Franziskus ist in. Seit Langem gab es keinen Papst, der so viel Popularität besaß und so viele Hoffnungen schürte: auf eine Erneuerung der Katholischen Kirche, auf Antworten seitens der Religion, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden. In der mit Spannung erwarteten Ökologie-Enzyklika »Laudato Si – Über die Sorge für das gemeinsame Haus« hat sich Papst Franziskus nun mit klaren Worten in die Umweltdebatte eingemischt.
Beim Titel, aber auch beim Inhalt seiner Enzyklika bezieht sich Franziskus auf sein Vorbild, nach dem er sich benannt hat, dem Heiligen Franziskus von Assisi: »Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter«, heißt es in dessen berühmten Sonnengesang. Und der Heilige Franziskus ist für ihn auch die Inspiration für eine Haltung, die der Papst ins Zentrum seiner Überlegungen stellt: eine integrale Ökologie (in der deutschen Übersetzung der Enzyklika wurde »integral ecology« mit »ganzheitliche Ökologie« übersetzt). Die integrale Ökologie des Heiligen Franziskus habe sich dadurch gezeigt, dass »eine integrale Ökologie eine Offenheit gegenüber Kategorien verlangt, die über die Sprache der Mathematik oder der Biologie hinausgehen und uns mit dem Eigentlichen des Menschen verbinden.«
¬ INTEGRALE ÖKOLOGIE BEDEUTET DEN EINBEZUG VERSCHIEDENER ERFAHRUNGEN MIT DER NATUR. ¬
In der Enzyklika werden zunächst die menschlich verursachte Umweltzerstörung und dabei vor allem der Klimawandel in drastischen Worten beschrieben. Danach spricht Franziskus eine Religiosität der Naturverbundenheit an, und erklärt, warum es für ihn wichtig ist, diese inneren Dimensionen in die Ökologie einzubeziehen: »Wenn wir die Komplexität der ökologischen Krise und ihre vielfältigen Ursachen berücksichtigen, müssten wir zugeben, dass die Lösungen nicht über einen einzigen Weg – die Wirklichkeit zu interpretieren und zu verwandeln – erreicht werden können. Es ist auch notwendig, auf die verschiedenen kulturellen Reichtümer der Völker, auf Kunst und Poesie, auf das innerliche Leben und auf die Spiritualität zurückzugreifen.« Integrale Ökologie bedeutet für ihn also auch den Einbezug verschiedener Weltzugänge und Erfahrungen mit der Natur.
Einen ganz ähnlichen Ausgangspunkt nehmen die Autoren des Buches »Inte-grale Ökologie« Sean Esbjörn-Hargens und Michael Zimmerman: »Die zunehmende Einsicht in die Komplexität ökologischer Probleme hat Führungskräfte in Umweltorganisationen, Regierungen, Unternehmensbüros und Universitäten dazu bewegt, vermehrt nach interdisziplinären, multidisziplinären und sogar transdiszipli-nären Modellen zu suchen, um die Umweltprobleme zu lösen.« Esbjörn-Hargens und Zimmerman beziehen sich in ihrem Buch auf die integrale Theorie Ken Wilbers und entwickeln davon ausgehend ihre Form einer integralen Ökologie. Ob Franziskus und seine Berater dieses Buch zu Rate gezogen haben und damit die integrale Theorie im Vatikan Einzug hält, bleibt Spekulation.
Die Enzyklika widmet sich jedenfalls explizit der Beschreibung solch eines interdisziplinären Ansatzes, wie ihn der Papst versteht. Aber vor etwas macht seine Integralität halt: unserer technischen Zivilisation. Der werden im Text kräftig die Leviten gelesen. Bei vielem kann man sicher zustimmen, aber es wird dabei auch ein etwas einseitiges Bild gezeichnet, wie der »New York Times«-Kolumnist David Brooks bemerkt: »Legitime Warnungen vor den Gefahren des Klimawandels werden zu Horror-Szenarien der technologischen Zivilisation, die wir aus den 1970er Jahren kennen.« Brooks weist darauf hin, das gerade auch neue Technologien und der Aufstieg des Kapitalismus in Entwicklungsländern an manchen Orten zu verbesserten Umweltbedingungen geführt haben.
Die Enzyklika ist ganz sicher ein wichtiger Beitrag der Religion zu unserer Umweltdebatte, schon allein, weil sie sich an 1,2 Milliarden Gläubige richtet. In Kernaussagen zur Moderne, zu Familie und Sexualität bleibt sich die Kirche treu und lebt etwas in der Vergangenheit.
Aber ein Dialog hat begonnen, findet auch die radikale Umweltaktivistin Naomi Klein, die der Vatikan zu einer Konferenz über den Klimawandel eingeladen hat: »Die ganzheitliche Sicht der Enzyklika sollte ein Auslöser dafür sein, dass die Wirtschafts- und Klimakrise zusammen gesehen werden, statt sie getrennt zu betrachten.«