Göttliche Funken

Our Emotional Participation in the World
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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

January 16, 2017

Mit:
Nicolas Steiner
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 13 / 2017:
|
January 2017
Liebe in Zeiten von Trump
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Eine Besprechung des Films »Above and below«

Selten hat mich ein Dokumentarfilm so stark berührt wie »Above and below« des jungen Schweizer Regisseurs Nicolas Steiner. Gleich die ersten Bilder zogen mich hinein. Rick und Cindy leben schon länger in der Kanalisation unter der Glitzerstadt Las Vegas: moderne Höhlenmenschen in kerzenerleuchteten Schächten, die aus kargen Utensilien dennoch ein Stück Lebensqualität ziehen können. »Rick holt Mädchenkram für mich vom Müll«, sagt Cindy und lackiert sich jeden Fingernagel in einer anderen Farbe. »Die Farbe des Ringfingers sagt etwas über unsere Beziehung. Ich lackiere ihn rosa, weil momentan alles gut läuft.« Cindy, die kaum mehr Zähne, aber immer noch ein schönes Lachen hat, sagt kleine Lebensweisheiten in die Kamera: »Die meisten Menschen achten nicht auf die kleinen Dinge. Man küsst sich nur am Anfang, dann wird es weniger und weniger. Aber man muss das aufrechterhalten. Wir küssen uns immer noch und sagen uns, dass wir uns lieben.« Ein anderer Mann im Tunnel wird »der Pate« genannt: »Ich weiß nicht mehr, wie ich den Job bekam«, sagt er. »Ich sorge hier für gewaltfreie Lösungen, schlichte, versuche wie ein großer Bruder zu sein.«

¬ Die Poesie der Kamera gibt den Film-­Protagonisten ihre Würde zurück. ¬

Dave, ein weiterer Protagonist des Filmes, lebt in einem von Sand überhäuften alten Armeebunker in der Wüste, der wie ein Steinzeit-Grabhügel aussieht. »Charge, Baby, charge«, brummt er, während er ein paar alte Sonnenkollektoren poliert und uns winzige Moosflechten in der ausgedörrten Steinlandschaft zeigt. April, eine junge Frau, läuft in einem kargen Gelände Utahs mit einem Team in Astronautenkleidung he­rum, um eine mögliche Marsmission zu simulieren. Sie wolle eigentlich nicht, dass wir dorthin fliegen: Da wir Menschen alles zerstören, dann wohl auch den Mars, was doch schade wäre. Aber wir würden dort lernen, mit weniger Rohstoffen zurechtzukommen, uns zu beschränken, was eine solche Erfahrung vielleicht doch lohnenswert mache. April war mit der US-Army im Irakkrieg und hat in Abgründe geschaut, die sie schonungslos offenlegt: »Ich sah Menschen nicht mehr als echte Menschen an. Das konnte ich nicht mehr in dieser Hitze, wo zerstückelte Leiber am Straßenrand verfaulten. Um damit fertig zu werden, sah ich sie nicht mehr als Menschen an. Ich schäme mich dafür, aber nur so wurde ich damit fertig. Ich wäre gerne ein besserer Mensch gewesen, aber war es leider nicht.«

Wenn viel Regen fällt, werden die Tunnel unter Las Vegas überflutet und es besteht Lebensgefahr. Doch die meisten Bewohner haben einen Instinkt dafür, wann es gefährlich wird und räumen ihre Habseligkeiten weg, um nach der Flut alles neu einzurichten. Über der Unterwelt glitzern die Spielcasinos in allen Farben. »Ein Spielplatz für Erwachsene, die sich austoben wollen, ein riesiger Bonbonladen«, sagt einer der »Tunnel Dweller«, »doch hier unten lernt man das Überleben, auch für den Fall eines Weltkrieges oder so. Hier ist mehr Realität als da oben. Nicht dass oben keine Realität ist, aber es ist auch eine Art von traum­artigem Leben.« Als man die teuren Hotels und Casinos sieht, muss ich kurz an Donald Trumps protzige, aus 24 Karat Gold gebaute New Yorker Wohnung denken – und dass er auch hier in Las Vegas ein riesiges Luxus- hotel errichtet hat. Hybris, Überfluss, Angeberei auf der einen und das karge Leben der Film-Protagonisten auf der anderen Seite. Doch die Poesie der Kamera gibt ihnen ihre Würde zurück und zeigt, wie klug und einfallsreich sie ihr Überleben gestalten. Rick liest Cindy aus einer alten Zeitschrift eine Geschichte vor, in der am Schluss gefragt wird: »Können Sie die Schönheit im Schäbigen erkennen?« ­Cindy: »Das tun wir doch schon.« Am Schluss klettert Dave, der Mann aus dem Bunker, im magischen Frühmorgenlicht auf einen Hügel, auf dem sein Schlagzeug steht, und gibt ein hinreißendes Konzert: »Ich lasse keinen Sonnenaufgang aus.«

Tagsüber hatte ich meinen neuen Film über Paul Celan und die Kabbala geschnitten, die dazu aufruft, auch den kleinsten verstreuten »göttlichen Funken« zu ehren. Die Protagonisten dieser Doku führten mir das in der schönsten Form vor. Spät in der Nacht suchte ich im Netz noch die Mail­adresse des Regisseurs und gratulierte ihm zu diesem grandiosen Film.

Author:
Rüdiger Sünner
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