Sichtbar gemachte Energie
Diese Ausgabe von evolve konnten wir mit Arbeiten von Eva Dahn-Rubin gestalten. Wir sprachen mit ihr über die Beweggründe ihrer Kunst.
July 14, 2015
Über das Buch »integral – Leben mit Sinn«
Wenn es um die Veränderung unserer Gesellschaft, das Leben ganzheitlicher Werte und innere Transformation geht, sind Beispiele oft überzeugender als Theorien. Das haben sich wohl auch die Herausgeber des Buches »integral – Leben mit Sinn« gedacht und zwanzig Menschen versammelt, die nach ihrer Ansicht Aspekte der Veränderung leben, die für uns als Gesellschaft anstehen. Der großformatige Band versucht schon durch seine Aufmachung, beim Leser eine intensivere Bewusstheit zu fördern. Neben den ausdrucksstarken Fotos von André Rauls Surace, die etwas von der Individualität der Menschen aufscheinen lassen, wird auch beim Text mit verschiedenen Formaten experimentiert, die das eigene Lesen in Fluss bringen.
Die porträtierten Visionäre und Aktivisten stehen je stellvertretend für ein neues Denken in verschiedensten Bereichen wie Wirtschaft, Beziehung, Gesundheit, Politik, Recht oder Bildung: Susanne Tobler, die das Schulprojekt »Monterana – Schule für selbstgestaltetes Lernen« leitet, in dem die Entwicklungsstufen des Menschen neu berücksichtigt werden: »Wir lassen die Kinder die verschiedenen Phasen der Bewusstseinsbildung voll ausleben.« Charly Rainer Ehrenpreis, dem die Schenkökonomie ein Anliegen ist: »Das Universum, das Leben und die Natur sorgen für uns. Die Frage ist nur, ob wir dies bemerken, anerkennen und uns dementsprechend verhalten.« Oder Kosha Anja Joubert, die sich als Autorin und Mitarbeiterin im »Global Ecovillage Network« für das Erkunden neuer Formen menschlicher Gemeinschaft engagiert: »Die Evolution zieht uns in Richtung Verbundenheit.«
¬ »ES GEHT UM EINE NEUE SICHT AUF DIE WELT, DIE NOCH NICHT GEBOREN IST.« ¬
Was sie verbindet, ist eine Sorge um die Entwicklung unserer Welt und der Einsatz für eine individuelle und kollektive Transformation. Dieser gesellschaftlichen Transformation haben die Herausgeber den Namen »integral« gegeben, ein Begriff, der vor allem durch das Werk des amerikanischen Philosophen Ken Wilber bekannt wurde. Im Anhang des Buches werden einige Grundgedanken der integralen Philosophie ausgeführt, wobei als Inspiration neben Wilber der integrale Kulturphilosoph Jean Gebser benannt wird. Vor dem Hintergrund dieser Pioniere geht das Buch von einem sehr weiten Verständnis des Integralen aus: »Das Wort ›integral‹ wird vielfältig gebraucht. Es gibt keine Definition. Wir suchen ständig nach dem, was wir mit diesem Wort meinen. Es geht um eine neue Sicht auf die Welt, die noch nicht geboren ist.« Und die Herausgeberin Esther Räz umschreibt diese Weltsicht so: »Inte-gral werden wir als Einzelne und als Gesellschaft dann sein, wenn eine Mehrheit der wohlhabenden Menschen dieser Welt begreift, dass tatsächlich alles mit allem verbunden ist und dass es höhere Werte gibt, als den eigenen Besitzstand zu wahren.«
Die porträtierten Menschen versuchen, diese höheren Werte in ihrem Leben zum Ausdruck zu bringen. Mit diesen Beispielen kann das Buch eine Inspiration und Aufmunterung sein, dem eigenen Impuls der Verwirklichung zu folgen. Und beim Lesen der Por-träts und dem Betrachten der Fotos stellt sich schnell die Reflexion über den eigenen Beitrag zu einer Veränderung unserer Welt ein.
Damit spiegelt sich in den Beiträgen auch die Intention der Partei »Integrale Politik Schweiz«, aus deren Umfeld viele Impulse im Buch kommen. Da es im politischen System der Schweiz die Möglichkeit der direkten Demokratie gibt, haben sich integral interessierte Menschen dort zusammengefunden, um politische Entscheidungen aus einer ganzheitlichen Sicht zu diskutieren, zu prüfen und Wahlempfehlungen zu geben. Zudem werden Alternativen erarbeitet und kommuniziert, von denen einige auch in diesem Buch angesprochen werden. Hier wird also versucht, eine integrale Weltsicht ganz praktisch auf ihre Fähigkeit zu prüfen, neue Antworten auf konkrete politische Fragen zu geben. Dieses direkte Engagement erfordert auch, einen Begriff wie das Integrale möglichst weit und verständlich zu fassen und gemeinsam dessen Bedeutung zu erforschen. Für manche Kenner der integralen Theorie wird dieses Buch vielleicht zu wenig auf die integralen Grundprinzipien von Denkern wie Gebser und Wilber Bezug nehmen. Aber auf jeden Fall bietet es eine hautnahe Begegnung mit dem Versuch, eine neue Weltsicht, die gerade im Entstehen ist, im Alltag und in unserer Gesellschaft zu leben.