Herausforderung tut gut

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

April 5, 2021

Mit:
Ronan Harrington
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AUSGABE:
Ausgabe 30 / 2021:
|
April 2021
Kunst öffnet Welten
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Ein Netzwerk, das Führende verändert

Mit dem Netzwerk Alter Ego schaffen Ronan Harrington und Richard Bartlet einen Begegnungsraum, in dem Vordenker und Führende transformative Prozesse erfahren, um sich wirksamer und freudvoller für den gesellschaftlichen Wandel einzusetzen.

evolve: Wie bist du dazu gekommen, die ­Initiative Alter Ego ins Leben zu rufen?

Ronan Harrington: Der Katalysator für die Entstehung von Alter Ego war meine politische Tätigkeit. Mir wurde klar, dass die Linke keine Zugkraft entwickelte und dass über einen abgeschwächten Neoliberalismus hinaus keine Vision vorhanden war. Ich spürte, dass hier etwas nötig ist, das über die Politik hinausgeht, dass wir im Wesentlichen eine spirituelle Revolution brauchen. Unsere Vision für die Welt stammt aus tiefen, mystischen Erfahrungen, durch die wir die heilige Ordnung der Dinge wirklich verstehen lernen. Und dennoch ist der Weg dahin, diese Vision zu manifestieren, der lange, harte, tägliche politische Weg der Umsetzung in Institutionen, Regeln und Führungsstrukturen.

Alter Ego ist ein Versuch, jene Polaritäten von spiritueller Vision und politischer Veränderung, von Liebe und Macht zu verbinden. In praktischer Hinsicht begann diese Arbeit 2016 mit einer Zusammenkunft, die mit dem Ziel stattfand, das politische Handeln durch eine tiefere Analyse zu bereichern. Im Laufe der Zeit hatte ich im Rahmen der verschiedenen Positionen, die ich innehatte, ein gutes Netzwerk von einflussreichen Menschen in unserer Gesellschaft aufgebaut. Und alle, die ich für Pioniere und Vertreter der Avantgarde hielt, wurden dann von mir eingeladen. So kamen 80 Führungskräfte aus ganz Europa zusammen, darunter Abgeordnete verschiedener Parlamente, Vorsitzende von Beratergremien und zukunftsweisenden Bewegungen, Vordenker und Schriftsteller. Der Zweck der Zusammenkunft war einerseits der Versuch zu artikulieren, was spirituelle Politik ist, und andererseits tatsächlich einen Raum zu schaffen, in dem Menschen diese Vision auf tiefgehende Weise erfahren können.

e: Kannst du etwas mehr über die konkrete Arbeit von Alter Ego sagen und wie sie sich entwickelt hat?

RH: Wie schon gesagt, auf einer ganz praktischen Ebene organisieren wir Treffen. Das letzte fand im September in Paris mit etwa 40 Leuten statt. Jedes Mal bieten wir eine Umgebung, in der sich die Teilnehmenden mit ihren blinden Flecken und der Begrenztheit ihrer jeweiligen Ideologie – was wir auch als »ideologischen Mikro­nationalismus« bezeichnen – auseinandersetzen können. Mit diesem Begriff meine ich einen Glaubenssatz, den viele Leute aus dem gesamten politischen Spektrum, aber vor allem in progressiven Kreisen hegen: »Wenn nur der Rest der Welt so denken und handeln würde wie ich, dann wäre die Welt ein besserer Ort.« Das Problem dabei ist, dass alle anderen glauben, dass du Unrecht hast und wegen deiner Auffassung von der Wirklichkeit moralisch zu verurteilen bist. Aus diesem Grund schlage ich Führungskräften vor, folgende Frage zu beantworten: Wen verachtest du? Wir wollen diesen massiven ideologischen blinden Fleck mit Bewusstsein erhellen und einen sicheren, mutigen und aufrichtigen Raum erschaffen, wo wir uns diese Tendenzen in jedem von uns eingestehen können. Wir beginnen damit, jenen Muskel der Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit auszubilden, um erhellendere Gespräche in einer energiegeladenen Atmosphäre anzuregen.

Alle, die zu unseren Treffen kommen, versuchen auf der einen oder anderen Ebene einer neuen Zivilisation zur Geburt zu verhelfen. Auch bewegen sich viele von ihnen aus ihrer alten Gruppenzugehörigkeit heraus und versuchen, in dem Raum zwischen Gruppierungen als Mediatoren wirksam zu werden, um etwas zu finden, was die verschiedenen Weltanschauungen und Wertesysteme miteinander verbinden könnte.

Um dies zu unterstützen, schaffen wir »Crews«, denen sich die Aktivisten anschließen können. Das Format besteht aus Gruppen mit jeweils sechs Mitgliedern, die sich alle zwei Wochen treffen. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um einen Raum, wo man Spannungen und Probleme loswerden kann, um einen Raum für Co-Counselling und Co-Therapie. Du kannst dort einbringen, was auch immer dir gerade Sorgen bereitet, und eine Lösung dafür finden, du hörst zu, wie andere mit ihrem Problem umgehen, und ihr ermutigt euch gegenseitig.

Ich organisiere Alter Ego zusammen mit Richard Bartlett, der als Vordenker viele Kompetenzen besitzt, vor allem im Hinblick darauf, wie Gruppen funktionieren und Netzwerke zusammenarbeiten können. Seine Idee der Mikrosolidarität dient uns als Grundlage für unsere Arbeit. Es handelt sich dabei um die Idee, dass man auch zwischen Fremden enge Beziehungen aufbauen kann und dass Mut eine tragende Rolle beim Prozess des Beziehungsaufbaus spielt: Wir ermutigen uns gegenseitig.

ALTER EGO IST EIN VERSUCH, DIE POLARITÄTEN VON SPIRITUELLER VISION UND POLITISCHER VERÄNDERUNG ZU VERBINDEN.

e: Wie orchestriert ihr diese Alter-Ego-Events, um solche transformativen Erfahrungen zu ermöglichen?

RH: Im Laufe der Jahre haben wir die Kunst eines geeigneten methodischen Entwurfs für den Transformationsprozess entwickelt: Wie kannst du ganz bewusst eine Reise planen oder zugänglich machen, die das Ego der Menschen verändert?

Ein Grundsatz von uns ist, von dem Paradox auszugehen, dass einerseits Ernsthaftigkeit, Authentizität und Verbindlichkeit nötig sind. Zugleich aber braucht es auch Ironie, wir brauchen einen Sinn für das Absurde. Ich finde Clowning und die Arbeit mit dem Narrren in uns sehr wichtig als Türöffner, die professionelle Identität beiseite zu lassen, die sich zu ernst nimmt. Wenn die Menschen sich einfach fallen lassen und entspannen können, sind sie auch dafür offen, die Gespräche zu führen, die für sie von Bedeutung sind.

Dabei nutzen wir viele Prozesse, von Gesprächskreisen im Plenum und vertraulichen Zwiegesprächen bis hin zu Waldspaziergängen mit verbundenen Augen. Wir nutzen das Format von Collaboration Cafés, wo die Leute einander tiefgehende Fragen stellen können. Oder wir verwenden schamanische Rituale und geführte Meditationen.

e: Wann ist die nächste Zusammenkunft geplant?

RH: Wir planen die nächste Zusammenkunft für September in Paris mit offenen Anmeldungen. Unsere Events werden von uns intensiv vorbereitet und betreut. Wir verbringen viel Zeit damit zu recherchieren, wen es da draußen so gibt, der unserer Meinung nach wichtige Arbeit leistet. Und wir reservieren Plätze für offene Anmeldungen. Es gibt immer Leute, die wir noch nie gesehen haben oder an die wir nicht gedacht haben. Und gerade die werden schließlich die wichtigsten Change Maker oder haben die kraftvollsten transformativen Erfahrungen.

Mit unseren Zusammenkünften wollen wir die Menschen in führenden Positionen unterstützen, von denen wir annehmen, dass sie wirklich etwas beitragen und bewegen können. Wir wollen ihr inneres Führungssystem aktivieren, dieses tiefe Lauschen, das uns erkennen lässt: Wohin werde ich geführt? Wohin werde ich gerufen, um dienen zu können? Und wir ermutigen einander, darauf zu vertrauen, dass es eine größere Intelligenz gibt, die uns in diesem Prozess führt.

Author:
Mike Kauschke
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