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Bis zum heutigen Tag legt Sister Lucy Kuriens mittlerweile 91-jährige Mutter nachdrücklich Wert darauf, ihre Tochter daran zu erinnern, dass diese ohne ihre Erlaubnis Nonne wurde. Tatsächlich erzählt mir Sister Lucy während unseres Gesprächs: »Als ich mich heute Morgen mit meiner Mutter unterhalten habe, sagte sie zu mir: ›Wenn irgendetwas passiert, dann bist du allein, ohne Unterstützung durch die Familie.‹« Sister Lucy lächelt sanft in die Kamera, als sie dies sagt, und schüttelt dann achselzuckend den Kopf. »Ich habe eine Organisation mit 2.000 Menschen aufgebaut!«, ruft sie aus. »Ich bin weit davon entfernt, allein zu sein.«
Sister Lucy wurde 1956 im Staat Kerala in Südindien geboren und wuchs behütet im Kreise einer christlichen Familie auf, mit neun Geschwistern und liebevollen Eltern. Im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren hatte Sister Lucy die schulische Ausbildung, die vor Ort angeboten wurde, abgeschlossen und ging nach Bombay, um ihre Ausbildung dort fortzusetzen. Ehe sie ihre Heimat verließ, war Sister Lucy davon ausgegangen, dass ihre Muttersprache überall gesprochen wird. Als sie jedoch in Bombay ankam, machte sie die Entdeckung, dass hier einfach alles in einer völlig anderen Sprache stattfand! Sister Lucys Vorhaben, ihre Schulausbildung fortzusetzen, löste sich vor ihren Augen in Nichts auf. Obwohl sie großes Heimweh hatte, beschloss Lucy, in Bombay zu bleiben. Nicht lange danach erhielt sie eine Anstellung in einer von Nonnen geführten Schule, wo sie sich um die kleineren Kinder kümmern sollte. Durch diese Arbeit lernte sie Mutter Teresa kennen. Sie besuchte deren Haus für Leprakranke und spielte mit den Kindern dort. Obwohl ihr dies große Freude bereitete, bekümmerte sie auch, was sie in Bombay sah. Bei ihr zuhause konnte sich jeder selbst versorgen, im eigenen Haus mit fließendem Wasser und genügend Nahrung. In Bombay hingegen sah Sister Lucy extreme Armut, sie sah Bettler, die auf der Straße schliefen, und sie begann sich zu fragen, wie sie den Menschen helfen könnte. Im Alter von 14 Jahren erkannte Sister Lucy, dass es ihr Herz danach drängte, den Armen zu helfen. Als sie 18 wurde, hatte sie bereits den Entschluss gefasst, Nonne im Orden von Mutter Teresa zu werden.
Sister Lucy konnte nicht sagen, wann es begonnen hatte oder warum, aber etwas am Leben einer Nonne zog sie an – sie war sich sicher, dass genau dort ihr Glück lag und sie etwas für eine bessere Welt tun konnte. Aber erst ein Jahrzehnt später, nachdem Sister Lucy Nonne der Holy Cross Congregation geworden war, nahm der Auftrag ihres Herzens Gestalt an. Sie hatte sich vorgestellt, dass sie, wenn sie erst einmal Nonne wäre, den Ärm-sten Bombays helfen würde. Allerdings musste sie feststellen, dass die Nonnen dort unterrichteten oder die Kranken pflegten, wo dies ihrer Ordensgemeinschaft Einkommen einbrachte, und nicht da, wo ihre Arbeit am nötigsten gebraucht wurde. Sister Lucy war Anfang 30, als ein tragisches Erlebnis ihr Leben nachhaltig verändern sollte. Sie hatte die Erlaubnis zur Sozialarbeit in einer nahegelegenen Stadt erhalten, wo eines Abends eine junge, etwa im siebten Monat schwangere Frau auf sie zukam und um eine Unterkunft für die Nacht bat. Die Frau war Hindu, und Sister Lucy wusste, dass es dem Kloster nicht gestattet war, Hindufrauen Unterkunft zu gewähren. Nachdem sie sich bei ihren Mitschwestern vergewissert hatte, dass sie nichts für die Frau tun konnte, schickte Sister Lucy sie weg.
Später in dieser Nacht wachte sie von lautem Geschrei auf. Sie kleidete sich an und verließ das Kloster, um herauszufinden, was los war. Sie folgte den Geräuschen, bis sie zu einem lodernden Feuer kam. Die Schreie kamen aus dem Innern der Flammen – die Frau, die Sister Lucy zuvor weggeschickt hatte, war von ihrem Ehemann angezündet worden. Obwohl Sister Lucy beim Löschen des Feuers half und die Frau ins Krankenhaus brachte, konnten die Ärzte nichts mehr tun. Die Frau war bereits zu 90 Prozent verbrannt und auch das Baby, das auf Sister Lucys Drängen hin herausgeschnitten wurde, um es zu retten, war tot. Obwohl sie Nonne geworden war, war Sister Lucy nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig zu helfen. Völlig aufgebracht und wütend auf sich selbst schwor sie sich, nach dieser Nacht künftig mehr zu tun, um den Armen zu helfen.
Zum ersten Mal kam »eine schreckliche Traurigkeit« in Sister Lucys Leben. »Ich konnte diese Frau einfach nicht vergessen«, sagt sie zu mir mit gesenktem Blick. »Ich hatte keine Ahnung mehr, was ich eigentlich tat oder warum.« Zurück im Kloster war sie so frustriert, dass sie einen Tisch umwarf. Dies erregte die Aufmerksamkeit der anderen Schwestern, und man schickte sie zu einem Beratungsgespräch mit einem Priester. Nachdem er mit Sister Lucy gesprochen hatte, fragte sie der Priester: »Statt auf die anderen Schwestern zu warten, warum unternimmst du nicht selbst etwas?« »Was kann ich denn tun, ohne Geld oder Ausbildung?«, fragte Sister Lucy. »Wenn du Liebe in deinem Herzen hast, dann kannst du einen Weg finden«, antwortete er.
WIR FEIERN ALLES. DIE TRAUMATISIERTEN BRAUCHEN SO VIELE FESTE WIE NUR MÖGLICH.
Diese Worte blieben Sister Lucy im Gedächtnis; es war an der Zeit, etwas zu tun. Wie es sich ergab, lehrte derselbe Priester hin und wieder in Deutschland über Hinduismus. Etwa ein Jahr nach der Begegnung mit Sister Lucy informierte er sie darüber, dass einer seiner österreichischen Studenten nach einer Möglichkeit suchte, mittellosen Frauen in Indien zu helfen. Der Priester organisierte die Einreise dieses Mannes und ein Treffen mit Sister Lucy. Der Mann blieb für einen ganzen Monat und traf währenddessen öfter Sister Lucy, um über ihre Vorstellungen und Wünsche zu sprechen. Schließlich fragte er sie, was sie tun würde, wenn sie Geld hätte. »Ich würde obdachlosen Frauen ein Zuhause geben«, sagte sie. Dies genügte, damit der Mann dafür sorgte, dass sie ein kleines Stück Land kaufen konnte. Sie sammelte nach und nach mehr Geld und konnte 1997 ihr erstes Heim für verlassene und mittellose Frauen errichten.
Heute betreibt Maher (in Marathi bedeutet das ›Heim meiner Mutter‹), die Organisation, die Sister Lucy gegründet hat, 54 Heime in sechs Staaten in Indien mit mehr als 200 Angestellten, die für das Ziel arbeiten, für jede Frau Nahrung und eine sichere Unterkunft zu beschaffen. Sister Lucys Augen funkeln vor Lebensfreude, während sie mit mir über Mahers Umgang mit Religion und Festen spricht: »Wir feiern alles. Die Traumatisierten brauchen so viele Feste wie nur möglich.« Maher hat sich zum Ziel gesetzt, Frieden und Harmonie in einem oftmals gespaltenen Land mit hoher Diversität zu fördern. »Liebe ist unsere Religion«, sagt Sister Lucy mit einem empathischen Kopfnicken. Tatsächlich gründete sie 2017 innerhalb von Maher die Interfaith Association for Service to Humanity and Nature, die sich der Aufgabe widmet, auf globaler Ebene Leid zu lindern, unabhängig von Religionszugehörigkeit, Glaubensrichtung oder persönlichem Glaubensbekenntnis.
Als ich sie frage, ob sie sich jemals überwältigt fühle von den zahlreichen Menschen, die Mahers Unterstützung brauchen, schweigt Sister Lucy für einen Augenblick. Dann antwortet sie: »Sicher, manchmal frustriert mich das, dass ich nicht mehr tun kann. Ich wünschte, es gäbe mehr Hände und mehr Menschen, um diese Arbeit zu tun – es gibt einfach so viel Not. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich mehr vollbringen könnte. Aber ich habe nie daran gedacht aufzugeben. Wenn ich mich doch einmal elend fühle, dann schaue ich einfach einem Kind in die Augen, und meine Energie kommt zurück.«
Author:
Miranda Perrone
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