wie dieser beschäftigt.

Klar, es steht viel auf dem Spiel. Wir wären nicht die erste Gesellschaft, die sich selbst ausgelöscht hat, beziehungsweise die nicht rechtzeitig geschafft hat, sich an sich verändernde Lebensbedingungen anzupassen. So zum Beispiel die Rapa Nui auf der Osterinsel, die sich die Lebensgrundlage durch Abholzung ihrer Wälder entzogen haben (auch wenn diese Theorie nicht unumstritten ist). Für die Menschen auf diesem kleinen Eiland mitten im Pazifik war es damals nicht möglich, sich mal eben einen neuen Lebensraum zu suchen, zu isoliert und abgelegen war ihre Heimat.

Und ein bisschen vergleichbar ist das auch mit unserer heutigen Situation: Zerstören wir das Ökosystem, von dem wir Teil sind, können wir uns auch nicht einfach einen Ausweichplaneten suchen und umziehen, auch wenn bei dieser Vorstellung die Augen so mancher Tech-Mogule feucht werden und sie schon eifrig an deren Realisierung arbeiten. Zumal wir derzeit offenkundig nicht die beste Zwischenbilanz in der Hege unseres (noch) lebendigen Ökosystems vorweisen können. Da möchte man sich nicht vorstellen, wie erfolgreich wir auf einem Planeten wären, auf dem man die Bedingungen für Leben erst einmal herstellen müsste.

Zu sicher sollten wir uns also nicht fühlen, das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass das kein unabwendbares Schicksal ist. Davon ist Jascha Rohr überzeugt. Der Philosoph, Begleiter für partizipative Prozesse und Mitbegründer des Instituts für Partizipatives Gestalten zeigt in seinem Buch auf, wo wir derzeit stehen und auch, was es konkret zu tun gibt, um in Zukunft ein friedliches Miteinander auf diesem Planeten zu ermöglichen, wo alle in Sicherheit und ohne Mangel leben können. Sein Buch wendet sich an alle, die sich für Veränderung engagieren und die verstanden haben, dass es gemeinsam besser geht als allein. Es bietet Modelle, Methoden und Werkzeuge, aber auch Theorie an, die Lesende in ihrem Handeln unterstützen können.

Für dieses große »Was« – ein friedliches Miteinander auf unserem Heimatplaneten – benötigen wir das passende »Wie« – die Kokreation. Bevor wir uns die aber genauer ansehen, gibt es noch etwas anderes, mit dem wir uns beschäftigen müssen, denn dieses »Wie« braucht guten Boden, auf dem es wachsen kann: ein anderes Paradigma als das, was in den letzten paarhundert Jahren den Ton für die maßlose Ausbeutung und den uns nun drohenden Kollaps gesetzt hat.

»Alle und alles um uns herum ­einschließlich uns selbst sind Teilnehmende am großen, übergreifenden Prozess, der das Leben ist.«

Der wohl wichtigste Shift im Paradigma muss demnach der Perspektivwechsel im Hinblick auf unsere eigene Rolle im Gesamtsystem sein: Alle und alles um uns herum einschließlich uns selbst sind Teilnehmende am großen, übergreifenden Prozess, der das Leben ist. Partizipateure nennt Jascha Rohr sie, angelehnt an Bruno Latours und ­Donna Haraways Akteure. Aber während »Akteur« suggeriert, dass es auch hier ein passives Gegenüber gibt, schafft der Begriff »Partizipateur« Augenhöhe – alles und jeder nimmt gleich viel teil am Leben.

Wir müssen wegkommen von der Sichtweise, wir Menschen (der westlichen Hemisphäre) seien die einzigen Subjekte der Welt und alles andere stünde uns als nutzbare Objekte zur Verfügung, als sei die Welt unser All-you-can-eat Buffet. Dieser Subjekt-Objekt-Dualismus ist aus der Sicht von Jascha Rohr das »ontologische Grundproblem der ökologischen Krise«. Tatsächlich sind wir Menschen nämlich genauso Teilnehmende – Partizipateure – des Lebens wie jede Pflanze, jedes Tier, jeder Pilz, jedes Bakterium und jeder Stein und stehen somit in einer kontinuierlichen Wechselbeziehung mit der Welt in und um uns herum. Eine Wechselbeziehung, die sich uns nur zum Teil erschließt, außer wir sehen und spüren genau hin.

Und dieses Hinspüren kann man lernen. Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf das Dazwischen und die Bewegung statt auf Standpunkte und Zustände richten, können wir zu gestaltenden Teilnehmenden werden, zu Kokreateuren. Die beiden Begriffe, die hierfür im Buch eine zentrale Rolle spielen, sind »Felder« und »Prozesse«. Dabei sind mit Feldern die Wirkung und Kräfte gemeint, die die Partizipateure aufeinander haben. Der zweite Begriff, Prozess, beschreibt die sich zeitlich entfaltende Dynamik von Feldern. Prozesse sind nicht plan- oder steuerbar, sondern komplex und fraktal: Das ganze Leben ist Prozess, genauso aber jedes einzelne Leben und jede Lebensphase. Und während hier Planung und Kontrolle nicht funktionieren, kann man doch mit Prozessen interagieren und sie mitgestalten, während sie uns gestalten.

Und dieses Mitgestalten, diese Kokreation, darum geht es Jascha Rohr. Nur – wie sieht das aus? Wie kann man Kokreation lernen und üben, und was braucht man dafür?

Jascha Rohr gibt den Lesenden hier einiges an Modellen, Ideen und eigenen Erfahrungen an die Hand, ohne aber je zu schematisch zu werden. Denn für Kokreation kann es kein Rezept geben, jede Situation ist anders. Der Wunsch nach einer Anleitung ist verständlich und doch Teil des Problems, denn nachhaltige Lösungen sind immer kontextbezogen und erfordern die Interaktion mit den jeweiligen Feldern und Prozessen.

Dafür braucht es eine große Offenheit und Demut statt der Überzeugung, selbst am besten zu wissen, was richtig und gut ist. Und es braucht unsere Vorstellungskraft.

Das lässt Margaret Atwood in ihrem wohl bekanntesten dystopischen Roman »Der Report der Magd« einen ihrer Protagonisten sagen. Und so warnt auch Jascha Rohr vor der einen Utopie und rät dazu, den »eigenen Totalitarismus« zu bearbeiten und gemeinsam mit anderen Partizipateuren an einer übergreifenden und inkludierenden Vision zu arbeiten. Was wollen wir uns vorstellen? Welche Perspektiven fehlen uns möglicherweise, und wer findet in unserer Utopie vielleicht noch nicht statt? Diese und ähnliche Fragen müssen wir uns im Zuge von Kokreation immer wieder aufs Neue stellen, um wirklich etwas Gemeinsames, Tragendes zu entwickeln.

Das ist auch die Grundhaltung, die sich durch das ganze Buch zieht. Kein »ich weiß es besser als ihr«, sondern ganz viel »vielleicht« und »möglicherweise«. Offen und transparent erzählt der Autor von gelungenen Projekten aber auch von Prozessen, die nicht so verliefen, wie erhofft. Man glaubt ihm seine Liebe für das Lebendige und spürt eine große Demut, letztlich zwar nichts sicher zu wissen, aber doch zu vertrauen, dass alles wird, immer.

Die große Kokreation

Eine Werkstatt für alle, die nicht mehr untergehen wollen von Jascha Rohr. Erschienen im Murmann Verlag, 384 Seiten, 39,00 €

Author:
Rike Pätzold
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