Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
January 31, 2019
Nein, ich werde doch nicht Mitglied eurer Organisation. Ich habe Angst, meine Freiheit dadurch zu verlieren.« Diese Aussage einer langjährigen Kooperationspartnerin beendete ihren monatelangen inneren Entscheidungsprozess. Erstaunlich, da sie selbst die Mitgliedschaft gewünscht hatte. Aber um welche Freiheit ging es hier?
Auf die Frage »Was verstehen Sie unter Freiheit?« höre ich oft: »Tun, was ich will, ohne von äußeren Einflüssen eingeschränkt zu sein.« Hier ist die äußere Freiheit gemeint, die z. B. im französischen revolutionären Denken verankert ist. Es galt, sich von der Herrschaft äußerer Machtstrukturen der Kirche und der absoluten Monarchie zu befreien. Die Moderne sehnte sich nach Autonomie und einem Denken, das sich jenseits der herrschenden Strukturen entfalten konnte, und nach mehr Ausdrucksraum für den Einzelnen. Demokratien entwickelten Strukturen, um die Idee der Freiheit konkret zu manifestieren.
Die Postmoderne betrachtete die existierenden demokratischen Strukturen als selbstverständlich und versprach mehr Freiheit durch eine Veränderung der Kultur, welche Werte wie Rechte der Minoritäten und Pluralismus forderte und auslebte.
Im Organisationskontext sehen viele Mitarbeiter eine Begrenzung ihrer Freiheit in den Strukturen. Als Organisationsentwicklerin höre ich immer wieder »Das geht in unserem Unternehmen nicht, weil die Prozesse so sind.« Aber auch die Kultur der Organisation kann als freiheitsberaubend wahrgenommen werden, z. B. bei einer autoritären Führungskultur. Obwohl Kultur und Struktur in Wechselwirkungen zueinander stehen, entwickeln sie sich meist nicht zeitgleich. So kann eine Kultur der Mitbestimmung intendiert sein, die Strukturen aber ermöglichen die Umsetzung nicht. Oder agile Methoden werden implementiert, bevor die Kultur die Prinzipien von Agilität authentisch trägt. Das Erfahren von Grenzen und Inkonsistenz drückt sich in Gefühlen von Freiheitsverlust, Ohnmacht und Frustration aus, polarisierende Rollen von Opfer und Täter setzen sich fest. Wenn wir als Individuen unser Freiheitsempfinden von diesem kulturell-strukturellen Rahmen abhängig machen, verlieren wir Macht und Gestaltungskraft. Vor schwer veränderbaren äußerlichen Einflüssen fühlen wir uns hilflos.
Vielleicht ist das Er-innern hilfreich, dass wir die Perspektive nach innen verschieben können. Das, was wir steuern und verändern können, sind wir selbst: was und wie wir denken, fühlen und wie wir uns verhalten.
Auf dem Gipfel der äußersten Unfreiheit im Konzentrationslager gelang es Viktor Frankl, seine innere Freiheit zu entdecken – im Körperlichen, Seelischen und Geistigen. Auch fand Nelson Mendela im Gefängnis Wege, um sich im täglichen Leben Freiheit zu verschaffen. Beide entdeckten ein Reich geistiger Freiheit, wo sie sich frei fühlten zu entscheiden, wie sie sich zu dem, was mit ihnen geschah, stellen wollten.
ERST DURCH DIE AUFLÖSUNG INNERER EINSCHRÄNKENDER MUSTER KÖNNEN WIR DEN RAUM INNERER FREIHEIT AUSDEHNEN.
Die Fähigkeit, in jedem Moment unsere Perspektive zu wählen, setzt emotionale Reife und hohe Bewusstheit voraus. Tatsächlich decken die Wechselwirkungen zwischen innen und außen manchmal auf, dass das Empfinden von Limitierung im Außen eine Begrenzung im Innen widerspiegelt. Dies zeigte sich in der Reaktion unserer Kooperationspartnerin. Da unsere Organisation weder Rechtsform noch Verträge hat, sondern auf Selbstverantwortung und Autonomie gründet, war die Angst, durch äußere Strukturen beengt zu werden, nicht nachvollziehbar. Durch einen generativen Dialog kam unsere Partnerin auf ein wiederkehrendes persönliches Lebensmuster zum Thema Freiheit, dem sie undifferenziert folgt. Nun, wie viel Freiheit bringt eine Entscheidung, die von einem konditionierten, meist unbewussten Drang motiviert wird? Erst durch die Auflösung innerer einschränkender Muster können wir den Raum innerer Freiheit ausdehnen.
Wenn wir Einschränkung als Ansporn für Kreativität auffassen, können äußerliche Grenzen als Reiz für die Ausweitung unserer schöpferischen Natur wirken. In diesem kreativen Raum, verbunden mit unserer Essenz, breitet Freiheit ihre Flügel aus.