Jede Fliege ist ein Kunstwerk

Our Emotional Participation in the World
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Projekt-Interview
Publiziert am:

July 21, 2016

Mit:
Andreas Greiner
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AUSGABE:
Ausgabe 11 / 2016:
|
July 2016
Lebendigkeit
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Skulptur als Prozess

Seine Kunst sind Ereignisse. Der junge »Bildhauer« Andreas Greiner ist Meisterschüler von Ólafur Elíasson und schafft Skulpturen, die mit Zeit, Raum, Licht, Klang, Lebewesen, menschlicher Begegnung nahezu das ganze Spektrum unserer Welterfahrung umfassen. Diese Multidimensionalität ist für ihn entscheidend under spürt der Verbundenheit dieser verschiedenen Prozesse nach. Kreativität ist für ihn nicht nur ein menschliches Phänomen und seine Kunst versteht er als Ko-Kreation mit der Natur und letztendlich unserer gesamten Wirklichkeit.

 

evolve: Wie bist du zur Kunst gekommen?

Andreas Greiner: Mein Interesse für Kunst hatte von Beginn an zwei Aspekte: einen forschenden und einen gestalterischenAspekt. Beim Zeichnen habe ich oft Naturstudien gemacht, der menschliche Körperund die Auseinandersetzung mit dessen Anatomie haben mich sehr interessiert. Es war wie eine Art Welterkundung. Als Teenager in den 90ern kam ich vom Graffitizum Zeichnen und Malen, später im Studium zur Skulptur.

Mit dem Wunsch nach einer klassischen Grundlage bin ich Anfang 2000 in die USA undnach Italien gegangen, um dort Aktzeichnen bzw. figürliche Skulptur zustudieren. Diese Ausbildung hat mir viel Spaß gemacht, langfristig war es mirjedoch zu handwerklich, zu wenig inhaltlich oder thematisch motiviert. Manmutierte zu einer Art Kopiermaschine der Natur. Deshalb habe ich eine Pauseeingelegt und aus dem Interesse für Anatomie Medizin studiert. Das Studium dernaturwissenschaftlichen Grundlagen hat mich gefesselt und so habe ich ungeplantzweieinhalb Jahre lang weiterstudiert. Für mich war klar, dass ich kein Arztwerden kann, sondern wieder einen künstlerischen Weg gehen wollte. An derUniversität der Künste Berlin habe ich anfangs bei Rebecca Horn undanschließend bei Ólafur Elíasson studiert. Mein Studienabschluss liegt nun dreiJahre zurück, und meine Kunst ist eine Synthese aller bisher gesammeltenErfahrungen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, der gerne Fragen stellt,diesen Fragen vorbehaltlos nachgeht und durch diesen Prozess zu einerkünstlerischen Form findet.

Alles in Veränderung

e: Du arbeitest mit Skulpturen, die aber vor allem Prozesse sind, in denen du Zeit, Raum, Licht, Klang undlebendige Prozesse nutzt. Was verstehst du unter einer Skulptur?

AG: Ich habe erst gegen Ende meines Studiums die Bildhauerei »wiederentdeckt« und damit an meine Anfänge angeknüpft.Heute interessieren mich Prozesse viel mehr als eine statische, abgeschlossene Form. Für mich kann die Betrachtung eines Prozesses ähnlich inspirieren wie dieBetrachtung einer klassischerweise in sich ruhenden, unveränderliche Skulptur. Wobei es ja im Grunde keine abgeschlossene Skulptur gibt, jede Form unterliegtentropiebedingten Veränderungsprozessen – alles eine Frage der Zeit.

Die eigentliche Skulptur ist das, was sich im Moment der ästhetischen Erfahrung manifestiert.

Für mich zählen in einer Skulptur oder skulpturalen Auseinandersetzung vor allem zwei Aspekte: Nicht nur der Prozess, der ausgestellt wird, sondern auch derProzess der Forschung und des Fragenstellens gehört zum bildhauerischen Arbeiten. Dabei ist mir besonders wichtig, dass ich einer Frage mehrdimensionalnachgehe. Mich interessiert weniger die räumliche Mehrdimensionalität einerSkulptur als die Vielschichtigkeit der Betrachtung und der Moment desHinterfragens in Bezug auf die jeweiligen Variablen, den zeitlichen Verlauf unddie Wahrnehmung sowie die Prozesse, die beim Betrachten ausgelöst werden.

e: In deinen lebendigen Skulpturen arbeitest du mit biologischen Prozessen. Wasist dein Anliegen, solche natürlichen Prozesse in deine Kunst einzubeziehen?

AG: Ich spiele damit auf dievermeintliche Dichotomie zwischen menschlicher Kultur und Natur an. Diese Trennung existiert vermutlich nicht auf diese Weise. Oft wird sprachlich undgedanklich klar unterschieden: die Menschen mit ihrer Kultur, ihrem Schaffen,ihren Produkten auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Natur.Zwischen beidem werden Unterschiede gemacht und Grenzen gezogen. Das, was derMensch als kulturelles Produkt schafft – Autos, Häuser, Computer, Plastik aberauch Kunst wie Skulpturen, Malerei, Film usw. –, gibt es in der Natur nicht.Diese strikte Trennung scheint mir ein Fehlschluss, da wir letztendlich alsTeil eines größeren evolutionären Zusammenhangs miteinander verwandt sind.Unsere menschlichen Handlungen nehmen Einfluss auf die Natur, es entstehen kultivierte Gärten, neue genmanipulierte Lebewesen, andere wiederum sterbenaus; neue Materialien wie Kunststoffe treten in ökologische Kreisläufe ein. Die Ereignisse in der Natur haben auch eine Wirkung auf uns als Menschen: Wachstumvon potenziellen Nahrungsquellen, Naturkräfte wie Sonne, Erderwärmung, Wirbelstürme, Fluten, die Gezeiten, Jahreszeiten. Beide hängen in einerWechselbeziehung zusammen, gestalten und bedingen sich gegenseitig. AlsKünstler nutze ich den kulturellen, historisch kultivierten Raum des White Cubes und bringe menschliche und nicht-menschliche Lebewesen sowie natürlicheProzesse zusammen, die in diesem Raum zu Kunst werden. Durch die Gleichsetzung versuche ich, diese beiden Pole zu dekonstruieren.

Gleichzeitig ist es für mich auch eine Art Therapie. Lange Zeit wollte ich eine perfekteSkulptur schaffen. Ewig haltbar und ein Spiegel menschlich-handwerklicher Virtuosität. Diese Ambition hat sich in meiner jetzigen Phase vielmehr zu einemLoslassen der Ansprüche an mich selbst und die eigenen Fähigkeiten gewandelt. Es beinhaltet auch eine Wertschätzung der um uns herum bis ins kleinste Detail vielfältig existierenden Schönheit und Genialität. Wir müssen es nur bewusstwahrnehmen, es sichtbar machen, statt es (re-)produzieren zu wollen.

Beider lebendigen Skulptur lasse ich die Kontrolle los, weil ich nicht bestimmenkann, wie sie sich entwickelt. Und ich habe die lebendigen Prozesse nichtallein gestaltet, sondern arbeite mit ihnen als Ko-Kreatoren zusammen, gebe ihnen einen Raum, in dem sie sich entfalten können und sich selbst überlassensind.

Das Ungeahnte finden

e: Deine Kunstwerke gleichen oft wissenschaftlichen Experimenten. Wie siehst du dasVerhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft in deiner Arbeit?

AG: Meine Ausstellungen haben oft den Charakter einer Hypothese, die ich öffentlich als Experiment gestalte und dieimmer auch einen gewissen Grad an Unvorhersehbarkeit mit sich bringt. Schon vorder Ausstellung befinde ich mich in einem Prozess der Recherche, bei dem sichteils ungeahnte neue Wege auftun. Zusammen mit dem Künstler Armin Keplingerhabe ich zum Beispiel versucht, Wolken entstehen zu lassen. Wasser tropfte aufheiße Platten und es entstanden Wasserdampf und Wasserperlen. Wir haben damitweiter experimentiert und herausgefunden, dass man diese Wasserperlen füreinige Sekunden bewahren kann, wenn sie auf eine heiße, leicht gewölbte Aluminiumplatte tropfen. Das war dann plötzlich viel interessanter als dasursprüngliche Ziel, die Wasserdampfwolken erzeugen zu wollen.

Hier gibt es eine Verbindung in der Erfahrung zwischen Wissenschaftlern undKünstlern. Beide haben zwar unterschiedliche Grundvoraussetzungen und Ziele unddie Art des gesuchten Wissens ist grundverschieden. Ähnlich ist aber, dassbeide sich eine Vorgabe für die jeweilige Recherche machen, um dann in eine ungewisse Richtung vorzustoßen, in der sie plötzlich andere, unerwartete Dinge finden.

Objekte oder ästhetische Bestandteile, wie ein Kunststoffbehälter mit Meerwasser undlumineszierenden Algen auf einem Klavier oder zwei Pistolen, die einander gegenüber befestigt sind und gleichzeitig abgedrückt werden können, sind imPrinzip Versuchsanordnungen. Der Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger bezeichnet sie als Experimentalsysteme, also Orte der Emergenz von neuemWissen. Die eigentliche Skulptur ist dann das, was sich im Moment der ästhetischen Erfahrung manifestiert. Es sind nicht primär die Objekte selbst – also derKunststoffbehälter auf dem Klavier oder die beiden Pistolen auf einerEisenstange –, sondern es ist das Emergenz-Phänomen, das anschließend entsteht.Wenn die beiden Pistolenläufe gleichzeitig ausgelöst werden und sich diePatronen in der Mitte treffen, entsteht eine Explosionswolke. Oder die Algen inden Behältern leuchten durch die mechanische Schwingung der Klaviersaiten.

Darin manifestiert sich für mich das eigentliche skulpturale Ereignis. Die Skulptur entsteht in der Erfahrung und der Resonanz des Betrachters. Eine idealeSkulptur wäre die, die in dem Moment der Rezeption den Betrachter mitgestaltetund durch ihn dann weiterwirkt. Ein plastischer Moment, der frei nach Beuys auch eine soziale Komponente hat.

e: Du bringst also Dinge zusammen, die in unserer Welt existieren und initiierst Prozesse, die vorherverborgene Qualitäten sichtbar machen?

AG: Ja, es ist der Versuch, dasverborgene Schöne in der Welt zu finden, zu zelebrieren, wertzuschätzen. Auch in ganz alltäglichen Dingen wie zum Beispiel einer Fliege. Es ist unglaublich faszinierend, dem Transformationsprozess einer Fliegenlarve zuzuschauen. Im Grunde macht die Fliege das Gleiche wie ein Schmetterling. In unserem kulturellenBewusstsein wird der Schmetterling natürlich viel mehr wertgeschätzt, aber beide durchlaufen diesen gleichen gestalterischen Prozess.

Auch der Prozess der Forschung und des Fragenstellens gehört zum bildhauerischen Arbeiten.

In der Neuen Nationalgalerie habe ich anlässlich des »Festival for Future Nows«eine Fliege schlüpfen lassen und mit dem Leiter der Neuen Nationalgalerie einenVertrag über die Bedeutung der Fliege im Museum geschlossen: Sie ist einelebende, fliegende, autonome Skulptur und kann mit den anderen Kunstwerkeninteragieren.

Im Gegensatz zu vorherigen Arbeiten hat meine Arbeit mit den Fliegen sich nun aufdie einzelne Fliege, das Einzelporträt konzentriert. Es geht mir dabei um dieSingularität des Tieres, um Lebewesen, die wir normalerweise nur alsMassenphänomen und als selbstverständlich nehmen, zu vereinzeln.

Wir sind ein Prozess

e: Willst du damit auch etwasüber unser Verhältnis zur Natur aussagen?

AG: Wir haben uns von einem Leben miteiner sehr viel innigeren Beziehung zur Natur und Abhängigkeit vom Wald, denTieren, dem Mondlauf, den Jahreszeiten zu einer Kultur entwickelt, in der wiruns gegen solche Einflüsse von außen abschotten. Wir leben in Wohnungen mitkünstlichem Licht und Heizungen. Und auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung haben wir die Natur weitgehend entmystifiziert und abstrahiert.

Ein Masthuhn kennen die meisten Menschen dann nur noch als Chicken Wing bei Burger King oder Hühnerbrust im Supermarkt, nicht aber als Huhn. Hingegen werdenallein in Deutschland jährlich 600 Millionen Masthühner industriell produziert.Wir haben die Beziehung zu diesen Lebewesen verloren. Es ist ein Anliegenmeiner Kunst, dieses ent-emotionalisierte Verhältnis wieder zu emotionalisieren. In meiner Arbeit mit einem Masthahn habe ich in einem Mastbetrieb einen Hahn gekauft und auf einen Kinderbauernhof gebracht. Dort habe ich einen Vertrag über den Hahn als lebende Skulptur geschlossen, ähnlichwie bei der Fliege. Er sollte eines natürlichen Todes sterben, nicht gegessen werden und sich dort möglichst artgerecht entfalten. Verrückterweise hat sichdann um diesen Masthahn »Heinrich« ein kleiner Fanklub gebildet. Durch dieIdentität und seinen Namen hat sich das Verhältnis zu einem Lebewesen, das mannur als Stück Fleisch auf dem Mittagstisch kennt, emotionalisiert. Ich meinedamit aber nicht, dass man nun Vegetarier werden muss, sondern es geht mir umdiesen Perspektivenwechsel, diesen Bewusstseinswechsel, dass man diese Lebewesen auch anders wahrnehmen kann.

Es scheint, dass wir uns alle in einem großen Umgestaltungsprozess befinden. Wennich vergehe, zersetzt sich mein Körper und aus diesen Bestandteilen wächst dannwieder eine Pflanze. Oder ich habe ein Kind, in dem etwas von mirweiterexistiert. Es ist ein ständiger Wechsel von Leben und Tod, und genaudazwischen geschieht die Umgestaltung, eine Entwicklung. Dazu gehörtanscheinend auch, dass man, um selbst zu leben, Lebewesen essen muss, dievorher auch gelebt haben. Wir können aus diesem Prozess nicht ausbrechen, aberich finde, wir sollten darin eine Bewusstheit finden und nicht abstrahieren.Die Karotte auf dem Feld ist genauso Bestandteil von mir wie ich Bestandteilvon ihr bin, und wir müssten uns eigentlich einander herzlich danken, dass wirin diesem Verhältnis miteinander existieren können, dass wir uns gegenseitigbedingen.

e: Wie ist es für dich, wenndu nicht mit lebendigen Prozessen arbeitest, sondern abstrakteren Prozessen,die Zeit, Raum, Klang oder Licht beinhalten? Was fasziniert dich an dieserProzesshaftigkeit?

AG: Einige Prozesse offenbaren eineArt »Lagerfeuer-Qualität«: Man kann lange zuschauen ohne gelangweilt zu sein,obwohl man nur die lodernde Flamme betrachtet. Sie wechselt stetig ihre Formund dennoch kann man sie als Flamme identifizieren. Oft versuche ich, diese Qualität zu finden und mit ihr zu arbeiten. Technische Prozesse sind meis tleichter steuerbar und lassen sich gestalten, vor allem in Hinblick auf die Dauer.

Eine formale Umwandlung kann in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen – vonsehr schnell und flüchtig, wie bei Explosionen, bis hin zu lange andauernden Zeitspannen, wie bei einer Bronzeplastik, die im Laufe der Jahre eine Patinaansetzt. Die ästhetische Qualität, die ein Prozess haben kann, liegt in dieserstetigen Formveränderung und dem Spannungsverhältnis zwischen derIdealvorstellung des Unveränderlichen und ständig stattfindender Umgestaltung –eine Polarität von erhoffter These und erlebter Antithese. In dem Augenblick,in dem man die Schönheit des Momentes erhascht hat, ist er schon wieder vorbei.Zeit, Raum, Klang und Licht sind sinnliche Eindrücke, die einen großen Einflussauf das Erleben dieses Momentes haben.

Das Interview führte Mike Kauschke.

Author:
Mike Kauschke
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