July 12, 2021
Was ich als politischen Metamodernismus bezeichne, ist eine neue Perspektive auf die Politik. Sie ändert nicht nur die Art und Weise, wie wir Politik ausüben, sondern auch die Rolle der Politik in der Gesellschaft selbst – und sie setzt neue Ziele für das, was wir in der Gesellschaft erreichen wollen und bietet Begründungen dafür. Sehr grundlegend betrachtet, versucht der politische Metamodernismus eine Gesellschaft zu ermöglichen, die nach dem kommt und über das hinausgeht, was wir üblicherweise für eine »moderne Gesellschaft« halten. Nehmen Sie ein modernes Land wie Schweden: Es ist heute wesentlich anders – politisch, sozial und wirtschaftlich – als noch vor einem Jahrhundert und seine Bürger haben sich zutiefst verändert. Woher kommen zum Beispiel all die Hacker, Yoga-Übenden und feministischen Veganerinnen?
Die Sozialdemokraten des frühen 20. Jahrhunderts verfolgten eine Ideologie – sie hatten eine Vision, eine Vorstellung davon, wie der zukünftige Sozialstaat aussehen könnte. Und in weiten Teilen ist diese Gesellschaftsvision erfolgreich realisiert worden. Aber seit einigen Jahrzehnten fehlen uns solche Visionen und Ziele – auch wenn sich die Welt schneller denn je verändert und die technologischen Möglichkeiten viel größer sind als je zuvor. Wo bleiben also die großen politischen Visionen?
Das Ziel der politischen Metamoderne besteht darin, uns von einer »modernen« Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung (liberale Demokratie, Parteipolitik, Kapitalismus, Sozialstaat) zur nächsten »metamodernen« Stufe der Entwicklung zu führen. Sie ist bestrebt, die liberale Demokratie als politisches System, alle politischen Parteien und ihre Ideologien, den Kapitalismus als Wirtschaftssystem und unseren gegenwärtigen Wohlfahrtsstaat zu überwinden und zu ersetzen.
Die politische Metamoderne stützt sich auf eine zentrale Einsicht: Der Königsweg zu einer guten zukünftigen Gesellschaft ist persönliche Entwicklung und seelisches Wachstum. Und Menschen entwickeln sich wesentlich besser, wenn man ihre innersten seelischen Bedürfnisse erfüllt. Wir suchen also nach einer »tieferen« Gesellschaft, einer Kultur, die gemeinschaftsfähiger, emotional intelligenter und existenziell reifer ist.
DER KÖNIGSWEG ZU EINER GUTEN ZUKÜNFTIGEN GESELLSCHAFT IST SEELISCHES WACHSTUM.
Der politische Metamodernismus ist durch drei verschiedene Aspekte gekennzeichnet: The Listening Society(die zuhörende Gesellschaft) ist das soziale Wohl der Zukunft – sie bezeichnet eine Fürsorge füreinander, die die emotionalen Bedürfnisse aller Bürger einschließt und ihr seelisches Wachstum unterstützt. So entsteht eine Gesellschaft, in der jeder gesehen und gehört wird (anstatt manipuliert oder überwacht zu werden). Co-Development (die Co-Entwicklung) ist eine Art des politischen Denkens, die parteiübergreifend orientiert ist, egoistische Konkurrenz, emotionale Entgleisungen und voreingenommene Meinungen in Schach hält und versucht, das allgemeine Klima des politischen Diskurses zu verbessern: »Ich entwickle mich, wenn du dich entwickelst. Auch wenn wir nicht einer Meinung sind, kommen wir der Wahrheit näher, wenn wir bessere Dialoge führen und die Standards dafür anheben, wie wir miteinander umgehen.« The Nordic Ideology (die Nordische Ideologie) ist meine Bezeichnung für eine politische Struktur, die die langfristige Schaffung einer zuhörenden Gesellschaft unterstützt und Raum für gemeinsame Entwicklung schafft. Sie wird als Nordische Ideologie bezeichnet, weil ihre ersten Sprossen in und um Skandinavien entstehen.
Diese drei Aspekte zusammengenommen sind also das, was ich als politischen Metamodernismus bezeichne. Ich bin immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die politische Metamoderne außerordentlich nützlich ist, um die Krankheiten der Gesellschaft zu bekämpfen, wie zum Beispiel: die vielschichtige ökologische Krise, die Instabilität der Wirtschaft, die um sich greifenden globalen Ungleichheiten, die weit verbreitete Angst oder »Entfremdung«, die moderne Menschen spüren, die Herausforderungen der globalen Migration, der Übergang zu einer postindustriellen, roboterisierten und digitalisierten Wirtschaft und die Herausforderungen transnationaler Governance-Ansätze. Deshalb glaube ich, dass die zuhörende Gesellschaft die Brücke ist, die uns in wenigen Generationen von der modernen Welt in eine metamoderne Gesellschaft führen kann.