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Essay
Publiziert am:

July 12, 2021

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Ausgabe 31 / 2021:
|
July 2021
Wir alle leben in Mythen
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Wie Star Trek uns nach den Sternen greifen lässt

Mit bisher sieben Fernsehserien, dreizehn Kinofilmen und mehreren Zeichentrick-Adaptionen hat Star Trek ein gigantisches Narrativ erschaffen. Die Abenteuer der Sternenflotten-Crews haben in Millionen von Fans rund um den Globus die Geschichte einer möglichen Zukunft geschrieben. Ist Star Trek ein moderner Mythos für unsere Zeit?

Das Raumschiff Enterprise, die Captains Kirk und Picard, der Vulkanier Spock oder der Android ­Data sind Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ein Begriff. Die Science-­Fiction-Serie Star Trek ist längst zu einer global verbindenden Vorstellung geworden, die eine Vision entfaltet für die Zukunft der Technologie und unsere von Diversität geprägte Menschheit. Wenn man in den Nachthimmel schaut und in das Funkeln der Sterne, kommt einem das Universum nahe. Wir wissen, dass wir irgendwie aus Sternenstaub entstanden sind. Doch wenn wir ins All aufblicken, ist da vor allem Staunen. Star Trek spielt seit mehr als 50 Jahren mit diesem Urstaunen und hat so einen neuen Mythos verankert, der zeigt, was in der Grenzenlosigkeit zwischen Himmel und Erde und darüber hinaus möglich werden kann, und so unsere Gegenwartskultur beeinflusst.

Gestartet in einer Phase politischer Eskalation, in der der Vietnamkrieg wie auch das Wettrüsten zwischen West und Ost zeigen, wie wenig die Menschheit aus den Schrecken zweier Weltkriege gelernt hat, bietet Gene Roddenberrys filmisches Epos eine Utopie für ein neues soziales Imaginäres des Pluralismus an. Hier werden die Weiten des Universums zu einem idealen Raum, mit neuen Gesellschaftsentwürfen zu experimentieren. Es ist ein Szenario, das den Nerv der Zeit trifft, in dem die ersten Weltraumprogramme den Menschen die Rätsel des Weltalls näherbringen und ihre Vorstellungskraft für unbekannte Welten öffnen. Während auf der Erde durch den Kalten Krieg eine globale Bedrohung allgegenwärtig ist, entwickelt Star Trek eine Vision davon, wie ein friedliches intergalaktisches Zusammenleben aussehen könnte. Die Abenteuer, die die Crew der Enterprise erlebt, halten den Zuschauenden Woche für Woche vor Augen, dass ein völlig anderes Miteinander denkbar ist als das, was sie gerade selbst auf ihrem Planeten erleben. Das Universum der »Vereinten Föderation der Planeten« greift dabei viele Ideen der Hippie-Kultur auf. In der Föderation ist privater Besitz abgeschafft, unterschiedliche Spezies arbeiten zusammen anstatt gegeneinander zu kämpfen, ein fairer Zugang zu Ressourcen für alle Völker sowie Gleichberechtigung sind eine Selbstverständlichkeit. Mit kraftvollen Bildern dieser besseren Zukunft bringt die Serie einen neuen Möglichkeitsraum in die Köpfe und Herzen vieler und gibt der eher düsteren Gegenwartskultur einen neuen Sehnsuchtsort.

Wie locker Captain Kirk mit seiner multi­kulturellen Crew umgeht und dass auf der Brücke der Enterprise Frauen wirklich etwas zu sagen haben, mag einem Teil des Fernsehpublikums befremdlich erscheinen. Star Trek präsentiert diese so andere Welt mit solch fragloser Lässigkeit und Bestimmtheit, dass die von der Serie ausgehende Faszination für jene zur Inspiration wird, denen die Lebensart auf Erden längst zu verstaubt und beengend ist. Während in Deutschland die Notstandsgesetze verabschiedet werden, in China die grausame Kulturrevolution beginnt und in den USA schwerste »Rassenunruhen« toben, zeigt Star Trek, wie eine humanistische Erneuerung der Spezies Mensch vorstellbar ist. Damit wird es zur Vision einer ganzen Generation und gibt ihr Seelennahrung. Seine Bilder formen ein kollektiv Imaginäres, das nach Verwirklichung zu streben beginnt. Als ich mir kürzlich die ersten Folgen der Originalserie anschaute, war ich überrascht, wie zeitgemäß sich der postmoderne Habitus, den ihre Protagonisten verkörpern, selbst in unserem Jahrtausend noch anfühlt. Gender-Gerechtigkeit und Political Correctness, die heute auf der politischen Agenda angekommen sind, hat die Serie von Anfang an als Realität gesetzt. Seitdem sind diese Fragen in der Welt, selbst wenn manche sie immer noch zu negieren versuchen. In den bald sechs Jahrzehnten, in denen uns die Filme begleiten, sind ihre progressiven Ideen durch das, was Fans aus ihnen gemacht haben, in unsere Alltagskultur eingesickert. Behörden, die gendern, Frauenquoten in der Politik und in Aufsichtsräten – wenn wir so weitermachen, stehen unsere Chancen gut, in den kommenden 130 Jahren zu den soziokulturellen Standards der Föderation aufzuschließen (ihre ersten Abenteuer beginnen im Jahr 2151 unserer Zeitrechnung). Selbst wenn Sie noch nie auch nur eine Folge von Star Trek gesehen haben, leben Sie heute mittendrin in einem Universum, in dem die Sternenflotte ihre Spuren hinterlassen hat.

STAR TREK GIBT EINER DÜSTEREN GEGENWARTSKULTUR EINEN NEUEN SEHNSUCHTSORT.

Diese Allgegenwärtigkeit wird besonders deutlich in unserer Beziehung zur Technologie. Der Warp-Antrieb, der die Raumschiffe der Föderation in die entlegensten Gegenden des Alls bringt, und die Teleportation (»Beam‘ mich hoch, Scotty!«) sind so ernst zu nehmende Zukunftsentwürfe, dass selbst die NASA viele Jahre entsprechende Grundlagenforschung betreibt. Mit Impulsen wie diesen trägt die Serie zu einer kulturellen Rekontextualisierung bei. Technologie ist auf einmal nicht mehr der Feind (wie die Kriegsmaschinerie vergangener Jahrzehnte), sondern wird geradezu herbeigesehnt. Star Trek beflügelt die Nerd-Kultur. Protagonisten wie der spröde und dabei supersmarte Vulkanier Spock liefern den Tech-Freaks Identifikationsfiguren. Holodecks mit ihren virtuellen Realitäten und Replikatoren, mit denen sich Gebrauchsgegenstände und sogar Nahrungsmittel in Sekunden herstellen lassen, inspirieren Menschen in aller Welt zu Erfindungen, die heute, beispielsweise in Form von VR-Brillen und 3D-Druckern, uns allen zugänglich sind. Als Apple-Gründer Steve Jobs vor gut zehn Jahren das neue iPhone mit Facetime vorstellte, erzählte er: »Ich bin mit Star Trek und seinen Kommunikatoren aufgewachsen und habe von Videotelefonie geträumt, und jetzt ist das real!« Viele der Technologien, die uns mit anderen Menschen verbinden, haben ihren Ursprung in den Fantasiewelten, die die Star-Trek-Produzenten uns bis heute schenken. Aus Bildern werden Lebenswirklichkeiten, indem Menschen ihnen gelebten Ausdruck verleihen. Die Serie wird es vielleicht nie in die offiziellen Geschichtsbücher schaffen, doch sie macht Geschichte(n). Und sie hält uns weiter vor Augen, wie es sein kann, nach den Sternen zu greifen.

Arte-Dokumentation über 50 Jahre Star Trek (ab Min. 2:00):

https://www.youtube.com/watch?v=kiTd18vgTrA

Author:
Dr. Nadja Rosmann
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