Kindern eine Zukunft geben

Our Emotional Participation in the World
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Interview
Publiziert am:

April 16, 2020

Mit:
Jenny Ciucci
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 26 / 2020
|
April 2020
Menschliche Reife
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Ein integratives Fürsorge- und Bildungsprojekt in Kambodscha

Als Jenny Ciucci als junge Frau beim Freiwilligendienst in Kambodscha bemerkte, dass es Kinder gab, die durch alle sozialen Netze fallen, spürte sie einen Ruf, dem sie antworten musste, und gründete Children’s Future International (CFI). Wir sprachen mit ihr über diese Arbeit, die vielen Kindern eine Tür zu einer neuen Zukunft öffnet.

evolve: Was ist der Hintergrund eurer Arbeit bei Children’s Future International?

Jenny Ciucci: Wir arbeiten als GrasrootsInitiative mit internationalen Unterstützern im Westen Kambodschas in der Grenzregion zu Thailand und unterstützen präventiv Kinder und deren Familien, die von Menschenhandel, Prostitution und Kinderarbeit betroffen sind. Wir identifizieren Kinder, die in sehr großer Gefahr sind, solch ein Schicksal zu erleiden.

Die Grundlage unserer Arbeit ist ein integraler Ansatz mit drei Grundpfeilern: die Sicherstellung aller Grundbedürfnisse der Kinder, also ein sicheres Zuhause in einer Familie, Nahrung und gesundheitliche Vorsorge. Der zweite Aspekt ist die Bildung der Kinder bis zum Abschluss einer Berufsausbildung oder eines Studiums. Als Drittes arbeiten wir mit Behörden, Schulen, Dorfgemeinschaften und anderen gemeinnützigen Organisationen zusammen, um Netzwerke zu stärken und den Kindern zu ermöglichen, in ihren Familien oder Pflegefamilien und einer Dorfgemeinschaft aufzuwachsen, statt in Waisenhäusern.

e: Was hat dich dazu bewegt, dieses Projekt zu initiieren?

JC: Ich bin 2007 nach Kambodscha gegangen und aus einem Monat Freiwilligendienst bei einer Organisation, die sich um HIV-infizierte Menschen kümmert, sind dann zwei Jahre geworden. Während dieser Zeit unterrichtete ich Englisch, lernte aber auch die einheimische Sprache und konnte so viele der sozialen Hintergründe tiefer verstehen.

Diese Zeit war für mich selbst immer wieder ein schreckliches Erwachen, dass es noch viel schlimmer ist, als ich bisher dachte. Mir wurde zunehmend klar, in welchem Ausmaß die Herrschaft der Roten Khmer die Sozialstrukturen zerstört hat. In dieser Zeit starb ungefähr ein Viertel der Bevölkerung, jede Familie war davon betroffen. Es ist ein Trauma entstanden, das nie aufgearbeitet wurde. Hinzu kommen schwere Täter-Opfer-Dynamiken, wo die Menschen damit leben müssen, dass sie mit Leuten im gleichen Dorf leben, die Mitglieder ihrer eigenen Familie umgebracht haben.

Das Schlüsselerlebnis zur Gründung von CFI war die Begegnung mit drei Kindern, die mit ihrer Familie in einer winzigen Hütte neben unserer Schule lebten. Sie trauten sich nicht in die Schule, weil sie einer geringeren sozialen Schicht angehörten. Gemeinsam mit einer kambodschanischen Lehrerin blieb ich dann jeden Tag nach Unterrichtsschluss eine Stunde länger und wir unterrichteten sie im Khmer-Alphabet und freundeten uns mit ihnen an. Es waren zwei Jungen und ein Mädchen, das schwere Traumasymptome zeigte. Die lokalen Sozialarbeiter sahen diese Kinder als minderwertig und keiner Hilfe würdig an. Bei Reisen durch die Dörfer erfuhr ich, dass es weitere Kinder gibt, die so durch alle Raster fallen und nicht zur Schule gehen können, weil niemand den Unterricht für sie bezahlen kann.

Das Mädchen namens Srai war vier Jahre alt, und es dauerte über ein Jahr, bis ich zu ihr eine Beziehung aufbauen konnte. Eines Tages kamen ihre Brüder zu mir gerannt und sagten, dass sie an einen Mann im Dorf verkauft werden sollte. Durch dieses Wissen stand ich vor der Entscheidung, etwas zu tun. Ich wollte eigentlich nach Italien gehen, um zu studieren, spürte jedoch diesen inneren Ruf, in dieser Situation zu helfen. Diese Entscheidung zu treffen, dauerte mehrere Monate. Ich meditierte viel und mir wurde klar: Wenn ich weggehe, überlasse ich diese Kinder, die nun in meinem Leben waren, ihrem ausweglosen Schicksal. So entschloss ich mich, mit meinem Kollegen Andrew Wolff CFI zu gründen.

Einige der älteren Schüler der Schule, in der ich unterrichtete, kamen mit uns und wir identifizierten 60 Kinder in der Umgebung, die nicht in die Schule gingen und keinerlei Unterstützung erhielten. Wir fanden ein Grundstück, um Förderunterricht anzubieten und den Kindern dann auch den regulären Schulbesuch zu ermöglichen. Von Beginn an lag der Fokus aber darauf, die Kinder in den Dorfgemeinschaften zu lassen und dort Wege zu finden, sie zum Beispiel bei Familienangehörigen unterzubringen und dort zu unterstützen.

e: Was waren die wichtigsten Aspekte bei der Umsetzung dieser Vision?

JC: Das Wichtigste war, ein Team zu finden, das unsere Werte teilte, Menschen, die nicht denken, dass ein vergewaltigtes Mädchen »unrein« ist, was ein weit verbreitetes Denken ist. Wir haben also ein Team von Lehrern und Sozialarbeitern aufgebaut, das wir seit dem Beginn des Projekts ständig weiterbilden, z.B. im Umgang mit Trauma.

Unsere Arbeit basierte von Anfang an auf starken Werten. Diese Werte sind auch vom Buddhismus inspiriert, der eine Grundlage der kambodschanischen Kultur bildet, die aber durch die Roten Khmer zerstört wurde. Viele Mönche und Lehrer wurden ermordet und es gibt wenige Wissens- und Kulturträger. Diese kulturelle Wurzel wollen wir aufgreifen und stärken, auch weil es in der Bevölkerung ein großes Verlangen nach diesem inspirierenden und motivierenden Aspekt der kulturellen Identität gibt. Dazu gehört auch, dass wir etliche Meditationsworkshops durchgeführt haben, wozu uns auch die spirituelle Lehrerin Annette Kaiser zweimal besucht hat.

Viele unserer Mitarbeiter waren selbst Schüler bei uns und haben diese Werte verinnerlicht und sind auch ein positives Vorbild für jüngere Schüler. Die Werte sind aus den Erfahrungen der Kinder in ihrem sozialen Umfeld entstanden. Es sind universelle menschliche Werte, die sie in diesem Umfeld kaum erleben wie Mitgefühl zeigen, Verantwortung übernehmen, jedes Kind gleich behandeln, Ehrlichkeit, als Team miteinander arbeiten, gemeinsam Spaß haben, Fehler machen dürfen. Uns ist wichtig, keine westlichen Werte aufzudrängen. Es ist ganz grundlegend: Was braucht es dafür, eine Kultur aufzubauen, die sicher ist und in der persönliche Heilung stattfinden kann?

ES WAR NIE MEIN RECHT, MICH DIESEM RUF ZU VERWEIGERN.

Momentan wird das Projekt von einem Paar aus Neuseeland geführt, aber viele der Mitarbeiter sind aus Kambodscha. Die Organisation soll in Zukunft auch von Kambodschanern geleitet werden, finanziell unterstützt von Menschen und Fördergruppen in den USA, der Schweiz und Deutschland. Die Vision ist, das Zentrum auf dem eigenen Land aufzubauen, das wir vor einigen Jahren gekauft haben.

e: Wie hat dich diese Arbeit über die Jahre in deiner eigenen Entwicklung geprägt?

JC: Da gibt es sehr viel Licht und Dunkelheit. Vor einigen Jahren stand ich in unserem Garten und schaute zu, wie das Mädchen Srai, mit dem alles begonnen hatte, auf der Schaukel lag und lächelte. Und ich war durchflutet von tiefem Glück und tiefer Demut, weil ich innerlich wusste, dass es damals, als ich die Entscheidung traf, CFI zu gründen, nie mein Recht war, mich diesem Ruf zu verweigern. Ich wusste: Es ging nie um mich und meine persönlichen Schwierigkeiten, sondern es war nötig, und ich war dort und diejenige, die es tun konnte. Das war die Tür, die sich öffnete, wodurch all diese Kinder jetzt ein besseres Leben finden können. Und der ganze Prozess der Entstehung des Projekts war zutiefst geleitet, ein Schritt nach dem anderen. Ich musste hinhören, um mich so gut ich konnte darauf auszurichten.

Gleichzeitig habe ich selbst während dieser Zeit traumatische Erfahrungen gemacht, die es für mich unmöglich machten, weiter im Projekt zu arbeiten. Dadurch konnte ich auch die Erfahrungen traumatisierter Frauen besser verstehen. Diese Arbeit der Heilung von Trauma wird in der einen oder anderen Weise ein Fokus meiner künftigen Arbeit sein, denn diese seelischen Abgründe eröffnen auch tiefe Möglichkeiten der Transformation. Das Projekt vor Ort habe ich in kompetente Führung übergeben, wohne selbst nun in Deutschland und setze mich von hier aus als Vorstandsmitglied intensiv für CFI ein.

Author:
Mike Kauschke
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