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Interview
Publiziert am:

August 1, 2014

Mit:
Prof. Dr. Gernot Böhme
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AUSGABE:
Ausgabe 03 / 2014
|
August 2014
Maschinen meditieren nicht
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Leib, Körper, Bewusstsein


Wir reduzieren unser Bewusstsein, wenn wir es nicht in Beziehung zu unserem Körper und der Präsenz in der Welt erfahren. Der Philosoph Gernot Böhme über Wege aus einem entfremdeten Leben.


evolve: Wenn wir vom menschlichen Bewusstsein sprechen, wovon sprechen wir da überhaupt? Es ist ja ein Begriff, der uns einerseits sehr einleuchtend erscheint, und andererseits wird er umso flüchtiger, je genauer man hinschaut.

Gernot Böhme: Jedes Gespräch über Bewusstsein hat einen bestimmten Hintergrund, wir sprechen darüber als Menschen, die in der westlichen Kultur und ihrer technischen Zivilisation leben. Wir wurden also durch unsere Kultur bereits in einen bestimmten Bewusstseinstyp „hineinsozialisiert“. Bewusstsein ist für uns primär Gegenstandsbewusstsein: Ich bin mir einer Sache bewusst. Ich sehe zum Beispiel ein Buch, und bin mir dieses Gegenstands bewusst. Neben diesem Gegenstandsbewusstsein können wir aber verschiedene Wahrnehmungsformen einüben oder auch in Meditation andere Bewusstseinsformen kennenlernen und uns darin erfahren.

e: Welche Bewusstseinsformen werden in der Übung der Wahrnehmung oder Meditation zugänglich?

GB: Beginnen wir mit dem Bereich der Wahrnehmung, der etwas einfacher ist. Ich sehe einen Gegenstand, beispielsweise ein Glas. Ich kann das Glas lange anschauen und dabei wird deutlich, dass dieses Glas hier ist. Dann bemerke ich das Glas, wie es auf dem Tisch steht, wie Reflexe an ihm spielen, wie es einen Schatten wirft. Vorher hatte ich nur das Glas als Glas-Ding, es hat eine bestimmte Form, besteht aus einem bestimmten Material, man kann es für etwas benutzen. Martin Heidegger sagt, es ist ein „Zeug“. Aber dabei bemerke ich noch gar nicht, dass dieses Glas wirklich hier ist, also wie ich sagen würde, in seinem ephemeren Charakter, das heißt also, in seiner vorübergehenden Erscheinung. Das muss ich überhaupt erst lernen. Hier besteht auch ein Zusammenhang zur Mystik. Jakob Böhme hatte seine tiefe mystische Erfahrung, als er, wie es heißt, „das zinnerne Gefäß in einem jovialischen Schein gesehen“ hat. Da steht einfach sein Zinnbecher, und plötzlich tut sich etwas auf und er sieht diesen Becher in seiner Präsenz. Bei ihm führt dies zu einer Gotteserfahrung.
Diese Erfahrung, in der ich das Glas oder den Zinnbecher in ihrem Da-Sein wahrnehme, können wir Präsenzbewusstsein oder das Bewusstsein der leiblichen Anwesenheit nennen.

e: Was meinen Sie mit dem Bewusstsein der leiblichen Anwesenheit?

In der Entfremdung von uns selbst versäumen wir uns selbst.

GB: Als Menschen, die in einer technischen Zivilisation leben, haben wir in Bezug auf unsere eigene Natur ein entfremdetes Bewusstsein. Wir betrachten uns selbst als „Körperding“, wir haben den Leib zum Gegenstand gemacht. Die naturwissenschaftliche Medizin unterstützt diese Wahrnehmung. Wenn wir untersuchen, wie wir selbst den Körper erfahren, kommen wir zum leiblichen Spüren. Ich spüre meinen Leib von innen. Wenn ich zum Beispiel in meine Hand hineinspüre, dann spüre ich die Hand als ein Feld des Spürens. Das ist bereits ein Beispiel für Nondualität, denn der Unterschied zwischen dem Spüren und dem, was man spürt, besteht hier nicht. Die gespürte Hand ist keine Objektivierung der Hand, sondern es ist das Spüren der Hand selbst. Und das kann man natürlich für seinen ganzen Leib erfahren.
Auch Meditation, vor allem die Zen-Meditation ist eine Leiberfahrung. Bei der Zen-Erfahrung ist das Sitzen und Atmen wesentlich. Dogen sagte einmal: „Die Erleuchtung ist das richtige Sitzen.“ Meditation ist also kein Vehikel für geistige Erfahrung, sondern die Zen-Meditation entwickelt eine Bewusstseinsform, die eben ein bewusstes Sitzen und Atmen ist, ein gegenstandsfreies Bewusstsein.

e: Durch diese Meditationshaltung, die Sie gerade beschrieben haben, können wir die reflexive Grundhaltung, die so stark unser westlich-abendländisches Bewusstsein ausmacht, unterlaufen. Warum ist es Ihrer Ansicht nach wichtig, über dieses reflexive Bewusstsein hinaus zu gehen?

GB: Reflexion schafft eine Distanz. Es ist die Reflexion von etwas, und dieses Etwas können auch wir selbst sein, das heißt: Wir rücken uns selbst in eine Distanz. Das ist ja auch eine großartige Leistung, es erweitert die Handlungsfähigkeiten ganz enorm, aber es ist eben eine entfremdete Bewusstseinshaltung. Man wird sich selbst dabei fremd. Dieses reflexive Bewusstsein ist inzwischen in unserer Kultur dominant geworden. Aber Bewusstsein als gegenständliches und reflexives Bewusstsein kann eine erhebliche Hemmung und Störung bedeuten, weil nämlich viele unserer Lebensvollzüge nur in Unmittelbarkeit geschehen können.

e: Welche kulturelle Relevanz haben für Sie solche Erfahrungen, in denen wir über ein reflexives Bewusstsein hinausgehen?

GB: In der Entfremdung von uns selbst versäumen wir uns selbst. Wir versäumen unsere humane Existenz. Es geht um eine Selbst-Kultivierung, durch die wir „gut“ Mensch sein können. Wir sind leibliche Existenz, wir sind Natur, aber wir verstehen und behandeln uns wie Objekte. Durch Verwendung von Medikamenten, Jogging oder Schönheitskosmetik behandeln wir uns immer als Dinge. Das zeigt sich auch in unserem Umgang mit Krankheit. Wir sehen Krankheit als eine Störung und verstehen sie nicht als unserem Leben zugehörig. Gesundheit zeigt sich nach meiner Auffassung wesentlich darin, wie man seine Krankheiten lebt. Aber unsere Gesellschaft ist auf das „Machen“, die Aktivität fokussiert. Wir lieben nicht, wir „machen Liebe“. Deshalb ist aber auch unsere Art, die Welt wahrzunehmen, äußerst eingeschränkt. Herbert Marcuse würde sagen: eindimensional. Wir sind eindimensionale Menschen. Wir müssen erst noch eigentlich Mensch werden, das ist für mich der Kern einer „absteigenden Mystik“, der es darum geht, dass wir die eigene Menschlichkeit in all ihren Dimensionen lernen und ausüben. Eine Mystik, in der wir für die Gegenwart, in der wir leben, und für die Dinge und Menschen in ihrer leiblichen Präsenz offen sind.

Author:
Dr. Thomas Steininger
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