Fremdartige Zeichen

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Interview
Published On:

February 2, 2021

Featuring:
Inge Barié
Mark Rothko
Categories of Inquiry:
Tags
Issue:
Ausgabe 29 / 2021:
|
February 2021
Wissenschaft
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Ein Interview mit der Künstlerin Inge Barié

Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten der Künstlerin Inge Barié gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.

evolve: Wie sind Sie zur künstlerischen Arbeit gekommen und was hat Sie bewegt, diesen Weg einzuschlagen?

Inge Barié: Es war für mich zunächst kein Weg, sondern eher ­eine Notwendigkeit. Ich war 15 Jahre alt, war im Internat und habe mich sehr einsam gefühlt. Da fing ich an zu malen. Ich habe aber damals nicht gewusst, dass man so etwas als Beruf machen könnte, das war überhaupt nicht in meiner Sozialisation. Später habe ich vier Semester Archäologie studiert, mich aber weiterhin mit Kunst auseinandergesetzt. Als junger Mensch bin ich in alle möglichen Ausstellungen gegangen und mein erstes großes Erlebnis hatte ich in London. Dort sah ich eine Ausstellung von Mark Rothko, diese großen farbigen Flächen. Besonders faszinierte mich ein Bild mit orangenen Flächen – ich war erstaunt, dass es so etwas gibt.

e: Sie haben ja einen besonderen Ansatz, mit Naturmaterialien und Farben zu arbeiten. Wie hat sich diese besondere Arbeitsweise entwickelt?

IB: Es war schon immer mein Gefühl, dass ich bei meiner Arbeit auch ökologisch Verantwortung übernehmen muss. Die Verbundenheit mit der Natur war mir wichtig. Ich nutzte lange Zeit Pflanzenfarben, spürte dann aber, dass ich mich damit nicht mehr ausreichend künstlerisch ausdrücken konnte. Es blieb zu sehr an der Oberfläche, im Ästhetischen, im Schönen, mir fehlte mein tieferer Ausdruck. Deshalb bin ich zu Erdfarben übergegangen, die ich zum Teil selbst gegraben habe. Als Farbträger bin ich auf Kasein gestoßen, eine Mischung aus Quark und Kalk. Zudem habe ich dann mit verschiedenen Materialien wie Jute und Leinen experimentiert. Das Material muss so beschaffen sein, dass ich meinen Schmerz, meine Freude ausdrücken kann.

DAS MATERIAL MUSS SO BESCHAFFEN SEIN, DASS ICH MEINEN SCHMERZ, MEINE FREUDE AUSDRÜCKEN KANN.

e: Durch diese Farben und Materialien bekommen die Arbeiten auch einen bestimmten Ausdruck, eine bestimmte Anmutung, die etwas Irdenes oder Archaisches hat.

IB: Ja, es hat etwas Archaisches, weil ich etwas mache, was man eigentlich mit Kasein nicht machen dürfte. Ich nehme Sand dazu und das Kasein reißt dadurch auseinander. Diese zerrissene Oberfläche ist spürbar. Ich wünsche mir immer, dass die Menschen, die in meine Ausstellung gehen, die Arbeiten anfassen. Ich bin beglückt, wenn Kinder die Werke spüren, dass es rau ist, dass es auch ein bisschen geheimnisvoll ist, weil auch Löcher oder kleine Höhlen darin sind.

e: Sie haben Archäologie studiert und sich auch mit Mythologie beschäftigt. Viele Ihrer Werke haben einen mytho­logischen Bezug. Wie ist dieser thematische Bezug zur Mythologie entstanden?

IB: Ich glaube, dass diese Geschichten, diese Mythen auch etwas mit uns heute zu tun haben. Sie thematisieren ewige Themen wie Leid, Liebe, Kampf. Besonders haben mich immer die Frauengestalten in der Mythologie interessiert. Den Demeter-Mythos habe ich bearbeitet, dabei faszinierte mich vor allem die weibliche Entwicklung.

Mythen sprechen zudem von unserer Zugehörigkeit zur Menschheitsgeschichte. Wir alle tragen Schicksal in uns. Ich bin im Krieg geboren und trage auch Traumata aus meiner Familie in mir. Ich trage die Geschichte der Frauen in mir, die Ängste, die Unterwürfigkeit. Ich wurde noch sehr angepasst erzogen. Mir hat es geholfen, in den Mythologien den Wandel zu Freiheit und Selbstbestimmung mitzugehen und in Farben und Formen zu verwandeln. Vieles in mir hat sich darin »erlöst« und entwickelt.

e: Wie entstehen Ihre Werke, wie entsteht die Idee zu einem Werk und wie gehen Sie in die Umsetzung? Sie haben ja verschiedene Motive, die auch wiederkehren. Haben Sie vorher schon eine Idee oder entsteht es mehr im Tun?

IB: Das meiste entsteht dadurch, dass ich mich wie unter einem Zwang fühle, ich muss es jetzt tun. Ich weiß aber gar nicht, was ich tun muss. Und dann sind es die Pigmente, die ich mir anschaue, berühre, manchmal auch reibe und dann entsteht es in diesem Fluss. Es ist nie etwas, was ich mir ganz vorstelle, aber ich arbeite mit den Pigmenten und Farben, brenne die Arbeiten und so entsteht ein Fluss, in dem ich mich bewege, in dem ich schwimme, in dem natürlich auch vieles schiefgeht.

Author:
Mike Kauschke
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