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Interview
Publiziert am:

August 1, 2014

Mit:
Zachary Stein
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AUSGABE:
Ausgabe 03 / 2014
|
August 2014
Maschinen meditieren nicht
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Die Enhancement-Kultur

Technologischer Fortschritt scheint im Bildungswesen völlig neue Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Doch was geschieht, wenn wir den menschlichen Geist als Design-Objekt behandeln? Darüber sprachen wir mit dem Entwicklungspsychologen Zachary Stein.

evolve: Mit Google-Brillen, Meditations-Kopfhörern und neuen künstlichen Gliedmaßen scheinen Dinge, die wir sonst nur aus der Science-Fiction kennen, plötzlich greifbar geworden zu sein. Der ewige Wunsch der Menschheit, unsere Grenzen zu überwinden, hat eine neue Ebene erreicht. Während sich dieser Wunsch in der Vergangenheit oft durch spirituelle Sehnsucht und spirituelle Praxis ausgedrückt hat, besteht heute ein Verlangen nach Verbesserung auf der physischen Ebene. Was denken Sie als Entwicklungspsychologe über diese Entwicklung?

Zachary Stein: Wir befinden uns mitten in einer Kultur, die ich als eine Kultur der Verbesserung oder des Enhancements bezeichnen würde, und wir beginnen gerade, die ersten Effekte davon zu sehen. Erste Untersuchungen mit Universitätsstudenten, denen für eine Woche nicht erlaubt wurde, das Internet oder Facebook zu benutzen, zeigen, dass diese jungen Leute ihren Halt verlieren. Sie wissen nicht mehr, wer sie sind. Alle Möglichkeiten, ihre Informationen zu organisieren oder ihr Selbstbild zu bestätigen, sind ihnen damit genommen. Ähnliche Fragen zur menschlichen Identität stellen sich durch die Versuche pharmakologischer Optimierung. In der pädagogischen Neurowissenschaft versuchen Pädagogen und Wissenschaftler mit strategischen und instrumentellen Eingriffen in das zentrale Nervensystem ihre Vorstellung von Lernen, Entwicklung und Bildung umzusetzen. Es gibt Bestrebungen in der Pädagogik, Kindern Psychopharmaka zu verabreichen, damit sie bessere akademische Ergebnisse zeigen. Trotz aller Kritik, dass diese Medikamente nicht sicher und gut genug erforscht sind, sehe ich in dieser Herangehensweise an pädagogische Probleme ein noch tieferliegendes Problem, was die Beziehungen angeht, die mit solch einem Ansatz unterstützt werden. Bildung basiert auf Intersubjektivität. Lehren und Lernen erfordert  einverständliche Normen und Absprachen. Einige Neurowissenschaftler, die in der Pädagogik forschen, unternehmen strategische Eingriffe ins Nervensystem, um das Verhalten zu verändern, ohne bei den Schülern das Gefühl für ein gemeinsames Ziel zu entwickeln.
Kurz gesagt sprechen wir über einen wichtigen Unterschied: Wollen wir ein Kind bilden oder designen?

Bildung oder Design

e: Das ist eine drastische Unterscheidung. Können Sie erklären, was Sie damit meinen?

ZK: Der Unterschied zwischen Bildung und Design gründet auf einem anderen Unterschied, dem zwischen einer Perspektive der dritten Person oder der zweiten Person. Eine Perspektive der dritten Person bedeutet, das Kind als Objekt zu sehen, an dem gearbeitet werden muss. In einer Perspektive der zweiten Person beziehen wir uns auf das Kind als eine andere Person, mit der wir arbeiten. Wirkliche Bildung arbeitet mit dem Kind in einer intersubjektiven Umgebung und aufgrund gemeinsamer Ziele. Wenn man allerdings Kinder durch Design verändert, dann kann man ohne ihr Einverständnis an ihnen arbeiten. Wenn man ein Kind durch Pharmaka designen will, umgeht man das Einverständnis des Betroffenen. Man braucht das Kind nicht davon zu überzeugen, sein Verhalten zu ändern, es geschieht durch die Hintertür, indem seine Absicht und sein Wille umgangen werden.

Wie könnte ein Computer jemals einen Lehrer, die Eltern oder eine Pflegekraft in einem Altenheim ersetzen?

e: Man beugt den Willen des Kindes pharmakologisch, anstatt Überzeugungsarbeit zu leisten und ihm als Mensch zu begegnen?

ZK: Genau, das ist ein wichtiger Unterschied zwischen Bildung oder Erziehung und Design. Freilich kann das noch wesentlich raffinierter stattfinden. Man kann sich entscheiden, die Möglichkeiten des Designs auf sich selbst anzuwenden. Jürgen Habermas spricht hier über die ethischen Grenzen der Selbstinstrumentalisierung. Denn wir können unseren eigenen Willen auch so anwenden, dass wir unser Menschsein gefährden. Habermas argumentiert, dass wir langfristig unsere eigenverantwortliche moralische Entscheidungsfähigkeit untergraben, wenn wir unser biologisches Fundament grundlegend verändern. Denn wenn ich von meinen Eltern oder einer kommerziellen Technologie, die mein Nervensystem verändert, designt wurde, kann ich mich nicht mehr selbst als verantwortlich dafür ansehen, wer ich bin. Wenn jemand von seinen Eltern durch Design verändert wurde, ist der Fall noch drastischer. Um ein verantwortlicher moralischer Akteur sein zu können, muss ich mein Leben als etwas betrachten, für das ich verantwortlich bin. Aber wenn ich (und mein Gehirn) durch Design manipuliert wurde, dann ist mein Leben nicht mein Eigenes.

Der Geist ist eine Landschaft

e: Transhumanisten argumentieren oft damit, dass unser Leistungsspektrum schon längst erweitert wurde. Brillen, Hörgeräte, Smartphones, das sind alles bereits Erweiterungen unserer natürlichen Fähigkeiten. Wie kann man entscheiden, welche Eingriffe unser Menschsein betreffen?

ZK: Seit dem Beginn des Maschinenzeitalters wurden die Grenzen dessen, was mechanisch möglich ist, vom Menschen bestimmt. Im frühen Fabrikwesen wurden die Menschen so geformt, dass sie sich den Maschinen anpassten. Langfristig hat sich dabei herausgestellt, dass das sehr ineffizient und unethisch ist, da die Maschinen weder auf die körperlichen noch auf die geistigen Voraussetzungen des Menschen Rücksicht nahmen. Heute sagen wir, dass Computer sich an uns anpassen, aber diesem Denken fehlt ein wesentliches Verständnis: der Geist hat eine Organisation, Struktur und gewisse Kohärenz. Es ist richtig, dass Computer in Hinblick auf den Körper bequemer und weniger invasiv sind, aber viele Computertechnologien sind den grundlegendsten und wichtigsten Strukturen unseres geistigen Lebens entgegengesetzt und gefährden diese möglicherweise.

Es findet gerade ein gewaltiges Experiment mit der menschlichen Spezies statt.


Das geschieht bereits. Aufmerksamkeitsdefizit-Störungen grassieren und eine der Ursachen dafür sind eindeutig die Kommunikationstechnologien und die Zerrüttung der Aufmerksamkeit. Das deutet auf die Tatsache hin, dass der Geist ein Innenleben besitzt, das wir zu bedenken haben, da wir einen Geist tatsächlich brechen können, sodass jemand der einfachsten Formen von Aufmerksamkeitskontrolle unfähig wird.
Für viele Transhumanisten gibt es keine Innerlichkeit. Ich meine mit Innerlichkeit nicht lediglich Bewusstsein, sondern vielmehr reale Strukturen des Geistes, wie sie von Jean Piaget oder Sigmund Freud beschrieben wurden. Wenn der Geist keine Architektur besitzt, gibt es keine Widerstände und nichts, das schief laufen kann. Es ist so, als würden wir darüber nachdenken, was man mit einer offenen Landschaft anstellen kann, ohne zu begreifen, dass es Felsen und Bäume, Wälder und Lebensräume gibt, weswegen man nicht einfach alles bauen kann, was man will.

e: Es ist alarmierend zu sehen, dass wir hier die Grundlagen unseres Menschseins manipulieren.

ZK: Aber das begeistert die Transhumanisten, sie nennen sich ja nicht ohne Grund Trans-Humanisten. Sie wollen etwas Neues aus uns machen. Aber ich denke, wir sollten davon beunruhigt sein. Ich frage mich, ob die Transhumanisten wirklich wissen, was sie tun. Was ich von den meisten Transhumanisten höre, ist eine Art naiv pubertäre Perspektive. Tatsächlich besuchte ich einmal die „Neural Information Processing Society“. Dort arbeiten Menschen daran, Roboter und künstliche Intelligenzen zu erschaffen. Sie arbeiten für große Unternehmen, die NASA und das Militär, aber ihr Horizont war so begrenzt. Ihr Hauptargument dafür, diese Arbeit zu machen war: sie wäre cool. Die technischen Probleme, an denen sie arbeiteten, waren für sie so faszinierend und aufregend, dass weiterreichende Implikationen ihres Erfolges niemals wirklich auf den Tisch kamen.
Transhumanisten haben einen starken Glauben in die Naturwissenschaft und einen Mangel an Verständnis für die Tatsache, dass die Psyche oder der Geist selbst Realitäten sind. Wenn wir diese Realitäten und Strukturen gefährden, gehen wir große Risiken ein. Dabei geht es nicht nur um körperliche Verletzungen, sondern es könnte zu einer Identitätskrise führen, die unsere gesamte Spezies umfasst und aus einem Riss im Gewebe unserer Lebenswelt resultiert, der durch diese technischen Entwicklungen verursacht ist. Es geht nicht nur darum, dass wir uns selbst verletzen, sondern wir wissen nicht länger, wer wir als menschliche Wesen sind. Wenn wir nicht wissen, wer wir sind, können wir nicht auf frühere Formen menschlicher Kultur zurückblicken und mit diesen sympathisieren, wir können nicht mehr über kulturelle Grenzen hinweg sehen und Mitgefühl füreinander empfinden.

Mensch sein kann uns niemand abnehmen

e: Mit diesen pharmakologisch oder elektronisch erweiterten Fähigkeiten werden die innere Disziplin und die innere Fähigkeit der Aufmerksamkeitssteuerung überflüssig. Aus dieser Tatsache entstehen einige wichtige Fragen: Was passiert, wenn wir Zugang zu Erfahrungen haben, die früher einer sehr behutsamen Entwicklung von Bewusstseinsstrukturen bedurften, um sie aufrechthalten zu können? Und was geschieht mit Kindern, die einer Explosion an Sinneseindrücken ausgesetzt sind, ohne die schrittweise Selbst-Entwicklung durchlaufen zu haben, welche ihnen ermöglicht, sich mit diesen auseinanderzusetzen, sie einzugliedern und eine eigenverantwortliche Beziehung dazu einzunehmen?

ZK: Ja, beide Bedenken sind unbeantwortete Fragen. Es findet gerade ein gewaltiges Experiment mit der Spezies statt, sowohl mit Psychopharmaka als auch mit neuen Technologien. Nur ein Beispiel: Wenn jemand in der Schule ein Medikament bekommt, das die Leistung steigert, hängt die Leistung von nun an von dieser Medizin ab. Um daher auch auf der Universität dieses Leistungsniveau zu halten, muss derjenige sie weiter einnehmen. Das ist ein vollkommen anderer Ansatz als die eigene Leistung durch therapeutische und andere Mittel anzuheben, die faktisch ein Grundgerüst schaffen, durch das neue Fähigkeiten behalten werden können. Wenn man das Gerüst dann wegnimmt, das in diesem Fall irgendeine Art von Therapie ist, bleiben die Fähigkeiten erhalten. Mit Medikamenten läuft das vollkommen anders, wenn man dieses Bio-Tech-Gerüst wegnimmt, bleiben die Fähigkeiten nicht erhalten, wie viele Studien gezeigt haben. Viel schlimmer, wenn man das Gerüst wegnimmt, zerstört man die Person, die er oder sie meint geworden zu sein.

Ohne Liebe kann man nicht lernen und nicht lehren.

e: Wie sollten also diejenigen von uns, denen die Wertschätzung unserer Innerlichkeit ein Anliegen ist, auf diese Entwicklung antworten?

ZK: Manchmal frage ich mich, ob es einen totalitären Impuls hinter dem Transhumanismus gibt. Wenn es keinen Ausweg aus diesen Technologien gibt und sie bis hinunter in unsere Biologie eindringen, könnten wir die Autonomie verlieren, die uns zu Menschen macht.  
Wir müssen verstehen, dass das, was uns zu den ethischen Wesen gemacht hat, die wir sind – oder anstreben zu sein – die Einschränkungen sind, die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit von so vielem, was für uns wertvoll ist. Wenn wir diese Aspekte unserer Zerbrechlichkeit verlieren und eine transhumanistische Welt schaffen, in der wir unverwundbar gegenüber den Dingen werden, die Teil unserer menschlichen Erfahrung waren, wie unsere Sterblichkeit und Impulsivität, unser Versagen und unsere Schwäche, können wir die Tiefe unseres Menschseins verlieren. Oft schafft das Teilen dieser Aspekte tiefere menschliche Verbindungen und größeres Mitgefühl zwischen uns. Für mich ist der Versuch, unverletzbar zu sein, ein Zeichen der Unreife unserer Kultur.
Wie Lewis Mumford einst sagte, alle tieferen menschlichen Beziehungen basieren auf Liebe. Ohne Liebe kann man nicht lernen und nicht lehren. Wie könnte ein Computer jemals einen Lehrer, die Eltern oder eine Pflegekraft in einem Altenheim ersetzen? – allesamt Vorschläge, denen ich auf Konferenzen schon begegnet bin. Maschinen lieben dich nicht (und können dich nicht lieben). Wir sollten nicht von ihnen erwarten, dass sie für die Bildung unserer Kinder sorgen. Menschliche Entwicklung braucht Fürsorge, Aufmerksamkeit und geteilte Ziele. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Kinder durch Bildung und nicht durch Design verändern. Und wir müssen unsere eigene Menschlichkeit entwickeln, statt sie nur zu verbessern, zu transzendieren oder zu technologisieren.

Author:
Dr. Elizabeth Debold
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