Kommt Gott wieder?

Our Emotional Participation in the World
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Book/Film Review
Published On:

July 21, 2016

Featuring:
Terry Eagleton
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Ausgabe 11 / 2016:
|
July 2016
Lebendigkeit
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In »Der Tod Gottes und die Krise der Kultur« entwirft Terry Eagleton einen Weg aus der Postmoderne.

Fast jeder von uns kennt die Geschichte: Die Aufklärer haben Gott getötet und das Licht der Vernunft vertrieb den dunklen Aberglauben, und seitdem hat die Menschheit außerordentlichen Fortschritt erreicht und macht dieWelt mit jedem Tag besser. Natürlich haben wir mittlerweile erhebliche Zweifelan diesem Happy End, aber nur wenige spirituell und sozial Progressive zweifelndaran, dass es schlecht war, den alten Mann mit Bart vom Thron zu stoßen.»Nicht so schnell«, warnt uns der britische Kulturkritiker Terry Eagleton, dennes war nicht nur sehr schwierig, uns vom Glauben an Gott und SeinenPlatzhaltern zu entwöhnen, sondern als Er aus dem Weg geräumt schien, hat Ereine neue Armee um sich versammelt und einen Heiligen Krieg begonnen – diesesMal unter der Flagge des Islam. In seinem Buch »Der Tod Gottes und die Kriseder Kultur« untersucht Eagleton die Gründe für unsere Schwierigkeiten dabei,Gott zu überwinden, und deutet einen möglichen nächsten Schritt an.

Terry Eagleton ist ein öffentlicher Intellektueller im besten Sinne. Er ist Literatur-Theoretiker, hat sich aber mehr und mehr über das Gebiet derLiteratur hinausbewegt, um gegen die Gefahren der Postmoderne und diespirituell unmusikalischen Atheisten anzugehen. Seine Besprechung von RichardDawkins‘ Buch »Der Gotteswahn« wurde bekannt, weil er scherzhaft feststellt,dass­Dawkins’ Sicht der Theologie mit jemandem vergleichbar sei, der nur das»Buch über die Vögel Englands« gelesen habe und wage, die Biologie zubeurteilen. Ich habe einige Bücher von Eagleton gelesen und mag seinen Humorund Elan sowie sein fortlaufendes Engagement für radikalen sozialen Wandel. Als Marxist und Katholik ist er wahrlich ein seltener Vogel.

Eagleton untersucht, warum es uns so schwerfällt, Gott zu überwinden.

Sein neuestes Buch unterscheidet sich aber sehr von den bisherigen, die ich gelesenhabe. Ein Doktorgrad in Philosophie hätte das Lesen wahrscheinlich um einigeserleichtert. Eagletons Gelehrsamkeit zeigt sich in voller Blüte: Er geht imSchnelldurchlauf durch die Philosophien der Aufklärung, diedeutschen Idealisten, die Romantiker bis hin in unsere postmoderne Gegenwart.Er zeichnet eine einzigartige intellektuelle Geschichte des Niedergangs Gottes,die uns vor Augen führt, wie schwierig es war, sich von einem absolutenBezugspunkt des Menschseins zu lösen. Einer der Hauptgründe dafür ist, soargumentiert er, dass die Religion die Klassen besser miteinander verbunden hatals alles andere. Sie hat sozialen Zusammenhalt geschaffen, weil es einengemeinsamen Sinn, gemeinsame Ästhetik und Moral gab. Im Laufe der Jahrhundertehaben wir versucht, diesen Zusammenhalt mit Vernunft, Wissenschaft, Vervollkommnungdes Menschen, Kunst, Nationalismus und insbesondere »Kultur« zu ersetzen, aber sie haben alle versagt. Zudem wurden dadurch die Klassenunterschiede nochverschlimmert oder wir haben versucht, etwas Relatives absolut zu setzen, umdie Leere zu vermeiden. Sogar Nietzsche, der sich über unsere Feigheit lustigmachte, weil wir den Gottesmord nicht vollenden und wagen, im Angesicht desAbgrunds zu leben, hat den Übermenschen ins Feld geführt – und damit einepseudo-christliche Geschichte von Tod und Auferstehung formuliert.

Eagleton ist der Ansicht, dass mit der Postmoderne ein »ernsthafter« Atheismus oderzumindest ein gleichgültiger Agnostizismus an Einfluss gewann. Die postmoderneDekonstruktion hat die Grundlagen von Selbst, Identität, Subjektivität undNation/Kultur zerstört, die dann mit dem Konsumkapitalismus gefüllt wurden.Merkwürdigerweise erwähnt er nicht die Wirkung von Hollywood und derKulturindustrie auf die Imagination und die Wünsche eines großen Teils derMenschheit.

Trotz dieser Entwicklungen ist Gott nicht gestorben. Nach dem 11. September 2001 ister mit dem Dschihad wieder brüllend zurückgekehrt. Wie antworten wir darauf?Hier bleibt Eagleton bestenfalls kryptisch. In der persönlichen Spiritualitätdes New Age, die emotionale Erbauung verspricht, aber die Implikationen einesAbsoluten nicht anerkennt, sieht er keine Hoffnung. Stattdessen beruft er sichauf die radikale Botschaft Christi als sozialen Revolutionär, dessenBereitschaft, einen qualvollen Tod zu sterben, ein Ausdruck radikaler Liebe fürdie Ärmsten unter uns sei. Er drängt uns, das Kartenhaus, zu dem unsere Kultur geworden ist, in sich zusammenfallen zu lassen, und fordert, dass wir unsereLebensweise transformieren, indem wir uns um die Machtlosen kümmern – als einen ersten Schritt zur Schaffung einer gerechten und mitfühlenden Gemeinschaft. Mich berührt sein christlicher Glaube, ich bin aber auch ernüchtert von derErkenntnis, dass er auf die beiden zerstörerischen Kräfte des neoliberalen Kapitalismus und des militanten Islamismus keine umfassendere Antwort bereithält.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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