Große Fragen

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

January 12, 2015

Mit:
Gerard Senehi
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AUSGABE:
Ausgabe 05 / 2015
|
January 2015
Vom Körper den wir haben zum Leib der wir sind
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Bildung für das Leben


Gerard Senehi will mit seinem Open Future Institute einen Aspekt in die Bildung bringen, der oft in der Vermittlung von Wissen untergeht: Unsere menschliche Fähigkeit, die großen Fragen des Lebens zu stellen. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit mit jungen Menschen als Fragende.

evolve: In deiner Arbeit mit dem Open Future Institute möchtest du jungen Menschen die Gelegenheit geben, gemeinsam über große Fragen ihres Lebens zu reflektieren. Wie kamst du zu diesem Engagement in der Bildung?

Gerard Senehi: Zwei Erfahrungen waren hierbei wichtig: Zum einen meine eigene Erfahrung in der Schule. Ich dachte damals wie jeder Schüler darüber nach, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Und ich hatte das Gefühl, dass meine Erziehung mich nicht wirklich darauf vorbereitet hatte, solche Fragen zu stellen. Der zweite Impuls kam durch meine eigene Untersuchung großer Fragen, in die ich mich in späteren Jahren auf dem spirituellen Weg sehr intensiv begeben habe. Ich erfuhr, dass wir solche Sinnfragen wirklich stellen und tief erforschen können. Es gibt nur oft keinen angemessenen Rahmen dafür.

e: Welchen Rahmen habt ihr für die Arbeit mit solchen „großen Fragen“ entwickelt?

GS: Die Grundidee ist, den Schülern einen Raum zu geben, um über existenzielle Fragen zu reflektieren: Was heißt es, ein Mensch zu sein? Was ist im Leben wirklich wichtig? Wie gehen wir mit schwierigen Situationen und komplexen Fragen um? Was ist unsere Rolle im Kosmos? Um über solche Fragen gemeinsam nachzudenken, haben wir einen erfahrungsorientierten Prozess erarbeitet, der im Grunde fünf Säulen umfasst.
Zuerst untersuchen die Schüler ihre Fähigkeit, sich zu entscheiden. Dabei können sie über ihre eigenen Erfahrungen mit den Entscheidungen, die sie treffen, reflektieren. Sie blicken in das Mysterium der Entscheidungsfreiheit: Die Tatsache, dass wir konditioniert sind und trotzdem diese geheimnisvolle Autonomie und Handlungsfreiheit haben. Dadurch wurd das Bewusstsein für die Entscheidungsfreiheit gestärkt und die Jugendlichen entdecken die kreativen Möglichkeiten, die mit dieser Handlungsfähigkeit einhergehen.
Die zweite Säule ist der Sinn, denn sobald sie ihre eigenen Erfahrungen mit Entscheidungsfreiheit tiefer verstehen, ermutigen wir sie, den Sinn zu erforschen, der ihre Entscheidungen bewegt. Sie haben diese grundlegende Entscheidungsfreiheit und müssen ihre Zukunft bestimmen. Wir unterstützen sie darin, ihre eigene Erfahrung damit zu machen, was sie inspiriert, und was diese Inspiration für die anderen, für die Gesellschaft, für die Zukunft bewirken kann: Wie kann es bedeutsam und sinnvoll für das größere Ganze sein?
Wir sprechen dabei nicht über statische Entscheidungen oder einen statischen Sinn. Die Schüler lernen in ihrer eigenen Erfahrung, dass der Sinn nichts Statisches ist. Man kann den Sinn natürlich auf eine bestimmte Sache oder eine spezifische Aufgabe herunterbrechen, aber letztendlich geht es um etwas Größeres. Es ist etwas tief Menschliches, das uns innerlich bewegt, es nimmt unterschiedliche Formen an und entwickelt sich im Laufe der Zeit. Wenn die Schüler den Sinn so verstehen, dass er sich entwickelt, haben sie nicht das Gefühl, dass sie eine endgültige Antwort auf Sinnfragen finden müssen. Es ist vielmehr eine lebenslange Auseinandersetzung, für die wir ihnen einige Anregungen geben wollen.

Wir wollen den Schülern helfen, ihr Leben als etwas zu sehen, in dem ein Sinn, den sie selbst gefunden haben, zum Ausdruck kommen kann.


Die nächste Säule ist Furchtlosigkeit. Sobald wir mit unseren Wahlmöglichkeiten und mit dem, was uns inspiriert, in Berührung kommen, können wir eine Quelle der Stärke finden, um mit Angst umzugehen. Junge Leute erfahren so viel gesellschaftlichen Druck, ihnen wird gesagt, wie oder wer man zu sein hat und was man machen soll. Ein offenes Gespräch über Fragen von Furchtlosigkeit und Mut in Beziehung zu dem, was sie als das Wichtigste empfinden, kann in ihnen Stärke und Unabhängigkeit reifen lassen.
Die vierte Säule ist Verbundenheit, weil es für uns als Einzelne so wichtig ist, zu erforschen, dass wir Teil einer zutiefst miteinander verbundenen Gesellschaft sind. Wir existieren nicht isoliert in einer Blase. Das gibt Schülern den Raum, das Mysterium zu erforschen, dass wir sowohl ein eigenständiges Individuum als auch ein untrennbares Teil des Ganzen sind.
Die letzte Säule ist der Blick auf den größeren Kontext, der sich aus der zwischenmenschlichen Verbundenheit ergibt. Wir können den größeren Kontext, in dem wir existieren, tiefer verstehen. Wir können sehen, wer wir als Teil eines größeren Lebensprozesses sind und wir lernen auch den Umgang mit Komplexität. Wir können einen Schritt zurücktreten und die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, und so unsere Sichtweise der Probleme in der Welt erweitern.
In diesem Prozess sind die fünf Säulen eine Grundlage, aber der Raum, den wir kreieren, soll eher dazu dienen, dass die jungen Menschen ihre eigenen Erfahrungen erforschen können. Wir wollen ihnen nicht erzählen, wie es ist. Wir wollen den Schülern helfen, ihr Leben als etwas zu sehen, in dem ein Sinn, den sie selbst gefunden haben, zum Ausdruck kommen kann.

evolve: Wie setzt ihr diesen Prozess in der Praxis konkret um?

GS: Momentan experimentieren wir in mehrere Richtungen, wir stehen mit dem Projekt ja noch ganz am Anfang. Zum einen haben wir ein ko-kreatives Labor mit Universitätsstudenten an der Florida State University gegründet, in dem wir „Laborleiter“ trainieren. Dazu haben wir ein Curriculum entworfen, das auf den fünf Säulen basiert und mit dem die Studenten arbeiten können, wenn sie ein Gespräch leiten. Außerdem sind wir gerade eine Partnerschaft mit einer Highschool in der Bronx in New York City eingegangen, um einen „Big Question Day“ zu organisieren. Damit wollen wir die ganze Schule in den Umgang mit tiefen menschlichen Fragen einbeziehen. Wir werden den stellvertretenden Schulleiter und zwei Lehrer ausbilden, um einen optionalen Kurs für Schüler anzubieten. Dafür haben wir ein Curriculum erarbeitet, das wir „QUESTion“ nennen.

e: Wie wirkt sich der Prozess, den ihr anbietet, auf die Schüler und Studenten aus?

GS: Wenn man jungen Menschen eine Form gibt, in der sie etwas erforschen können, das sie wirklich betrifft, finden sie den Raum, sie selbst zu sein. Sie genießen es, miteinander auf dieser Ebene zusammenzusein und zu sehen, dass sie ähnliche Fragen haben. Wir haben eine Bewertungsmethode entwickelt, mit dem wir vor und nach dem ko-kreativen Labor Antworten in den fünf Säulen erfassen. Studenten, die sich vor dem Kurs isoliert fühlten, berichteten, dass sie sich hinterher stärker verbunden fühlten. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass allein dadurch, dass sie den Raum haben, um tiefste Gedanken, Inspirationen und Themen zum Ausdruck zu bringen und offen diskutieren zu können, sich eine bestimmte Trennung in ihnen selbst auflöst. Es erlaubt ihnen, tiefer sie selbst zu sein und selbst zu erforschen, was das tatsächlich für ihr Leben bedeutet.

Author:
Mike Kauschke
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