Heart of a Dog

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Buch/Filmbesprechung
Publiziert am:

January 21, 2016

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Ausgabe 09 / 2016:
|
January 2016
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Die Fragilität des Lebens tritt oft in Form des Unerwarteten in unser Bewusstsein. Und hinterlässt tiefe Spuren. Der Angriff auf das World Trade Center im Jahr 2001 hat als historisches Ereignis die Welt verändert. Besonders in den USA wurden sich die Menschen damals plötzlich bewusst, dass man auch als amerikanischer Zivilist zum Ziel unerwarteter Angriffe aus der Luft werden kann, zur Beute eines unbekannten Feindes. In ihrem Film »Heart of a Dog« greift Laurie Anderson dieses Motiv unvermittelter Bedrohung auf und versucht sich der existenziellen Dimension, für die es steht, künstlerisch anzunähern. Sie ist mit ihrer Terrierhündin Lolabelle auf einer Wandertour in Kalifornien, auch, um die Attacke auf das World Trade Center, das unweit ihrer Wohnung im East Village in Manhattan stand, zu verarbeiten. Aus heiterem Himmel zeigt sich ein hungriger Habicht und nimmt den Hund im Sturzflug ins Visier. Erst spät im Anflug merkt er, dass er sich in der Größe seiner potenziellen Beute verschätzt hat. Der Habicht dreht wieder ab und die Kamera fängt das unschuldige Erstaunen in Lolabelles Augen im Großformat ein, während die Gefahr noch in der Luft zu liegen scheint.

Es sind diese unerwarteten, intensiven, bisweilen auch sanft-humorösen Assoziationen, die »Heart of a Dog« zu einem sehr ungewöhnlichen Dokumentarfilm machen, dem ersten der Sängerin, Komponistin und Performance-Künstlerin, die vor allem durch ihr Stück »O Superman« berühmt wurde. Die in der Szene wahrnehmbare Verletzlichkeit bildet den Ausgangspunkt einer subtilen Erkundung von Tod und Verlust, die im Laufe des Films ganz persönliche wie auch gesellschaftskritische Töne annimmt.

Der Film umspannt die Jahre, in denen Anderson ihre Mutter und ihren Mann, den bekannten Sänger Lou Reed, sowie ihre mit den Pfoten malende und Klavier spielende Lolabelle verlor. Die Geschichten all dieser Trennungen webt sie zu einem poetischen, oft surrealen Bild- und Klangteppich, der den Zuschauer mit großer Sensibilität an die universelle Frage der Vergänglichkeit führt.

¬ »ICH HABE GELERNT, DASS DER SINN DES TODES IST, DIE LIEBE ZU BEFREIEN.« ¬

Anderson filmt selbst, mit unsteter Kamera, in einem Stil, der sowohl an Heimvideos erinnert, als auch, in seinen oft verschwommenen oder übereinander gelagerten Bildern, das Erzählte verfremdet und verzaubert. Tropfen, die an Glas herabrinnen, oder die Verästelungen kahler Winterbäume ziehen die Aufmerksamkeit in einen leeren, fremd scheinenden Raum und schaffen eine Stimmung der Zeitlosigkeit, des Elementaren. Im ständigen Wechselspiel dazu beschäftigt sich Anderson, getreu ihrer experimentellen und innovativen Arbeitsweise, mit ganz konkreten Fakten: der zunehmenden Datenüberwachung durch das »Department of Homeland Security« nach 9/11 zum Beispiel, Assoziationen denen nicht immer leicht zu folgen ist.

Am stärksten ist Anderson in ihrer offenen Verletzlichkeit, dem Mut, mit dem sie zum Beispiel ihre eigene Auseinandersetzung mit dem Sterben ihrer Mutter beschreibt, von der sie glaubt, nicht geliebt worden zu sein. »Was ist, wenn ich (sie) nicht lieben kann?«, fragt sie sich selbst und ihren tibetanischen Lehrer verstört und folgt gewissenhaft dessen Anleitung, um diesen Gewissensknoten in einer sehr dramatischen Erinnerung, die hier nicht vorweggenommen werden soll, zu lösen.

Die Anweisungen ihres buddhistischen Lehrers ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film, wie auch durch Andersons Leben: »Übe, Traurigkeit zu fühlen, ohne traurig zu sein«, sagt er zu ihr. Auch Wittgensteins Philosophie bezieht sie mit in ihre Betrachtungen ein und entwickelt so ihre eigenen, tiefen Einsichten in die Zerbrechlichkeit und Schönheit des Lebens, das den Tod mit einschließt: »Ich habe gelernt«, so Anderson, »dass der Sinn des Todes ist, die Liebe zu befreien.« Mit meditativer, fast tranceartiger Stimme beschreibt sie auch ihre Zeichnungen, die Lolabelles Aufenthalt im Bardo umkreisen – dem Ort, an dem, dem Tibetischen Totenbuch zufolge, die Seele nach dem letzten Atemzug für 49 Tage verweilt.

»Heart of a Dog« ist eine lyrische Collage, deren Erzählstränge erst langsam ihren Zusammenhang freigeben. So intim wie die Bilder und Geschichten, die Anderson aus ihrem Leben zeigt – der verstorbene Hund auf seinem Kissen, Lou Reed in zärtlicher Umarmung mit Lolabelle, ihre Mutter auf ihrem geliebten Pferd – so universell ist die Weisheit, mit der sie sich dem Thema Tod nähert. Laurie Anderson hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu zeigen, dass im wachen Umgang mit dem Hier und Jetzt eine tiefe Positivität selbst durch unsere schmerzhaftesten Erfahrungen leuchten kann.

Author:
Uli Nagel
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