Journalismus für unsere Zeit

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Publiziert am:

November 6, 2020

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Ausgabe 28 / 2020:
|
November 2020
Der Sinn des Lebens
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Bei manchen Übersetzungen ins Deutsche tue ich mich schwer. Das englische Adjektiv »sacred« gehört dazu. »Heilig« müsste es heißen. Doch so recht kann ich mich mit diesem Wort in meiner Muttersprache nicht anfreunden. Es wirkt irgendwie abgehoben und alt­backen. Auch negative Assoziationen kommen sogleich in den Sinn, etwa das Wort »scheinheilig«. Zeugt diese Unbehaglichkeit mit dem »Heiligen« nicht – auf sprachlicher Ebene – von der Desakralisierung unserer modernen Lebensrealität?

Spreche ich im Englischen von »the sacred«, so meine ich das Wissen um eine alldurchdringende Intelligenz, die Existenz einer höchsten, göttlichen und zugleich zu-tiefst menschlichen Wahrheit. Die Dinge als heilig zu betrachten, erweckt Ehrfurcht, Demut und Verbundenheit mit allem, was ist. Mutter Natur zu heiligen bedeutet, sich bewusst als Teil des eng verflochtenen Netzes aller Lebewesen zu sehen.

Wir wissen, dass es einen solchen Perspektivwechsel braucht, um wieder in jenen Zustand der Einheit zu kommen, dem wir entsprungen sind. Aus dieser Einheit heraus lassen sich die Probleme unserer Zeit nachhaltig angehen. Gleichzeitig wird uns immer deutlicher, welche überkommenen Einstellungen und Glaubenssätze uns nicht mehr dienlich sind. Dies sind die alten Narrative.

Wie die meisten Dinge unserer Zeit ist der konventionelle Journalismus vom Wissen um unsere tiefere, »heilige« Identität abgeschnitten. Konventionelle Bericht­erstattung verstärkt das Narrativ der Trennung – den Mythos, dass wir Individuen sind, von allem anderen getrennt.

Warum sind Narrative so entscheidend? Sie prägen unser Verständnis davon, wer wir sind, und bestimmen, wie wir mit der Welt interagieren. Je öfter eine Erzählung wiederholt wird, desto mehr Kraft bekommt sie. Allmählich wird sie ein Teil unserer kollektiven Realität. Bald wurde mir klar, wie auch ich als Journalist, der seine Artikel verkaufen will, direkt oder indirekt zu solchen Narrativen beitrage.

 KONVENTIONELLE BERICHTERSTATTUNG VERSTÄRKT DAS NARRATIV DER TRENNUNG. 

Ich spürte, dass ich mehr in die Welt bringen möchte, als mir meine großen Auftraggeber es erlauben. Ich nenne diese Form des Journalismus »Sacred Journalism«, also »heiligen Journalismus« – ein Journalismus, der sich in den Dienst einer neuen Sicht auf die Welt stellt. Diese Sicht findet in den großen Medien bisher kaum Platz.

Wie kann Journalismus, also das Erzählen von Geschichten über unsere Welt, zu einer Kraft der Heilung, zu einem Instrument der individuellen und globalen Transformation werden? Zunächst einmal gilt es, jene Geschichten hervorzuheben, die in der schnellen Medienwelt von heute zu kurz kommen – Geschichten über mutige Initiativen des Wandels, Reportagen über alte Weisheitskulturen, die wichtige Lehren für unsere Zukunft bereithalten, Interviews mit Veränderungsbringern und Essays, die ihren Fokus auf zukunftsweisende Denk- und Handlungsansätze richten.

Zu den Qualitäten eines »heiligen Journalisten« gehören ein offener Geist und ein offenes Herz, tiefes Zuhören sowie eine feinfühlige Beobachtungsgabe. Die von Wettbewerb, Zeit- und Wirtschaftsdruck geprägte Mainstream-Medienlandschaft von heute macht es Journalisten nicht gerade leicht, diese Qualitäten zu kultivieren. Es sind nicht die Stärken, nach denen die meiste Nachfrage herrscht.

Immer wieder stieß ich mit meinen Ideen und Vorschlägen an die Grenzen des Möglichen. Um diese Grenzen zu sprengen, gründete ich den »Sacred Journalism«-Blog. Ich lasse mich dort von den für mich lebenswichtigen Fragen »Was willst du in die Welt bringen? Wem oder was möchtest du dienen? Welche Geschichten will dein Herz erzählen?« leiten. Die innere Arbeit an den eigenen Narrativen ist derweil »work in progress«. Die Übersetzung spare ich mir jetzt mal.

Author:
Marian Brehmer
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