Ich bin verbunden, also bin ich

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Book/Film Review
Published On:

January 31, 2019

Featuring:
Rolf Elberfeld
Jürgen Habermas
Platon
Plotin
Decartes
Immanuel Kant
Hegel
Martin Heidegger
Aaron Kaay
Adorno
Gottfried Willhelm Leibnitz
Christian Wolff
Friedrich Schlegel
Wilhelm von Humboldt
Hartmut Rosa
Novalis
Annette von Droste-Hülshoff
Rainer Maria Rilke
Husserl
Kenko Yoshida
Fritz Heinemann
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Issue:
Ausgabe 21 / 2019:
|
January 2019
Die Zukunft der Religion
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Eine Rezension des Buches »Philosophieren in einer globalisierten Welt« von Rolf Elberfeld

Rolf Elberfelds brandaktuelles und brillant geschriebenes Buch »Philosophieren in einer globalisierten Welt« kommt zur rechten Zeit, weil es unseren Blick für philosophische Konzepte außereuropäischer Kulturen öffnet und uns die Beschränktheit der eigenen, oft ethnozentrischen Perspektive vor Augen führt. Während des Fluges zum Weltkongress der Philosophie 2013 in Athen saß Elberfeld neben Jürgen Habermas und las einen chinesischen Text. Es kam zu einem Gespräch über Asien und Habermas fragte nach einiger Zeit: »Meinen Sie wirklich, dass diese Kulturen genauso komplex sind wie Europa?« Der Unterton dieser Frage zeigte, dass Habermas davon wenig überzeugt war. Kritisch entfaltet Elberfeld daher am Anfang seines Buches die einseitige Prägung der europäischen Philosophiegeschichte, die außerhalb der Traditionslinie Platon, Descartes, Kant, Hegel, Heidegger, Adorno und Habermas wenig Anderes hat gelten lassen und immer noch die akademischen Lehrpläne bestimmt. Dabei kann der Autor überzeugend nachweisen, dass schon etwa die antiken Meisterdenker Platon und Plotin vom Orient beeinflusst waren und die christlich bestimmte Philosophie des Mittelalters jüdische und arabische Einflüsse bewusst unterdrückte. Er weist auch auf die Ambivalenz der Aufklärung hin, die die Idee universeller Freiheit propagierte, aber auch ein europäisches Überlegenheitsgefühl kultivierte, was sich u. a. in rassistischen Elementen bei Kant und Hegel zeigt. Dass Europa, in dem die Selbstentfaltung des Geistes laut Hegel erst vollends zu sich kam, in unzählige Eroberungskriege verstrickt war, wurde immer verschwiegen. Im 16. Jahrhundert stritt man in philosophischen Debatten darüber, ob der »Wilde« eine Seele besäße oder nicht. Nachdem man ihm diese gnädig zugestand, wurde beschlossen, dass sie nun durch Zwangschristianisierung »gerettet« werden müsste. Philosophen und Theologen rechtfertigten die brutale Kolonisierung Südamerikas mit der Einsicht in die »träge« und »schwerfällige« Natur der Indios, denen doch nichts Besseres passieren konnte, als nun von den Europäern »kultiviert « zu werden. Gerechterweise erwähnt Elberfeld auch Ausnahmen wie Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Wolff, die sich für chinesische Philosophie interessierten oder Friedrich Schlegel, der Sanskrit studierte und die Indologie mitbegründete.

Erst langsam setzt sich heute die schon von Wilhelm von Humboldt erkannte Tatsache durch, dass unterschiedliche Sprachen auch zu verschiedenen Denkwegen führen und dass sich durch den Kontakt zu außereuropäischen Kulturen unsere Begriffe von »Wissen«, »Moderne«, »Tradition«, »Identität«, »Individuum«, »Subjekt« und »Ich« verändern werden. Europa, so Elberfeld, müsse Abschied von dem ethnozentrischen Vorurteil nehmen, Gipfel der »Moderne« zu sein. Es gäbe auch andere Formen der »Moderne«, etwa in Japan, wo man es – anders als der Westen – geschafft habe, Technik, moderne Organisationsformen und spirituelle Traditionen zu verbinden. Im Dialog mit japanischen und chinesischen Philosophen kann Elberfeld deren Kritik an der Selbstherrlichkeit des westlichen »autonomen Subjektes« deutlich machen. Die Denktraditionen des Ostens haben immer darauf hingewiesen, dass das »Ich« viel weniger isoliert und autonom dasteht, als es glaubt. Statt des cartesianischen »Ich denke, also bin ich« favorisiert Asien ein »Ich bin verbunden, also bin ich«. Die Grenze zwischen mir und der Natur, den anderen Menschen und Dingen wird eher fließend gedacht, das »Dazwischen« ist wichtiger als das Beharren auf einer festen Entität. Anders als Aristoteles, der das Seiende in seinem unveränderlichen Wesen bestimmen wollte, plädierte z. B. der Daoismus dafür, das sich ständig Wandelnde in eine gelingende Ordnung auszubalancieren, was innere Beweglichkeit, Wahrnehmungssensibilität und Angstlosigkeit gegenüber dem Vergänglichen und »ganz Anderen« voraussetzt. Elberfeld bringt, wie jüngst der Soziologe Hartmut Rosa, den Begriff der »Resonanz « als neues wesentliches Element ins Spiel. Bereits der heute vergessene jüdische Philosoph Fritz Heinemann entwickelte Ende der 1920er-Jahre eine Resonanztheorie, die im Subjekt ein antwortendes, in Beziehung tretendes Agens sah: »Der Mensch kommt zum Sein durch einen Akt des Antwortens; seine Entwicklung besteht aus einer Kette komplizierter und untereinander verbundener Akte des Reagierens und Antwortens. Er antwortet so lange, wie er lebt. Wer nicht mehr antwortet, ist tot.« Ähnlich denken auch indigene Völker, deren animistische Weltauffassung kein losgelöstes und selbstherrliches »Ich« kennt, sondern ein In-Beziehung-Sein zu anderen Wesen und Dingen, zu Natur, Kosmos und den Göttern. Das »Ich«, so Elberfeld, wird hier – ähnlich wie in den asiatischen Denkmodellen – als ein Bewusstseinsfeld gesehen, in dem sich Kräfte treffen, und das eher einem Kreis als einem Punkt ähnelt. In der Nachfolge indigener Traditionen werden solche Gedanken heute auch von lateinamerikanischen Denkern fortgeführt.

Das »Philosophieren in einer globalisierten Welt«

könnte sich zu einem »Einüben in verschiedene Erfahrungsfelder« transformieren.

Ein solches Konzept verlangt auch Aufmerksamkeit gegenüber mentalen Operationen, die in der europäischen Geistesgeschichte vernachlässigt wurden: Begriffe wie »Passivität«, »Leere«, »Nicht-Handeln«, »Absichtslosigkeit«, »Vergessen«, »Selbstzurücknahme « wurden eher negativ gedeutet für den Kirchenvater Augustinus war das »Nichts« sogar mit dem »Bösen« verbunden. Die Philosophen des Fernen Ostens dagegen sehen in diesen Verhaltensweisen positive Momente, die erst Weisheit und ganzheitliche Erkenntnis ermöglichen. So kennt beispielsweise die japanische Sprache nicht nur kein grammatisches Subjekt, das sich ständig von der Umwelt abgrenzen muss, sondern besitzt auch zahlreiche Formulierungen, die ein »es denkt in mir« und »es geschieht mir« ausdrücken. In Asien ist es geradezu eine Tugend, sich in meditativen und künstlerischen Praktiken dem Aufsteigen von Gedanken zu öffnen, weil – wie der japanische Dichter Kenko Yoshida im 14. Jahrhundert schrieb – »unser Herz von keinem Herrn besetzt ist«. Er verglich unsere Seele mit einem unbewohnten, herrenlosen Haus, in dem sich Füchse und Eulen gerne einnisten, weil sie niemand stört: »Und Geisterwesen, wie Baumgespenster und dergleichen mehr, treiben an dem Ort ihr Spiel.« Bei dieser Stelle fielen mir Passagen von Novalis, Annette von Droste-Hülshoff und Rainer Maria Rilke ein, die ihr Denken ebenfalls um solche medialen Dimensionen erweitert haben. Auch Philosophen wie Husserl und Heidegger haben dies versucht, Elberfeld weist auf die etymologische Herkunft des Wortes »phainomenon« vom griechischen Verb »phainesthai« hin, das »sich zeigen« bedeutet. Phänomenologie, so Heidegger, bedeutet daher: »Das, was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen.«

Als Schlussfolgerung fordert Elberfeld eine Neubewertung des Begriffes »Philosophie «, der sich im globalen Zeitalter stärker von außereuropäischen Denkmodellen und vergessenen Traditionen Europas befruchten lassen sollte. Dadurch könnte Philosophie auch wieder mehr zu dem werden, was in der Antike einmal »therapeia« hieß: eine Lehre vom gelingenden Leben, die das Nachdenken über Natur, den Tod, die Zeit, den Körper und die Sinne einschließt. Wie wäre es, so Elberfelds provokanter Vorschlag am Schluss, wenn Philosophiestudenten heute auch noch eine Sprache aus dem außereuropäischen Raum lernten, das Ästhetische ernster nähmen und ihr Studium durch Meditation, Yoga, Zen, Malen, Atemübungen, Tanzen und Musizieren bereichern würden? Vielleicht käme dann das »Philosophieren in einer globalisierten Welt« endlich aus seinem rationalen Schneckenhaus heraus und könnte sich zu einem »Einüben in verschiedene Erfahrungsfelder« transformieren. Dann würden auch politisch korrekte Phrasen wie »multikultureller« oder »interreligiöser Dialog« endlich mit konkreten Inhalten gefüllt und man käme dem vielbeschworenen »Fremden« und »Anderen« wirklich einmal nahe.

Author:
Ruediger Suenner
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