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Transhumanisten sehen den nächsten Schritt der Bewusstseinsevolution in unserer Verbindung mit künstlicher Intelligenz – in uns selbst und mit künstlich-bewussten Wesen, die wir erschaffen werden. Aber was bedeutet es eigentlich, Bewusstsein zu entwickeln?
Wir Menschen sind ein Auslaufmodell. Die Zukunft gehört der künstlichen Intelligenz und den Cyborgs, der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Früher war das für mich Science-Fiction. Cyborgs gehörten zu Filmepen wie „Star Trek“ und düsteren Zukunftsdramen wie „Terminator“. Doch eine junge kulturelle Strömung, der Transhumanismus, ist der Überzeugung, dass die Zukunft viel näher ist als wir dachten. Getragen wird diese Bewegung oft von Informations- und Neurowissenschaftlern, von Silicon Valley-Unternehmern und Futuristen wie Ray Kurzweil und anderen. Nach Ansicht der Transhumanisten ist der Zeitpunkt, an dem die Maschinen uns geistig überholen, in greifbare Nähe gerückt. Ray Kurzweil nennt diesen Moment „Singularität“ und er meint, dass er um das Jahr 2045 Wirklichkeit sein wird: „Die Singularität hat vielerlei Konsequenzen, doch die wichtigste ist, dass unsere Technik die Feinheit und Eleganz der höchsten menschlichen Fähigkeiten erreichen und schließlich in den Schatten stellen wird.“ Das sei „der unausweichliche nächste Schritt des Evolutionsprozesses“. Der technische Fortschritt werde nicht mehr an die menschliche Denkgeschwindigkeit gekoppelt sein. Die künstliche Intelligenz wird aber auch im menschlichen Hirn Fuß fassen (was sich in Form von computerisierten Neuroimplantaten bereits abzeichnet). Kurzweil weiter: „Unsere (maschinelle) Hirnleistung wird exponentiell wachsen und sich jährlich mindestens verdoppeln. Da die biologische Kapazität beschränkt bleibt, wird letztlich der nichtbiologische Anteil unserer Intelligenz überwiegen.“
Für alles, eben auch für unsere Bewusstseinsevolution, sehen die Transhumanisten eine technische Lösung.
Das Tempo des wissenschaftlichen Fortschritts in den Bereichen Genforschung, Nanotechnologie, künstlicher Intelligenz und Robotik wird sich demnach weiter explosiv beschleunigen. Einer transbiologischen Phase, in der nichtbiologische Intelligenz noch tief in biologischer Intelligenz verwurzelt sein wird, folgt laut Kurzweil eine post-biologische, in der das Universum erobert werden könne. Im Verlauf des nächsten Jahrhunderts werde es gelingen, „das Sonnensystem mit selbstreplizierender, nicht-biologischer Intelligenz zu erfüllen“. Werden die Science-Fiction-Filme der letzten Jahrzehnte langsam Wirklichkeit? Vor kurzem las ich im „Spiegel“, dass das US-amerikanische Militär einen neuen Helm für Soldaten konzipiert hat, in dem Stromspulen das Hirn der Soldaten so stimulieren, dass über einen Magnetimpuls Risikobereitschaft, Mut und Ausdauer unterstützt werden. Der Politologe Roland Benedikter warnt im Zusammenhang mit den transhumanistischen Visionen vor der Gefahr einer Bewusstseinsindustrie, in der aus Menschen Technik wird.
Der Mensch als Übergang
Doch während der Vorbereitung dieser Ausgabe von „evolve“ machte mich ein Freund auch auf das neue Buch „Human Purpose and Transhuman Potential“ des chinesischen Autors Ted Chu aufmerksam. Ted Chu, der gerade an der Universität in Abu Dhabi Wirtschaft lehrt, sieht das Versprechen des Transhumanismus in einem ganz anderen Licht. In seinem Buch zeichnet er einen großen Bogen der menschlichen Bewusstseinsevolution und beleuchtet die Rolle, die der chinesische Taoismus, das Christentum und die europäische Aufklärung dabei gespielt haben. Wir leben heute in einer Zeit der menschlichen Geschichte, an dem wir uns der gesamten kosmischen Evolution bewusst werden. Und hier stellt Ted Chu eine provokante Frage: Vielleicht sind wir Menschen, genauso wie die Einzeller, die Reptilien und die Primaten zuvor, nur ein weiteres Übergangsstadium der evolutionären Reise zu neueren, bewussteren Lebensformen? Diese Frage ändert natürlich die Perspektive: Welche Bedeutung haben wir Menschen aus der Sicht der Evolution? Und welche Bedeutung hat es, dass wir in die Lage versetzt werden, viele unserer menschlichen Begrenzungen – die Größe unseres Hirns, die Beschränktheit unserer Sinnesorgane, unsere begrenzte Lebenszeit, unser lückenhaftes Gedächtnis – zu überwinden? Pflanzen haben sich zu Tieren gewandelt und Säugetiere zu Primaten und Menschen. Dieser Prozess war immer auch mit einer Entwicklung des Körpers verbunden. Vielleicht entwickeln wir gerade mit Hilfe der Technik neue Körper für eine neue Lebensform, und es bestätigt sich die Sicht des Philosophen Ken Wilber, der meint, dass das „Integrale Zeitalter“ auch das Zeitalter der Cyborgs sein wird. Wir stehen also an einer Zeitenwende. Zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir dazu in der Lage, etwas zu erschaffen, das unsere Intelligenz und unsere Fähigkeit, auf die Wirklichkeit zu reagieren und einzuwirken, übersteigt. Bisher war unsere Menschheitsgeschichte auch eine Geschichte des Wachstums unserer menschlichen Autonomie. Aus einer Situation der völligen Abhängigkeit von der Natur haben wir uns – im Guten wie im Schlechten – immer mehr Freiräume geschaffen. Wir sind damit nicht immer weise umgegangen, aber das grundsätzliche Potential dieser Räume stand und steht uns zur Verfügung. Wenn sich die künstliche Intelligenz weiter so rasant entwickelt, könnte sich in Zukunft ihre Autonomie auf Kosten der menschlichen Autonomie entwickeln.
Technisches Bewusstsein
Hier haben die Transhumanisten aber möglicherweise auch ihren blinden Fleck. Denn welcher Art von Bewusstsein wollen wir eigentlich neue Autonomie geben? Beim Lesen des Buches von Ted Chu blieb mir ein ganz prägender Eindruck: seine überbordende Faszination über das technisch Machbare. Für alles – und eben auch für die Bewusstseinsevolution –, sehen die Transhumanisten eine technische Lösung. Das ist natürlich nicht ganz falsch. Die Technik wird uns viel ermöglichen. Doch in ihrer Euphorie scheinen sie zu übersehen, dass der technisch-instrumentelle Blick selbst eine Form von Bewusstsein ist. Der Philosoph Jürgen Habermas schrieb in seinem Buch „Technik und Wissenschaft als Ideologie“, dass der technische Blick, der alles auf seine Zweckrationalität reduziert, unser menschliches Bewusstsein beschränkt. Wenn wir keine Bäume, sondern nur mehr Nutzholz sehen, wenn wir uns nicht mehr als Menschen, sondern nur mehr als Mittel für verschiedene Zwecke begegnen, dann ist etwas in unserer Menschlichkeit verkümmert. Dieser Gegensatz zwischen freiem Austausch von Mensch zu Mensch, in dem wir uns in unseren Stärken und Schwächen begegnen können, und einer immer abstrakteren Zweckrationalität, die mehr und mehr unsere Gesellschaften bestimmt, wurde zu einem der grundlegenden Themen in Habermas’ Philosophie. Er nannte dies später den Gegensatz zwischen unserer Lebenswelt und den sozialen Systemen. Habermas sah es als eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit, die Lebenswelten gegenüber den immer stärker dominierenden Systemwelten von Technik, Staat und Wirtschaft zu verteidigen und zu stärken.
Vielleicht sind wir Menschen nur ein weiterer Übergang der evolutionären Reise zu neueren, bewussteren Lebensformen?
Das technisch-instrumentelle Bewusstsein, das alles nur in großen zweckrationalen Zusammenhängen wahrnimmt, kennt keine Welt außerhalb dieser Sichtweise. Für einen Hammer besteht die Welt nur aus Nägeln – er kennt nichts anderes. Wenn wir also von Bewusstseinsevolution sprechen, was meinen wir eigentlich damit? Viele Transhumanisten thematisieren Bewusstsein in einer sehr vereinfachten Weise. Für Ray Kurzweil ist Bewusstsein vor allem eine Frage des komplexen Denkens und er meint, dass wir den Algorithmus menschlichen Denkens bereits weitgehend durch das „Hierarchical Hidden Markov Model“ entschlüsselt haben, ein mathematisches Wahrscheinlichkeitsmodell, welches in der Informatik bereits im Bereich der Spracherkennung oder bei der Entwicklung von Spamfiltern genutzt wird. Demnach wären wir dem Geheimnis des Bewusstseins schon sehr nahe gekommen. Bernd Vowinkel, ein deutscher Transhumanist, ist hier vorsichtiger. In seinem Buch „Maschinen mit Bewusstsein“ stellt er wohl zu Recht fest, dass das Bewusstsein als Phänomen und in seiner Wirkungsweise eines der letzten großen Rätsel unserer Welt ist. Der Hirnforschung fehlt bisher – auch nach eigener Aussage ihrer authentischen Vertreter – jede Erklärung für Entstehen und Funktion von Bewusstsein, von einer Theorie ganz zu schweigen. Aber da es die Evolution geschafft hat, aus unbelebter Materie über viele Zwischenschritte Wesen mit Bewusstsein zu schaffen, „ohne dass es des Eingreifens einer höheren Macht“ bedurfte hätte, gäbe es keinen Grund, dies nicht nochmals mit Hilfe der Technik zu tun. Doch was ist eigentlich Bewusstsein?
Evolution des Staunens
Vor einigen Jahren inszenierte der japanische Theaterregisseur Oriza Hirata ein Theaterstück, in dem ein hochentwickelter Roboter mit menschlicher Mimik und Gestik gemeinsam mit der Schauspielerin Bryerly Long auf der Bühne stand. Der weibliche Android und die Schauspielerin spielten beide ihre einstudierten Rollen und das Publikum war sehr überraschend und betroffen, denn japanische Roboter kommen dem, was wir als menschlichen Ausdruck ansehen, bereits verblüffend nahe. Interessant war ein Interview, das die Schauspielerin nach der Premiere gab. Sie wurde gefragt, wie sie sich auf der Bühne mit ihrer „Schauspielkollegin“ namens „Geminoid F“ gefühlt habe, und Bryerly Long antwortete: „einsam“. Warum hatte die Schauspielerin bei ihrer Bühnenpartnerin das Gefühl, dass niemand anwesend war? Wovon hängt es ab, dass wir jemanden als anwesend empfinden? Offensichtlich hat dies mit Bewusstsein zu tun. Vielleicht haben wir (noch) keine befriedigende Antwort auf die Frage, was Bewusstsein ist. Aber wenn jemand bewusst anwesend ist, dann nehmen wir es auf jeden Fall wahr – wenn nicht, dann „ist da niemand“ für uns. Unser Bewusstsein hat auch Eigenschaften, die wenig mit Zweckrationalität oder Rechenkapazität zu tun haben. Wir können staunen, sei es über die Schönheit unseres Planeten oder die Tiefe, die sich in einem intimen Augenblick zwischen zwei Menschen einzustellen vermag. Es ist diese Fähigkeit zu Staunen und zu Ehrfurcht, die der Religionswissenschaftler Rudolf Otto einmal eine der Grunderfahrungen des Heiligen genannt hat. Sie ist gleichzeitig eine sehr direkte Erfahrung von Bewusstsein. Wenn wir von der Evolution des Bewusstseins sprechen, ist dann die Evolution des Staunens ein Teil dieser Evolution? Oder wenn Transhumanisten wie Ted Chu von einem zukünftigen „cosmic being“, von einem kosmischen Bewusstsein sprechen, würde das die Fähigkeit enthalten, über den Kosmos zu staunen?
Bisher war unsere Menschheitsgeschichte auch eine Geschichte des Wachstums unserer menschlichen Autonomie.
Die Entwicklung unseres technisch-instrumentellen Bewusstseins ist ein wichtiger Teil der menschlichen Evolution, aber eben nur ein Teil. Gernot Böhme beschreibt in seinem Buch „Bewusstseinsformen“, wie wir vor allem in unserer europäisch-westlichen Kulturgeschichte Wahrnehmungsmodi entwickelt haben, durch die wir mehr und mehr begannen, die Welt und alles in ihr als Gegenständlich wahrzunehmen. Er beschreibt auch, wie wir seit der Zeit von Sokrates anfingen, die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu entwickeln. Selbstreflexion schafft im Guten wie im Schlechten Distanz, Distanz zu uns selbst. Sie erlaubt es, uns selbst objektiver wahrzunehmen. Gleichzeitig entwickeln wir so eine Haltung, in der wir uns nur mehr mittelbar, im Spiegel dieser Reflexion, wahrnehmen. Das gegenständlich reflexive Bewusstsein, so wichtig es ist, wurde so auch zu einem Hindernis, wirklich „anwesend zu sein“. Aber genau dieses Anwesend-Sein, auch in Beziehungen, ist eine grundlegende Qualität von Bewusstsein. Viele Menschen erleben heute, dass uns hier etwas abhandengekommen ist. Das ist mit ein Grund dafür, dass Meditation in unserer heutigen Gesellschaft immer größeren Anklang findet.
Lasst uns reden!
Meditation zeigt sich mehr und mehr als eine entscheidende Kulturtechnik, um die Begrenzungen eines rein gegenständlichen und erst recht eines technisch-instrumentellen Bewusstseins überhaupt wahrnehmen und vielleicht auch transzendieren zu können. Arthur Zajonc, Präsident des Mind and Life Institute, spricht davon, welche entscheidende Rolle Meditation und kontemplative Praxis für unsere Bewusstseinsentwicklung haben können. In seinen Studien über Meditationspraxis beschreibt er den Prozess des „Stillwerdens“, der „offenen Aufmerksamkeit“ und der Demut und Dankbarkeit, als Quintessenz dieser Bewusstseinsarbeit. Was bedeuten diese Qualitäten am Übergang zu einer transhumanistischen Zukunft? Wir werden wahrscheinlich bald technisch in der Lage sein, eine Intelligenz, vielleicht auch ein Bewusstsein zu erschaffen, das unsere menschlichen Kapazitäten übersteigt. Um dem gewachsen zu sein, brauchen wir ein tiefes Verständnis davon, was Bewusstsein und Menschsein bedeutet. Technik kann dieses Verständnis nicht entfalten. Es braucht unsere eigene Bewusstseinsarbeit, um darauf eine Antwort zu finden. Bringt der Transhumanismus eine Welt, in der die Technik menschlich wird oder in der der Mensch zur Technik wird? Werden die Trans-Menschen uns helfen können, unser menschliches Potential zu verwirklichen? Wenn hier wirklich eine neue Bewusstseinsform entsteht, dann öffnet sich ja auch die Tür für einen ganz neuen Dialog. Wir und die Trans-Menschen – lasst uns reden! Über Fragen wie diese: Was bedeutet es, bewusst zu sein? Was bedeutet es, einander bewusst als Mensch beziehungsweise Trans-Mensch zu begegnen? Wie wollen wir eine gemeinsame Zukunft gestalten? Auf diesen Dialog freue ich mich. Vielleicht werden wir ja auch gemeinsam meditieren.
Der technisch-instrumentelle Blick ist selbst eine Form von Bewusstsein.
Author:
Dr. Thomas Steininger
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