Leben für Anfänger

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Porträt
Publiziert am:

January 16, 2017

Mit:
Van Bo Le-Mentzel
Kategorien von Anfragen:
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AUSGABE:
Ausgabe 13 / 2017:
|
January 2017
Liebe in Zeiten von Trump
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Van Bo Le-Mentzel: Vom Flüchtling zum Change-Maker

»Wake up your Genius!« Das ist das Credo von Van Bo Le-Mentzel. Der Architekt, Autor, Filmemacher und unermüdliche Initiator kreativer Projekte, die bekannte Formen der Wirtschaft, Bildung und Gemeinschaft herausfordern, ist ein beredtes Beispiel dafür. Bekannt wurde er vor allem durch die Hartz-IV-Möbel und dem damit verbundenen Aufruf nach mehr Eigeninitiative und weniger Konsum.

Als ich Van Bo Le-Mentzel zum Interview auf seinem Handy erreiche, ist er gerade mit seinem Sohn unterwegs. Die Rufe des kleinen Professors, wie er seinen Sohn nennt, begleiten unser Gespräch. Van Bo betont immer wieder, dass die Geburt seines Sohnes für ihn der größte Wendepunkt in seinem Leben war. Gerade ist ein Buch erschienen, in dem er 34 Dinge beschreibt, »die mich mein Sohn über das Leben, die Liebe und die Welt gelehrt hat«. Dabei ist Van Bos Leben eine ganze Reihe überraschender schicksalhafter Wendungen.

Er selbst kam als kleines Kind nach Deutschland, seine Flucht begann im Bauch seiner Mutter. Im Jahre 1977 floh die Familie aus Laos vor den Folgen des Vietnamkrieges, in dessen Zuge die U. S. Army im benachbarten Laos unzählige Landminen verstreute. Van Bo kam in Thailand, in einer Stadt in der Nähe eines Flüchtlingslagers zur Welt. Mithilfe einer vietnamesischen Familie, die seine Mutter im Flüchtlingslager kennengelernt hatte, reisten sie illegal in die BRD ein und lebten zunächst in Franken, dann in Berlin-­Wedding. Aber der Familie fiel es schwer, eine neue Heimat zu finden. Van Bo fühlte sich als Fremder in einer fremden Welt: »Es gibt ein Phänomen, das ich mein Leben lang gespürt habe, aber niemals in Worte fassen konnte, man kann es vielleicht als ›Anderung‹ bezeichnen, oder englisch ›othering‹. Das bedeutet, man fühlt sich immer anders als die anderen, fremd, nicht zugehörig. Dieses Anderssein hat mich mein ganzes Leben begleitet.«

¬ Warte nicht, lebe! Denn jeder Tag könnte der letzte sein. ¬

Seine Eltern arbeiteten viel, oft Nachtschichten in Akkordjobs am Fließband. Er blieb sich meist selbst überlassen. »Ich war eines dieser verwahrlosten Kids aus dem Wedding, die eher zum Trash-TV des Mittagsprogramms passten als zu der heroischen Erfolgsgeschichte von den mutigen Aussiedlern, die es bis nach Deutschland geschafft hatten.« Van Bos Mutter kam nie wirklich in Deutschland an, die Ehe der Eltern ging auseinander und seine Mutter fand schließlich ihr Heil im Buddhismus und wurde Nonne. Sie verließ ihre beiden Kinder und bereiste die Welt, um den Weg Buddhas zu lehren. Auf einer dieser Reisen starb sie plötzlich an einem Hirnschlag. Für Van Bo eine Lektion, die er nie vergessen sollte: »Warte nicht, lebe! Umgib dich mit Menschen, die du liebst! Denn jeder Tag könnte der letzte sein.«

Van Bo nannte sich Prime Lee und suchte seinen Ausweg aus der Trauer und Tristesse in der kreativen Kultur von Hip-Hop und Graffiti-Kunst. Er arbeitete als Schauspieler, Kellner und Betreuer bei Jugendreisen, bis er schließlich Architektur studierte. Einer seiner Professoren war Yadegar Asisi, der Van Bo den Ungehorsam lehrte, der ihn seitdem inspiriert, den Status quo zu hinterfragen: »Er war ein Rebell und sagte: ›Fragt nicht, macht einfach.‹ Von ihm habe ich gelernt, ungehorsam zu sein und Dinge zu tun, nicht weil sie richtig sind, sondern weil sie wichtig sind – manchmal sogar lebenswichtig. Man kann nicht immer alles verhandeln oder fragen, manchmal muss man die Dinge einfach tun.«

Diese Lektion nahm sich Van Bo zu Herzen, als er nach dem Studium arbeitslos war und wie durch Zufall seinem Leben eine völlig neue Richtung gab: »Ich lernte eine Frau kennen, in die ich mich verliebte, und wollte ein Küchenregal anbringen, was mir aber nicht gelungen ist. Daraufhin habe ich einen Kurs an der Volkshochschule besucht – Tischlern für Anfänger.« Dieser Kurs half ihm, nicht nur das Herz seiner späteren Frau zu gewinnen, sondern führte ihn auch zu seiner Berufung als Architekt. Er baute einen Sessel aus einfachsten Materialien, inspiriert von Entwürfen seines großen Vorbilds Mies van der Rohe. Es war das erste Hartz-IV-Möbel, wie er es nannte. Van Bo startete einen Blog, kreierte weitere Möbel und stellte die Anleitungen kostenfrei ins Netz. Schnell und zu seiner Überraschung entstand eine weltweite Bewegung rund um die Self-made-Möbel: »Ich hatte den Nerv der Zeit getroffen. Die Finanzkrise zeigte die Unsicherheit der großen Systeme, viele Menschen fragten sich, wie sie selbst aktiver werden könnten. Da kamen meine Möbel gerade recht.«

Für ihn war der Erfolg des Projektes ein kreatives Durchstarten. Getreu seinem Motto »Konstruieren statt konsumieren« initiierte er zum Beispiel die Produktion der Karma Chakhs, nachhaltig und fair hergestellte Schuhe. Er begann die Schooltalks, in denen inspirierende Menschen, die trotz schlechter Ausgangsbedingungen ihren eigenen, kreativen Weg gegangen sind, mit Schülern sprechen. Van Bo baute ein Ein-Qua­dratmeter-Haus und gründete die Tiny House University, in der er zum Beispiel mit Flüchtlingen nach neuen Wohnlösungen sucht. Seine Interventionen versteht er dabei nicht als abgeschlossene Lösungen, sondern als Kritik am Bestehenden, als Anregungen und Impulse, die andere inspirieren und in der »Crowd« weiterentwickelt werden.

Seine Projekte machten Van Bo bekannt, das Goethe-Institut schickte ihn durch die ganze Welt, seine Möbel wurden international ausgestellt und er erhielt eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Seine Antrittvorlesung stand unter dem Titel »Kreativität braucht Freiheit« und er machte den Studenten klar, dass er jedem von vornherein die Bestnote geben würde, ein »Vertrauensvorschuss«. Nur aus diesem unbedingten Vertrauen könne der Einzelne sein Genie, seinen einzigartigen Beitrag finden. »Es gibt so ein latentes Unglücklichkeitsgefühl. Viele Menschen – nicht nur Hartz-IV-Empfänger – wissen nicht so recht, wohin mit sich. Und ich glaube, was dahintersteckt, ist die Suche nach einer Aufgabe oder nach Identität.«

In einem seiner neueren Projekte, dem Film »3min of Fame, Love and Peace«, will er noch tiefer die Wurzel gesellschaftlicher Konflikte thematisieren, wie er sie auch in seiner Kindheit im Wedding erlebt hat. In der Komödie geht es um Muslime und Juden, die zusammen eine Band gründen und auf den Durchbruch hoffen. Van Bo ist davon überzeugt, dass uns als Menschen etwas Tiefes verbindet. »Jeder Mensch ist spirituell, ob er es nun so nennt oder nicht. Eigentlich geht es aber immer da­rum, die Trennung zu überwinden. Und Raum zu machen für das, was wir nicht messen können, denn dieses Vermessen ist eigentlich vermessen.«

In dieser Besinnung auf das Verbindende sieht er auch den Kern einer Umgestaltung unserer Wirtschaft. »Was wir brauchen, sind nicht mehr Unternehmer, sondern mehr Übergeber. Menschen, die gute Nachrichten übergeben, Dinge, die die Welt braucht. Und nicht immer nur nehmen, damit es einigen wenigen gut geht.« Er selbst sieht sich als Karma-Ökonom: »Ich haushalte mit dem guten Karma. Es sollte bei mir und bei meinem Gegenüber und bei meinem Nachbarn ausgewogen und gut sein. Dafür setze ich meine Lebenszeit ein.« Dazu gehört für ihn auch ein anderer Umgang mit Geld, dessen Sinn er nicht im Anhäufen und in Zinserträgen sieht, sondern als Motor für den kreativen Ausdruck des Menschen. Er selbst ist hier seiner eigenen Vision so radikal gefolgt, wie er all seine Ideen umgesetzt hat. 2015 begann er mit dem Selbstexperiment »Democratic Scholarship« ein bedingungsloses Grundeinkommensjahr, in dem er ohne Vergütung für jeden bedingungslos arbeitet. Sein Gehalt als Gastprofessor zahlte er bar an die Studenten aus und nimmt keine Vergütungen und Honorare. Momentan denkt er über eine feste Anstellung nach, um für seine Familie sorgen zu können. Als Deutschlehrer. Auch etwas, das er eigentlich nie gelernt hat. Aber Bildung bedarf für Van Bo ebenfalls einer grundlegenden Neuausrichtung. Weniger Expertenwissen und mehr Lebenserfahrung. Sein wichtigster Professor heißt Henri und ist mittlerweile drei Jahre alt: »Ich habe mich 2013 in seinem Kurs angemeldet. Er lehrt mich die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Universum und Liebe. In einem ganz fantastischen Seminar hat er mir beigebracht, welche Kraft im bedingungslosen Geben steckt. Ich studiere bei ihm ­›Leben für Anfänger‹.«

Van Bo Le-Mentzel im Web:

www.hartzivmoebel.de

www.karma-classics.de

www.schooltalks.de

Author:
Mike Kauschke
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