In der Corona-Krise waren wir alle zu einer sozialen Distanzierung und Isolation gezwungen. Ironischerweise erlebe ich die derzeitige Situation aber zugleich als eine großartige Gelegenheit, sich wieder neu zu verbinden und unsere Beziehungen zu heilen.

Warum? Weil das Coronavirus eine kollektive Konfrontation mit dem Tod ist. Wir erkennen plötzlich die Zerbrechlichkeit unseres Lebens. Dies erschüttert unsere festgefahrenen Ideen und Verhaltensweisen und bietet uns die Möglichkeit, sie zu verändern. Dies ist die perfekte Gelegenheit, um wahrhaftige, ehrliche Gespräche mit unseren Lieben zu führen. Wir können in Bereiche eintauchen, die hinter der sich ständig bewegenden Routine des normalen Lebens verborgen bleiben.

Ich begann diese Reise der Heilung meiner Beziehungen, indem ich eine Liste aller Menschen in meinem Leben schrieb und neben jedem Namen notierte, was ich ihnen sagen wollte, wenn ich wirklich ehrlich wäre. Das beinhaltete ungelöste Spannungen und Konflikte aus unserer Vergangenheit ebenso wie etwas, das ich heimlich über die Person und ihr Leben dachte, aber mich in der Vergangenheit nicht getraut hatte ehrlich auszusprechen. Dann nahm ich langsam allen Mut zusammen, um diese schwierigen Gespräche zu führen und hrlicher mit mir und der Welt umzugehen.

UNSERE GESPRÄCHE WAREN IMMER WIE EIN TANZ ZWISCHEN MITGEFÜHL UND EHRLICHKEIT.

Mit dieser Praxis habe ich erstaunliche Erfahrungen gemacht. Ich konnte Freunden sagen, dass sie auf verschiedene Weise Hilfe brauchen. Ich habe mich damit beschäftigt, was sich in unseren Beziehungen trennend ausgewirkt hat und warum ich mich von
ihnen gefühlsmäßig entfernte. Ich bin mit Lebens- und Liebespartnern aus meiner Vergangenheit in Verbindung gekommen, gegenüber denen ich noch immer viel Ärger und Schuld empfand.

Aber die größte Wandlung erlebte ich mit meinen Eltern. Mir wurde klar, dass ich ein ganzes Leben lang unausgesprochene Gefühle vor mir herschob, die ich verarbeiten musste, wenn ich eine Beziehung zu ihnen aufbauen wollte, auf die ich stolz sein konnte. Dies wurde zu einem der bedeutendsten Wendepunkte in meinem Leben. Gemeinsam haben wir begonnen, uns mit dem generationsübergreifenden Trauma zu befassen, das uns alle betrifft. Wir versuchten zu verstehen, wie es von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde. Solche Gespräche bieten die einmalige Chance, die Dynamik dieses Traumas zu stoppen und zu verhindern, dass es an die nächste Generation weitergegeben wird. Ich bin unglaublich dankbar und auch ein wenig überrascht, wie offen meine Eltern bereit waren, diese Gespräche zu führen und diese Arbeit auf sich zu nehmen.

Unsere Gespräche waren immer wie ein Tanz zwischen Mitgefühl und Ehrlichkeit. Einerseits wollte ich meinen Eltern gegenüber meine Wut über die schwierigen Aspekte in meiner Erziehung zum Ausdruck bringen. Aber ich erkannte auch, dass ich diese schmerzhaften Erfahrungen mit Mitgefühl und Achtsamkeit ansprechen musste, wenn es gute Gespräche werden sollten.

In unserem Streben nach sozialer Transformation konzentrieren wir uns oft entweder auf die innere Arbeit oder auf direkte
politische Maßnahmen zur Bekämpfung der Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft. Die Beziehungsarbeit wird dabei meistens
außer Acht gelassen und als weniger wichtig angesehen. Verstärkt wird dies durch unsere individualistische Gesellschaft, die alle Probleme als vom Einzelnen und von innen kommend betrachtet. Es ist schwer zu verstehen, dass ein Trauma auch als etwas betrachtet werden kann, das im Raum zwischen Individuen und nicht in den Individuen selbst existiert.

Ich glaube, dass eine Bewegung, welche die vergiftenden dominanten Systeme und die Kultur unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich infrage stellt, auf Praktiken der Beziehungsbildung basieren wird. Die Menschen, die momentan in unserem Leben um uns sind, erreichen wir am besten, und sie sind diejenigen, die wir mit großer Wahrscheinlichkeit in eine neue Welt einladen können.

Ich sehe diese Heilung von Beziehungen auch als eine zutiefst spirituelle Praxis – die sich nicht, wie einige annehmen, auf unsere Zeit auf dem Meditationskissen beschränkt. Eine Möglichkeit, auf die spirituelle Arbeit zu schauen, besteht darin, eine tiefere Ganzheit in unserer Beziehung zur Realität anzustreben. Aber oft sind es Blockaden in unseren Beziehungen, die dieser Ganzheit im Wege stehen. Indem wir diese Blockaden auflösen, können wir zu einer ganzheitlichen Welt beitragen.

So verabschiede ich mich mit einer Frage: Könnten Sie die Corona-Krise als Chance nutzen, Beziehungen aufzubauen und zu heilen und damit in dieser Zeit einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, eine neue Gesellschaft und ein neues System zu schaffen, das auf der Grundlage von Liebe und Fürsorge basiert?