Grenzen der Technik

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

April 11, 2022

Mit:
Marin Petrov
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AUSGABE:
Ausgabe 34 / 2022
|
April 2022
Bewusste Netzwerke
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Organisationen, in denen der Mensch im Zentrum steht

Marin Petrov steht den technologischen Möglichkeiten der DAOs kritisch gegenüber, denn jede Technologie ist fehleranfällig. Als Tech-Experte, der an zahlreichen bekannten Animationsfilmen mitgearbeitet hat, plädiert er beim Aufbau menschlicher Netzwerke für den Vorrang unserer menschlichen Kreativität.

evolve: Neue Technologien wie DAO scheinen eine gangbare Alternative darzustellen, wie wir uns in autonomen, selbstregulierenden Netzwerken organisieren können. Du bist ein ausgesprochener Kritiker dieser Annahme. Kannst du uns sagen, warum?

Marin Petrov: Ich habe mich von Anfang an mit Kryptowährungen und DAOs beschäftigt, weil mich die Idee von dezentralen Steuerungsmodellen, selbstverwalteten Organisationen und Unternehmen wie Patagonia, die eine bessere Welt anstreben und nicht nur Profit im Sinn haben, anspricht. Aber ich habe festgestellt, dass viele dieser Ideen in der Komplexität der Technologie verlorengehen. In vielen Fällen schafft die Technologie beim Versuch, unsere Probleme zu lösen, neue Probleme. Genossenschaften, in denen Arbeiterinnen und Arbeiter organisiert sind, gibt es schon seit vielen Jahren, ohne dass Blockchain-Technologien notwendig wären. Viele der Herausforderungen, die DAOs zu lösen versuchen, wurden bereits von Arbeitergenossenschaften gelöst – dezentrale Verwaltung, gemeinsames Eigentum, Entscheidungsfindung. Gleichzeitig versuchen wir eine neue Technologie wie Blockchain über die menschliche Organisation zu stellen. Aber ich denke, wir sollten das Ganze von der anderen Seite her betrachten: Wenn wir uns auf eine bestimmte Art und Weise organisieren wollen, können wir das tun und dann nach einer Technologie suchen, die uns das erleichtert, anstatt die Technologie zu nehmen und alles dort hineinzupressen.

Den menschlichen Fähigkeiten vertrauen

e: Die Hoffnung ist, dass die Blockchain-Technologie eine neue, selbstregulierte Form der Organisation unterstützen kann, und zwar auch im globalen Maßstab. Damit hatte jede Form der Selbstorganisation immer Schwierigkeiten. Sie funktioniert in kleinen Umgebungen, aber nicht in einer globalen Welt.

MP: Betrachtet man die Geschichte und die Art und Weise, wie wir uns organisieren, lassen sich einige klar definierte Muster erkennen. In der Industriellen Revolution organisierten wir uns über pyramidale Unternehmensstrukturen. Das hat gut funktioniert, es hat uns neue Techniken und Fortschritt gebracht. Aber wir erlebten auch, wie die menschliche Seele gelitten hat: Die meisten Menschen in der Unternehmenswelt können sich mit der Art und Weise, wie sie arbeiten, nicht identifizieren. Sie haben das Gefühl, dass sie Teil einer seelenlosen Maschinerie sind.

¬ DIE MEISTEN MENSCHEN IN DER UNTERNEHMENSWELT HABEN DAS GEFÜHL, DASS SIE TEIL EINER SEELENLOSEN MASCHINERIE SIND. ¬

Im Moment zeichnet sich ein neues Muster ab: die nächste Generation der Organisation, die stärker dezentral orientiert ist. Vielleicht hat das Internet diese Idee ausgelöst, weil es grundsätzlich dezentral strukturiert ist. Wir haben gelernt, uns freier und auf Augenhöhe zu organisieren, was dem freien Markt ähnelt, aber nicht dasselbe ist. Wir sehen also, dass die Menschheit durchaus in der Lage ist, Paradigmenwechsel einzuleiten und neue Vorgehensweisen zu finden.

Vielleicht ist das der Grund, warum wir dieses Gespräch jetzt führen. Wir erkennen die Möglichkeiten von dezentralen Organisationen. DAOs stehen im Mittelpunkt dieser Diskussion, weil sie uns eine Möglichkeit bieten, dezentrale Strukturen umzusetzen. Aber damit sind auch spezifische technologische Probleme verbunden. Bei den DAOs ist der programmierte Code das Gesetz, und die Programmierung gibt vor, dass wir uns von einem Code lenken lassen. Aber jeder Programmierer wird bestätigen, dass es keine fehlerfreie Software gibt. Wenn wir also diese Organisationsgesetze generieren, werden sie irgendwann gebrochen, weil es Fehler im System gibt. Wir haben das bei DAOs schon oft gesehen: Sie werden gehackt, persönliche Konten werden geplündert und die Leute verlieren Geld.

Ich glaube an die Werte, die durch DAOs unterstützt werden können. Aber ich glaube nicht, dass die DAOs selbst der richtige Weg sind, diesen Werten Bestand zu geben. Das meiste, was uns DAOs zu bieten haben, wäre ohne sie einfacher zu bewerkstelligen. Ich war an Genossenschaften beteiligt, die sich technologisch organisiert haben – aber nicht mit Blockchain. Und ich sehe nicht, dass Blockchain uns in dieser Hinsicht bessere Möglichkeiten bietet.

e: Deine Aussage »der Code ist das Gesetz« bezieht sich auf die Möglichkeit der Blockchain, eine Währung intelligent zu gestalten. Wir können damit ein Token-System so programmieren, dass es ein Wertesystem widerspiegelt, auf das wir uns in einer DAO einigen. Das kann das Wertesystem der Wallstreet sein wie im Falle der Bitcoin-Währung, aber es kann auch das genaue Gegenteil sein und demokratisch, ökologisch nachhaltig, regional und dialogisch gestaltet werden. Oder wir können uns beispielsweise darauf einigen, dass Dinge, die wir in der näheren Umgebung kaufen, einen anderen Wert haben als Dinge, die vom anderen Ende der Welt herübergebracht werden. Wir müssen darüber nicht ständig neu verhandeln, weil eine DAO-Umgebung diese Entscheidung als Teil eines Smart-Contract-Systems festschreiben kann. Ist das nicht etwas, das uns helfen kann, uns auch in einem größeren Maßstab zu organisieren?

MP: Leider glaube ich nicht daran. Ich sehe es fast schon scheitern. Stell dir eine Welt vor, in der alles ›tokenisiert‹ wird, zum Beispiel deine Patientenakte. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles mit Token versehen ist und in der das Leben aus Interaktionen mit Token besteht: Du öffnest deine Haustür und dein Auto auf der Grundlage eines intelligenten Vertrags. Irgendwann wird das scheitern. Diese Komplexität ist einfach nicht zu bewältigen. Als Programmierer weißt du, dass jede zusätzliche Komplexität die Fehleranfälligkeit erhöht. Stell dir vor, dass die Technologie irgendwann ausfällt und du nicht mehr in dein Haus oder dein Auto kommst. Oder deine Patientenakte hat einen Fehler und du kannst nicht mehr zum Arzt gehen. An einer solchen Welt möchte ich nicht teilhaben.

Was können wir stattdessen tun? Wir können uns auf verteilte Weise organisieren, aber wir können stärker unseren menschlichen Fähigkeiten vertrauen, statt uns einem Code und Maschinen zu unterwerfen. Im Zentrum jeder menschlichen Organisation stehen die Menschen. Und wenn man den Maschinencode einbringt, nimmt man uns die Menschlichkeit. Und das ist es, worauf ich hinauswill! Denn es gibt eine Menge Leute, die denken, dass das eigentlich eine gute Sache ist, so wie man ein Spiel spielt, aber nicht um des Spielens willen und um Spaß zu haben, sondern um Geld durch NFTs oder andere Token zu verdienen. Wenn man die intrinsische Motivation durch Freude, Spiel und Menschsein verliert, ersetzt man sie durch extrinsische Motivation – und das ist doch eine jämmerliche Art zu leben.

Sorgfältig abwägen

e: Ich weiß deine Offenheit sehr zu schätzen. Der wichtigste Punkt, den du ansprichst, ist doch, dass Zusammenarbeit etwas zutiefst Menschliches ist. Diese Qualität durch Technologie und Codes zu ersetzen, macht daraus etwas Maschinelles. Aber ist es nicht so, dass die Blockchain-Technologie so oder so kommen wird und wir eine Entscheidung treffen müssen, wie sie in unser Leben tritt? Das könnte das China-Modell oder das Private-­Corporate-China-Modell sein. Es muss nicht vom Staat betrieben werden, es kann von Unternehmen betrieben werden. Aber im Grunde ist es das gleiche zentralisierte Machtzentrum, das die Kontrolle hat. Bietet eine autonome Organisation, wie DAOs sie ermöglichen, da nicht die beste Chance, sich auf bestimmte Bereiche zu einigen, die wir nicht programmieren wollen, weil es unmenschlich wäre, das zu tun, weil es unsere Menschlichkeit schädigen oder zerstören würde?

MP: Diese Debatten führen wir bei jeder Technologie. Wir führen immer wieder Technologien in die Welt ein, bei denen wir abwägen müssen, wie wir sie einsetzen, weil sie sehr mächtig, aber auch zerstörerisch sein können.

Ich stimme dir zu, dass wir diese Debatte führen müssen. Die Blockchain-Technologie wird uns erhalten bleiben, weil sie in bestimmten Aspekten wertvoll ist. Wir sollten sie nur nicht auf alles anwenden. Momentan sehe ich alle möglichen Dinge, die keine Blockchain brauchen, aber so tun, als ob sie sie bräuchten, selbst bei so einfachen Dingen wie Datenbanken. In bestimmten Fällen macht sie Sinn, aber wir müssen das sorgfältig abwägen.

e: Du hast recht, es gibt einen Hype um die Blockchain, eine Welle der Begeisterung, die alles ›blockchainen‹ möchte. Das hängt auch damit zusammen, dass die Leute denken, die Technologie allein könnte die Lösung bringen und nicht etwa das Bewusstsein. Und das ist an sich schon gefährlich. Aber ich möchte in unserem Gespräch noch einen weiteren Aspekt eröffnen: die Beziehung zur Technologie generell. Ein Teil der Dystopie besteht darin, dass wir eine Gesellschaft entwickeln, die eine Kombination aus zentralisiertem digitalem Feudalismus ist, der von libertären Wall-Street-Marktwerten beherrscht wird und keinen Raum für den menschlichen Beziehungsreichtum des Zusammenlebens in der Gesellschaft mehr lässt. Könnte die Idee, autonome Organisationen zu schaffen, die die Fähigkeit haben, sich von einer zentralen Technologie abzukoppeln, nicht auch eine Vision für unsere Zukunft schaffen? Eine Vision, die sich nicht grundsätzlich gegen die Technologie richtet, sondern erkennt, dass wir auch anders handeln können?

MP: Ich gehöre einer Genossenschaft an und bin der Meinung, dass wir mehr Genossenschaften in der Welt bräuchten. Sie sind einfach ein nachhaltigerer Weg, um Unternehmen zu gründen. Tatsächlich gibt es immer mehr Genossenschaften, vor allem jetzt durch das Internet. Es ist viel einfacher geworden, sich zu organisieren, egal wo auf der Welt man sich befindet. Und was ich auch sehe, ist, dass genau die Leute, die DAOs, Blockchain und Web3 vorantreiben, eigentlich Teil des alten Status quo sind, weil die Projekte, die initiiert werden, tatsächlich stärker zentralisiert sind als früher.

Von erfolgreichen
Experimenten lernen

e: Man muss sich auf jeden Fall darüber im Klaren sein, dass es sich bei den treibenden Kräften um Player handelt, die von einfluss­reichen Akteuren in der Szene unterstützt werden, und um ein Wertesystem, bei dem es um schnelles Geld geht. Ein Gegenargument, das ich in diesem Zusammenhang gehört habe, ist, dass die technologische Kapazität des Video-Streamings, die wir jetzt in vielfältiger Weise nutzen, im Grunde von der Pornoindustrie erfunden wurde. Der Wille, mit Pornografie schnelles Geld zu verdienen, hat diese technologische Kapazität des Videostrea­mings geschaffen. Das ist kein Grund, gegen diese Technologie zu sein. Man muss sich das mit offenen Augen ansehen und die Gefahren erkennen. Aber vielleicht ist es wichtig, die Technologie für einen anderen Zweck zu ›stehlen‹. Ich will die Gefahr, auf die du hinweist, nicht kleinreden. Im Gegenteil, ich stimme dir sogar völlig zu. Die Frage ist, ob es eine andere Antwort gibt oder ob wir sogar die Notwendigkeit akzeptieren müssen, diese Technologie für einen anderen Zweck zu vereinnahmen.

¬ IM ZENTRUM JEDER MENSCHLICHEN ORGANISATION STEHEN DIE MENSCHEN. ¬

MP: Ja, das haben wir in der Vergangenheit schon erlebt. Sogar das Internet wurde mit militärischen Ideen im Hinterkopf entwickelt. Die Atombombe gab den Anstoß für neue Wege der Stromerzeugung in der Welt. Ja, auch böswillige Akteure können etwas erfinden, das für die Gesellschaft tatsächlich von Nutzen ist. Ich habe kein Problem damit, solange wir nicht zulassen, dass dies einen Schneeballeffekt auslöst, der nicht mehr aufzuhalten ist.

Ich sehe viele Menschen, die wirklich gleichgesinnt sind und die gleichen ­Werte anstreben. Sie leben mit den gleichen ­Ideen im Hinterkopf und begrüßen DAOs aus diesen Gründen, weil sie das Potenzial der Technologie sehen. Das ist in Ordnung, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass diese Technologie so aufgebaut ist, dass sie uns nicht wirklich hilft. Die Grundlagen dieser Technologie müssen sich ändern, damit sie für uns nützlicher wird.

e: Wie kann sie verändert werden, um etwas anderes zu ermöglichen?

MP: Genossenschaften sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich Menschen organisieren können. Es gibt riesige Genossenschaften mit tausenden von Menschen, die zusammenarbeiten. Fast keine von ihnen nutzt DAOs und die Blockchain-Technologie dafür. Wir wissen, wie man sich organisiert, wie man verteilte Entscheidungen trifft und wie man eine Vision für die gesamte Genossenschaft entwickelt. Selbst riesige Organisationen können eine Vision und eine Strategie auf all diesen verteilten Ebenen festlegen.

¬ DIE MENSCHHEIT IST IN DER LAGE, PARADIGMENWECHSEL EINZULEITEN UND NEUE VORGEHENSWEISEN ZU FINDEN. ¬

Ich halte viel davon, sich solche bereits existierenden und erfolgreichen Modelle anzusehen, sie zu nutzen und dieses Wissen freier zu verbreiten – statt allem und allen eine bestimmte Technologie aufzuzwingen und zu versuchen, sie auf Biegen und Brechen einzusetzen. Denn die meisten DAOs und die Menschen, die mit ­DAOs zu tun haben, kämpfen mit der Entscheidungsfindung, einem Problem, das wir eigentlich seit 50 Jahren gelöst haben. All diese Muster, die bereits in innovativen Formen der Selbstorganisation und in Genossenschaften existieren, können also in größerem Maßstab eingesetzt werden. Ich denke, das ist der bessere, menschlichere Weg, um voranzukommen, anstatt ein technologisches Tool zu nehmen und mit aller Gewalt zu versuchen, es überall zu implementieren.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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