Evolution kommt von innen

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Kolumne
Publiziert am:

August 1, 2014

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Ausgabe 03 / 2014
|
August 2014
Maschinen meditieren nicht
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Der aufrechte Gang und die dadurch freien Hände, die Fähigkeit zu sprechen und Sprache zu verstehen, das Denken und ein Selbstbewusstsein, das zu sich selbst „Ich“ sagt – diese Fähigkeiten machen den Menschen zum Menschen. Das kleine Kind lernt sie in den allerersten Jahren, aber nur in Anbetracht einer menschlichen Umgebung, die bereits aufrecht geht, spricht und denkt. Der menschliche Leib ist so gebaut, dass er diese Fähigkeiten ermöglicht, aber er bringt sie nicht hervor, zwingt sie nicht herbei. Auch die menschliche Umgebung regt diese Fähigkeiten bloß an. Sich aufzurichten, den Sinn von Worten und Sätzen zu verstehen und Selbstbewusstsein zu entwickeln, das muss das Kind selbst lernen, von sich aus, von innen.
Das individuelle Erlernen dieser menschlichen Fähigkeiten beim kleinen Kind ist eigentlich ein Wunder. Die Frage aber, wie denn in grauer Vorzeit die Menschheit Gehen, Sprechen und Denken gelernt habe, ist ein Rätsel. Mag die Natur auch einen dafür geeigneten Leib entwickelt haben – wer aber waren die Eltern, die menschliche Umgebung, an der die ersten Menschen diese Fähigkeiten erlernten?
Diese Frage hat immer wieder, zum Beispiel bei Rudolf Steiner und jüngst bei Thomas Nagel, den Gedanken aufkommen lassen, dass der seiner selbst bewusste Mensch nicht das zufällige Endprodukt einer sich von unten, von Materie über Leben und Beseelung entwickelnden Evolution sei, sondern ihr Anfang, Grund und Sinn, der sich in der Evolution nach und nach realisiert und zur Erscheinung bringt. Das Wesen des Menschen liegt der Evolution zugrunde und verdichtet sich durch alle evolutiven Stadien hindurch immer mehr, bis es schließlich im aufgerichteten, sprechenden und selbstbewussten Menschen selbst zur Erscheinung kommt. Das kleine Kind wiederholt diese Menschwerdung. Es ist von vornherein angeschlossen an die Sphäre, die der Evolution von jeher Sinn gibt und die die Vielheit der Welt zur Einheit gestaltet. Man mag sie das Absolute, den Grund des Seins oder Geistige Welt nennen und zu Bewusstsein kommt sie oft als Sphäre der Sinngebung und Sinnstiftung. Während das Kind noch vorbewusst, dafür aber umso wirksamer, aus dieser Sphäre schöpft und Mensch-Werden lernt, so wird der aufwachsende Mensch immer bewusster und autonomer in der Sinngebung seines Mensch-Seins.

Das Wesen des Menschen liegt der Evolution zugrunde und verdichtet sich durch alle evolutiven Stadien hindurch.


So klar es ist, dass ein solcher Gedanke unsere Anschauungen von Mensch und Welt umstülpt und das Innerste nach außen kehrt, so klar ist auch, dass er dem nun seiner selbst tatsächlich bewusst gewordenen Menschen die Verantwortung für seine eigene Evolution überträgt. Denn die Sphäre des Sinns ist nirgendwo anders als mitten im selbstbewusst gewordenen Menschen. Den Sinn seiner Existenz, die Ziele seiner Entwicklung muss er sich selber geben und aus sich heraus realisieren.
Dabei mag die Technik eine Unterstützung sein, aber sie kann nur von außen wirken. Wenn wir uns, statt selber zu meditieren, an einen Hirnscanner anschließen, der uns anzeigt, ob wir auf dem „richtigen“ Weg sind, wenn wir meinen, die Gene machten uns zum Menschen und sie deshalb manipulieren – dann bleiben wir hinter den eigentlich menschlichen Fähigkeiten zurück. Denn solche Maßnahmen veranlassen von außen, was eigentlich von innen zu entwickeln ist. Der Vegetationskegel der menschlichen Evolution liegt nicht im technisch Machbaren, so wenig, wie der Leib oder die Umgebung den Menschen Gehen, Sprechen und Denken lehren. Evolution kommt von innen. Sie entfaltet sich an der Stelle, wo sie am weitesten fortgeschritten ist und wird das Selbstbewusstsein und die mit ihr verbundene Autonomie so ausdifferenzieren, dass es zugleich Welt-Bewusstsein wird, dass es unser Angeschlossensein an die Sinn-Sphäre der Evolution unmittelbar und ungetrennt, bis in die Umgebung und den Leib hinein, zum Ausdruck bringt. Wer das vergisst, zieht den Menschen aus seiner genuin menschlichen Sinn-Sphäre ab.

Author:
Anna-Katharina Dehmelt
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