Gottes zerstreute Funken

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Book/Film Review
Published On:

April 21, 2017

Featuring:
Rüdiger Sünner
Paul Celan
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Ausgabe 14 / 2017:
|
April 2017
Leben lernen
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Über einen Film von Rüdiger Sünner

Der Berliner Filmemacher Rüdiger Sünner hat einen Dokumentarfilm über den Dichter Paul Celan gedreht. Ein langsamer Film, der in der Ruhe seiner Bilder das Leben und die poetische Kraft dieses großen­rumänisch-jüdischen Dichters darstellt, der trotz seiner unmittelbaren Erfahrungen mit der jüdischen Shoa nicht nur der deutschen Sprache treu blieb, sondern in ihr fast seinen letzten Halt in diesem­Leben fand.

Celans Vater war überzeugter Zionist. Seine Mutter führte ihn in die Welt der deutschen Lyrik und Romantik ein. Die Shoa nahm ihm beide. Als die Lage in den 40er Jahren für die rumänischen Juden dramatisch wurde, hatte der junge Celan für seine Eltern in ihrer Heimatstadt­Czernowitz ein Versteck organisiert, das sie aber nicht beziehen wollten. Celan trennte sich von seinen Eltern im Streit. Als er wieder zurückkam, waren sie bereits deportiert – ein Erlebnis, das ihn sein ganzes, kurzes Leben lang verfolgen sollte.

Wenn in Rüdiger Sünners Film Paul Celans wohl berühmtestes Gedicht, seine »Todesfuge«, vorgetragen wird, zeigen die kargen, fast monochromen Kamerafahrten alte Fotos, Gesichter aus den 40er Jahren, inmitten einer verrosteten Industrielandschaft, die sich erst langsam als Überrest eines Konzentrationslagers erweist. Je weiter sich der Film öffnet, umso klarer zeigt sich Paul Celans Leben und Werk als eine Reflexion der jüdischen Tragik des 20. Jahrhunderts. Und doch sind diese Scherben eines Jahrhunderts, gespiegelt im Leben und im Werk eines seiner größten Dichter, nicht das eigentliche Thema dieses Films.

Gleich zu Beginn von »Gottes zerstreute Funken« nimmt Rüdiger Sünner uns mit nach Israel, wohin Paul Celans letzte Reise vor seinem frühen Tod führte. In den 60er Jahren besuchte Paul Celan dort die Stadt Safed, einen wichtigen Ort für die Kabbala, in dem sich jüdische Flüchtlinge nach ihrer Vertreibung aus Spanien angesiedelt haben. Unter ihnen der reform­kabbalistische­Mystiker Isaak Luria, dessen außergewöhnliches Gottesbild Paul Celan tief bewegte. In Isaak Lurias Theologie geschah bereits zu Beginn der Schöpfung eine Katastrophe: Gottes Licht war zu stark für diese Welt, weshalb sich Gott gleich nach der Schöpfung ganz aus dieser Welt zurückzog. Aber selbst dann, als Gott sein Licht aussandte, war dieses Licht noch zu stark und zerbrach die ersten Seinsformen (»Gefäße«). Aber diese Welt reflektiert im Glitzern der Scherben die Herrlichkeit Gottes. Selbst – oder vielleicht gerade – im Zerbrochenen glitzert Gottes Licht, und es ist die Aufgabe der Mystiker und Dichter, diese Scherben in ihrem Leben und Werk wieder einzusammeln. Wenn Paul Celan vom »Lichtgewinn, meßbar, aus Distelähnlichem« schreibt, dann glitzert hier auch Isaak Lurias Theologie hindurch. Rüdiger Sünners Filmkamera begleitet Celans Leben und Worte mit Bildern aus der Natur oder von Orten, wo Celan lebte, fast zögerlich, scheu. Aber im Lichte von Celans Werk beginnt auch hier etwas anderes mitzuleuchten. Wenn sich Paul Celan in seinem Werk »zum Beschädigten hinabbeugt«, dann scheint er die Scherben der Welt wieder einzusammeln. Dabei ist Paul Celan kein Mystiker, kein religiöser Mensch. Zum organisierten Judentum hält er zeitlebens Abstand. Wie andere jüdische Geistesverwandte seiner Zeit – Franz Kafka, Theodor Adorno oder Walter Benjamin – besteht er auf der Zerbrochenheit der Welt. Lyrik, so Paul Celan, ist die einzige Mystik, die noch möglich ist.

¬ Paul Celans Leben und Werk zeigt sich als eine Reflexion der jüdischen Tragik des 20. Jahrhunderts. ¬

Rüdiger Sünner begleitet Paul Celan durch das Nachkriegsdeutschland, ein Deutschland, das seinem eigenen Grauen gerade erst entkommen ist und sich mit den Überlebenden der »Endlösung« sehr schwertut. Der Literaturkritiker­Hans-Egon Holthusen, der Paul Celans sperrige Gedichte als die Werke eines »Fremdlings« kritisiert, »der vom östlichsten Rand des deutschen Sprachraums kommt«, hat selbst einige Jahre zuvor in reichsdeutschen Almanachen von der »kriegswichtigen« Funktion des Dichters und vom »herrlichen« Tod auf den Schlachtfeldern gesprochen. Auf der anderen Seite verglich eine neue Dichtergeneration rund um die Gruppe 47, die sich vom Pathos des Nationalsozialismus in eine neue Nüchternheit geflüchtet hatte, die gefühlsintensive Lesung Paul Celans mit dem Vortragsstil von Josefs Goebbels.

Immer wieder zeigt Rüdiger Sünner, wie Paul Celan an diesem Nachkriegsdeutschland litt. Auch wenn er sich in Paris niedergelassen hat, was ihn am Leben hält, ist die deutsche Sprache, die Sprache der Täter. Er, der seine Eltern nicht begraben konnte, will in seinen Gedichten für die Toten auch »Textgräber« schaffen, so als könnte er den Opfern dieses Jahrhundertverbrechens im »Erdreich seiner Gedichte« eine würdige Ruhestätte geben.

Als die Witwe Yvan Golls, eines deutschen expressionischen Dichters, Celan vorwirft, sein Werk sei ein Plagiat der Werke ihres Mannes – ein Vorwurf, der mittlerweile widerlegt ist –, trifft es den jüdischen Dichter tief. Er besitzt eigentlich nichts anderes als seine deutsche Sprache. Es treibt ihn zu einem Selbstmordversuch, bei dem er versucht, sich ein Papiermesser ins Herz zu stechen. Er überlebt nur knapp.­Rüdiger Sünner beschreibt Celans Ringen mit sich selbst. Ein Ringen, das ihn auch in die französische Psychiatrie bringt, die ihn, den labilen Dichter und Zeitzeugen, mehr zerstört als heilt – »zerheilt«, wie es Paul Celan in einem seiner Briefe beschreibt.

Noch eine Begegnung Celans mit der deutschen Geschichte beschreibt Rüdiger Sünner in seinem Film: seine Begegnung mit dem Philosophen Martin Heidegger. Celan war ein Kenner von Heideggers Philosophie. Heidegger schätzte Paul Celans Gedichte ungemein. Zwei Männer, die sich in ihrem Werk tief berührten. Und doch stand ein Abgrund zwischen ihnen. Heidegger, der anfangs auch Nationalsozialist gewesen war, und der Überlebende der Shoa. Celan, der sich von der Begegnung viel erhofft hatte, schrieb in einem Brief, dass er bereit gewesen war, zu vergeben. Er hatte auf ein »kommendes Wort im Herzen« gehofft, auf eine Entschuldigung. Doch­Heidegger schwieg. Die beiden Männer fanden nicht zueinander.

»Gottes zerstreute Funken« ist ein Film über die Scherben einer katastrophalen Zeit, gespiegelt im Leben und Werk eines großen Dichters. Letztendlich zerbricht auch Paul Celan. Er stürzt sich vermutlich von einer Brücke in die Seine. Es sind nicht zuletzt die Bilder und Gedanken, mit denen Rüdiger Sünner den Dichter Paul Celan in seinem Film begleitet, die selbst in seinem Zerbrechen etwas aufleuchten lassen, das vor allem Bestand hat.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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