Das Wunder der Entfaltung
Rolf Verres’ Weg in die Welten des Bewusstseins
July 12, 2021
Der Philosoph, Mystiker und Islamwissenschaftler Henry Corbin prägte das Wort von der Erkenntniskraft des Imaginalen. Die imaginale Welt oder Mundus Imaginalis war für ihn das Gegenteil von willkürlicher Fantasie. Er sah in ihr eine Einbildungskraft, ein symbolisches Erkennen, in dem sich subtile Dimensionen der Wirklichkeit zeigen. Die christliche Mystikerin Cynthia Bourgeault folgt diesen Spuren des Imaginalen. Wie sprachen mit ihr darüber, wie uns diese Form der Wahrnehmung sinnvoll in einem evolutionären Kosmos beheimaten kann.
evolve: Inwieweit betrachten Sie das Imaginale als hilfreich oder sogar als notwendig in dieser schwierigen Zeit auf unserem Planeten?
Cynthia Bourgeault: Unser Wertesystem ist bankrott und die Werte, die unsere skeptische, postmoderne Kultur uns gegeben hat, erlauben uns nicht, vollends Mensch zu sein – und wir wissen das. Diese Werte tragen nicht dazu bei, unser Gewissen und unser Herz zu entfalten. Sie fördern in keiner Weise das Empfinden, ein Teil dieser Erde zu sein. Sie unterstützen ein Gefühl der Verantwortung nur in lautstarken moralischen und polarisierenden Statements. Wir sind entwurzelt und haben uns in einem gespaltenen Geist selbst isoliert. Die rationale, intellektuelle Kultur hat sich mehr und mehr von der Erde entfremdet und uns voneinander getrennt. Wir spüren diesen Mangel, weil wir im Kern ein Teil dieses gewaltigen Gewebes sind, der Manifestation von Gottes Herz in der sichtbaren Welt. Ein Teil davon zu sein, gibt uns tiefen Sinn, einen tiefen Kontext für unser menschliches Leben. Eben weil es eine Sehnsucht nach dieser Anbindung gibt, sehen wir die verdrängten mythischen und magischen Kräfte in uns aufsteigen und nach Macht, Selbstausdruck und Einheit streben, in welcher Form auch immer wir sie bekommen können. Für viele Menschen fühlen sich verdrehte Formen immer noch besser an als gar keine Anbindung.
e: Weil es ein Dasein ohne Sinn bedeutet. Damit sagen Sie, dass das Imaginale eine entscheidende Quelle von Sinn ist?
CB: Genau. In dieser Krise, die uns die Pandemie auferlegt hat, werden wir den Sinn, der uns auch helfen kann, gut aus der Pandemie herauszukommen, nur finden, wenn wir den Kontext der wahren Bedeutung des menschlichen Lebens erweitern. Die spirituellen Traditionen zeigen auf diesen größeren Kontext und insbesondere in ihren subtileren Lehrformen finden wir das Imaginale. Im weitesten Sinn ist das Imaginale der Teil des objektiven Wissens und der Lehren über die menschliche Identität und deren Ausrichtung, die jenseits von Sinneswahrnehmungen und Rationalität liegt. Mit anderen Worten: Das Spektrum des objektiven Wissens greift auf subtile und verkörperte Fähigkeiten des Verstehens zurück. Dem müssen wir uns zuwenden. Die Kultur hat diese Fähigkeiten verloren. Wir haben den Zugang zu den Traditionen, die dem Menschsein einen kollektiven Sinn geben, verloren. Es ist an der Zeit, diese Traditionen wieder zurückzuholen.
Ein tieferes Wahrnehmungsvermögen
e: Der Begriff des »Imaginalen« ist verwirrend, weil es wie »Imagination« klingt. Können Sie etwas über den Unterschied zwischen der Imagination als Fantasie und dem Imaginalen als einem Weg des Wissens sagen?
CB: Ja, man kann es leicht verwechseln, weil sich beide Worte den Wortstamm Imago teilen. Für mich geht Imagination aus den Fähigkeiten des kleinen Ichs und des willentlichen Denkens hervor. Hier geht es um einen mentalen Vorgang, um Ästhetik, um Kunst. Das Imaginale hat mit verkörpertem, subtilem Wissen zu tun, es zerstört den Verstand nicht, aber es bettet ihn in ein tieferes Wahrnehmungsvermögen ein. Das Imaginale ist nicht mein persönliches Innenleben. Es ist nicht ausgedacht, es ist nicht künstlich, es geht nicht um mich. Es geht eher um empfangen als um erschaffen. Wenn wir unsere höheren Fähigkeiten des Verstehens und Seins damit in Einklang bringen, erhalten wir Zugang zu diesem Wissen.
e: Würden Sie sagen, dass imaginales Wissen häufig durch Bilder oder Symbole vermittelt wird?
CB: Ja, zu einem bestimmten Grad, auch wenn das meiner Ansicht nach zu einer unzulänglichen oder fehlerhaften Vorstellung führt. Wenn man sich mehr für die Symbole interessiert als für die direkte Wahrnehmung dessen, was sie zum Ausdruck bringen, dann gerät man sehr schnell wieder in die Ästhetik. Dann ist man mitten in der Interpretation, im Traditionalismus und in allen möglichen esoterischen Spekulationen. Wenn wir beginnen, das Imaginale zu erforschen, gibt es die Tendenz, unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Verpackung und nicht auf den wirklichen Kern zu richten. Dann verwickelt man sich in pseudo-esoterische Künste und die Interpretation des Imaginalen. Hier geht es dann um Weissagungen und Traumdeutungen, die dann durch die persönliche Psyche gefiltert werden, die versucht, die Kontrolle über ihren kognitiven Wahrnehmungstrichter zu behalten. Das echte Imaginale, so wie ich es verstehe, ist jenseits von Bildern. Es ist direkter. Ein Bild ist nur ein Abglanz davon.
e: Ich entnehme dem, was Sie sagen, dass das Imaginale eher so etwas wie eine direkte Wahrnehmung, eine direkte Erkenntnis ist.
CB: Ja, eine direkte, bildlose Wahrnehmung. Die Bilder und die Kunst, die daraus entstehen, können Ausdrucksformen dieser Wahrnehmung sein. Sie vermitteln nicht den Inhalt selbst
e: Das ist eine subtile Unterscheidung, die Sie hier treffen.
CB: Ja, sie ist sehr subtil und sehr wichtig. Ansonsten würde man nach Symbolen und ihrer Bedeutung suchen, wie in der Traumdeutung. Das Imaginale ist die Wahrheit auf einer bestimmten Ebene. Es trifft uns und überwältigt all unsere kleinen, geistigen Kategorien. Daraus können wir dann beginnen, es zu verarbeiten und in Kunst, Poesie, Tanz, Musik, Philosophie, in alles, was wir tun, einfließen zu lassen. Aber es ist immer schneller als das. Es kann auch schneller wahrgenommen werden und es gibt etwas in uns, das sich genauso schnell bewegt.
e: Es ist also offensichtlich etwas, das nicht getrennt von uns existiert?
CB: Genau.
Das Kraftzentrum im Kern
e: In Ihrem Buch »Das Auge des Herzens« ist mir aufgefallen, dass es immer Wege der Deutung von Geschichten, Ereignissen oder Erfahrungen gegeben hat, die nicht auf einem linearen Ursache-Wirkungs-Denken beruhen und eine imaginale Erkenntnis ermöglichen. Sie beziehen sich auf eine mittelalterliche Methode der Auslegung spiritueller Texte, die als Chiasmus bezeichnet wird. Was steckt dahinter?
CB: Chiasmus kommt aus dem Lateinischen und steht für Kreuzung oder Kreuzungspunkt. In der Literatur gilt es als eine rhetorische Figur der überkreuzten Stellung von Wörtern, Satzteilen oder Sätzen, und wird häufig für Antithesen gebraucht. Mir war die Terminologie aus der Literatur bekannt, als ich auf das Werk von Pater Bruno Barnhart gestoßen bin, der es als das Organisationsprinzip heiliger Schriften sah. Es folgt einer anderen Kausalität. In unserer mentalen, rationalen Welt verwenden wir die lineare Kausalität und Sequenz in der Annahme, dass Dinge, die früher geschehen, Dinge, die später geschehen, beeinflussen und nicht andersherum. Ein Chiasmus oder Kreuzungspunkt ist vergleichbar mit einem Stein, den man in einen Teich wirft und der dann Ringe rund um die Einwurfstelle erzeugt. Eine Form aus sich erweiternden Kreisen entsteht, sie emergiert aus diesem Zentrum der Intentionalität heraus.
Bruno hat mir zum ersten Mal gezeigt, wie das im Johannesevangelium angelegt ist. Es gibt dort ein zentrales Bild, das das überkreuzte Epizentrum bildet. In jedem kleinen Teil des Evangeliums kann man dieses zentrale Bild oder Motiv wiedererkennen und deuten. Die ganze Bedeutung, die sich mit der Zeit entfaltet, ist in dieses Epizentrum gepackt, das ein symmetrisches Muster um sich selbst erschafft.
e: Sie sprechen von einem Muster, das ein zentrales Bild oder Ereignis oder eine Idee enthält, die quasi das Kernmotiv für das gesamte Muster sind. Wie hängt das mit dem Imaginalen zusammen?
CB: Es beschreibt tatsächlich die imaginale Kausalität. Die Sphäre des Imaginalen geht von Anfang an davon aus, dass es eine Art höhere Kohärenz, Intelligenz oder Bestimmung gibt, die eine starke schöpferische Kraft hat. Wenn sich diese Kraft bemerkbar macht, organisiert sie ein symmetrisches Spielfeld um sich herum. In sich birgt es eine Dichte, aus der heraus sich Bedeutung vollständig in die Zeit hinein entfaltet. Daraus entsteht eine Struktur. Und wenn man diese ganze Struktur aus ihrem Epizentrum heraus erfassen kann, versteht man, inwieweit die ganzen Bruchstücke und Fragmente und manchmal auch zeitlich verdrehten Geschichten, in denen die Zeit zugleich vorwärts und rückwärts verläuft, zusammengehören. Das Zentrum hat eine Gewichtigkeit oder Gravität; es hat eine magnetische Kraft, wenn man hineingelangt. Die Bedeutung wird durch das Aufnehmen des gesamten Musters erfasst.
e: Könnten Sie ein Beispiel dafür nennen?
CB: Der Film »Babettes Fest« ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich die imaginale Kausalität zeigt. Es ist die Geschichte zweier dänischer Schwestern im 19. Jahrhundert, die ihre Chance in der Liebe gegen die strenge religiöse Sekte opfern, die ihr Vater gegründet hat. Babette, eine berühmte Köchin, kommt zu ihnen ins Haus und bereitet eines Tages ein riesiges Festmahl für die Schwestern und viele andere in der trostlosen Stadt. Irgendwann steht General Löwenhjelm, der früher der Verehrer einer der Schwestern war, von der Festtafel auf und hält diese wunderschöne Rede, die aus dem Nichts zu kommen scheint. Er blickt direkt in die Augen der Frau, die er seit 35 Jahren liebt. Es ist eine so tiefgründige Aussage über die Liebe und die Art und Weise, wie sie die Zeit überlebt. Das ist der Schlüssel der ganzen Geschichte – und natürlich ist sie das Herz der Botschaft.
e: Es ist also nicht der Höhepunkt oder die Auflösung.
CB: Nein, es ist die Keimzelle des Bildes. Man ist so bewegt davon, weil es aus dem Nichts zu kommen scheint. Und wenn man anfängt, darüber nachzudenken, fügen sich all die anderen Teile zusammen und das Ganze ergibt einen Sinn. Sobald man diese Rede als das Zentrum wahrnimmt, beginnt sich alles wie die Ringe im Wasser um einen Stein zu bilden.
Schwieriger wird es natürlich, wenn man in dieser Weise mit dem eigenen Leben oder einer vergangenen Phase des Lebens (was einfacher ist) zu spielen beginnt. Man kann eine imaginale Metastruktur entdecken, die der linearen Struktur in Raum und Zeit zugrunde liegt. Ich denke, das ist immer so. Der Gedanke dahinter ist, dass wir das, was wir in dieser Welt tun, nicht auf eine lineare Kausalität reduzieren, sondern es in seinem Verwoben-Sein in eine andere Textur von Kausalität erkennen. Wie in einer Fuge, in der es ein Thema und einen Kontrapunkt gibt. Aus diesem Spiel, dieser Wechselwirkung entsteht die Fülle der Musik.
Göttliche Lesung
e: Sie sprechen auch über die Lectio Divina, die göttliche Lesung, als eine Praxis, die diesen Bedeutungsraum öffnet, der nicht linear, kausal oder rein rational ist.
CB: Seit mehr als fünfzehnhundert Jahren hat die benediktinische Tradition Mönchen durch den Lectio Divina genannten Prozess beigebracht, wie man damit aufhört, heilige Texte nur mit dem rationalen Geist zu lesen. Das Ziel war es, sie auf eine Weise zu lesen, die chiastische und imaginale Resonanz und Tiefe ausbildet, weil es eben genau das ist, was einen heiligen Text zu einem heiligen Text macht. Aber die Lectio Divina ist nur ein Teil des umfassenden benediktinischen Programms zur Transformation des Menschen. Das Motto des Benediktinerordens ist ora et labora, Gebet und Arbeit. Für fünfzehnhundert Jahre hat sich jeder Tag um einen ausgewogenen, wechselnden Rhythmus zwischen körperlicher Arbeit, kontemplativem Gebet, heiligen Gesängen, die das emotionale Zentrum heben, der bewussten Beobachtung des Selbst durch Beichte und Buße und Lectio Divina gedreht. Im Wesentlichen hat sich daraus eine Struktur entwickelt, die der Öffnung des gesamten Körpers zu einem Instrument der Erkenntnis sehr zuträglich war.
e: Der »gesamte Körper« meint hier mehr als das physische Selbst?
CB: Mehr als das physische Selbst, aber auch nicht weniger. So viel Spirituelles kam aus dem Kopf, nutzte den Verstand, die Fantasie, das Gehirn und ab und an haben wir es zu Herzklopfen gebracht. Viele der alten Traditionen haben den Körper jedoch als Gefäß verstanden, durch welches das imaginale Wissen in die Welt getragen werden kann. Solange wir nur unseren Verstand verwenden, landen wir in einer Mercator-Projektion, wie die Kartographen sagen, der zweidimensionalen Version einer dreidimensionalen Welt. Das liegt daran, dass unser Körper dabei abgeschnitten wird. Die Tradition der Benediktiner hat einen starken Klangkörper für die heiligen Lehren der Lectio Divina geschaffen, damit der Text in einem Körper Resonanz findet, der zunehmend dafür gestimmt wurde, die Weisheit des Imaginalen zu empfangen.
Die Flammen des Unendlichen
e: Sie sprechen vom Imaginalen als etwas Evolutionärem und Kollektiven. Können Sie beschreiben, was Sie darunter verstehen?
CB: Wenn wir zum Kern des Ganzen vordringen, dem nicht reduzierbaren Mysterium, spüren wir, zumindest in den westlichen Traditionen, dieses tiefe Empfinden, dass wir alle in einem geheimnisvollen göttlichen Willen zum Selbstausdruck leben. Das, was verborgen, ruhend, möglich und sehr dicht ist, will sich selbst offenbaren. In unserem normalen Verständnis sehen wir die Evolution aus unserem kleinen, menschlichen Blickwinkel. Wir denken, wir werden bewusster. Das Bewusstsein wird sich erweitern. Wir werden dahin kommen und von dort aus weiter und höher. Aber so, wie sich das Wahrnehmungsvermögen der göttlichen Ordnung vertieft, in dem wir die Tiefen der Offenbarung des göttlichen Herzens im Inneren halten können, sehen und verstehen wir mehr. Es fühlt sich an wie ein Sprung des Bewusstseins. Wir bewegen uns hier nicht auf einer Zeitachse, weil das wiederum zur mentalen Struktur des Bewusstseins gehört.
Wir können das Epizentrum des letztendlichen Chiasmus oder Kreuzungspunktes der Schöpfung als göttliches Streben nach Selbst-Enthüllung verstehen. Darin ist jede Schicht des Bewusstseins, wie die archaische, die magische, die mythische usw., ein weiterer Ring, der sich im Teich von der göttlichen Offenbarung als dem Zentrum wegbewegt. Es geht hierbei nicht um Fortschritt, sondern um zunehmende Fülle. Das bedeutet, es gibt eine kosmische Absicht, zu mehr Ganzheit zu gelangen, und das ist das chiastische Epizentrum des Kosmos. Die Sufis drücken es wunderbar in einem Weisheitsspruch aus, in dem Gott sagt: »Ich war ein verborgener Schatz und ich liebe es, erkannt zu werden. Also erschuf ich die Welt, auf dass ich erkannt würde.«
Consciousness, das englische Wort für Bewusstsein wird gebildet aus con, was mit bedeutet, und sciousness, was Erkenntnis bedeutet, also das reflektierende Prinzip. Die Manifestation des Göttlichen geschieht und sie ist evolutionär, weil das chiastische Epizentrum so stark ist. Sie ist kollektiv, weil es absolut nichts mit uns persönlich zu tun hat. Wir sind kleine Teile in seiner Entfaltung und jeder von uns partizipiert holographisch am großen Ganzen. Diese Transformation wird aber nicht dadurch erreicht, dass zehn Prozent der Bevölkerung die nächste Ebene des evolutionären Bewusstseins verwirklichen. Dieser Wandel ist ganz und gar nicht quantitativ, er ist nicht kumulativ und nicht progressiv. Es ist eher so, dass sich eine kritische Masse, eine intensive Dichte formt, die zu Emergenz drängt, und in der etwas Neues möglich wird. Das kann nicht allein auf individueller Ebene geschehen. Aber wenn wir einen Zugang zum Imaginalen bekommen, können wir die zugrunde liegende Einheit unmittelbar und in ihrer notwendigen Besonderheit erfahren. Wir können beides, den Teil und das Ganze, innerlich halten und fühlen.
e: Können Sie noch etwas zur Dichte sagen? Ich verstehe es als eine spirituelle Gewichtigkeit, nicht als Dunkelheit oder Schwere.
CB: Ja, es ist eine Gravität, eine innere Würde. Valentin Tomberg hat in seinem Buch »Meditationen über das Tarot« ein Wort verwendet, das ich nie zuvor gelesen habe: Enstase. Es ist das Gegenteil von Ekstase. In der Ekstase geraten wir außer uns, wir sind nicht ganz wir selbst, wir flüchten, werden leichter, lösen uns auf. Enstase führt zu ungemeiner Verdichtung wie in dem Bild des brennenden Dornbuschs, der brennt, aber nicht verbrennt. Oder die christliche Darstellung der Mutter Gottes, der Jungfrau Maria, als Theotokos oder Gottesgebärerin, die Gott selbst in ihrer Gebärmutter trägt als einen kleinen Lichtblitz. Etwas Endliches kann etwas Unendliches halten und erden und wird so zu einer Art Grundlage oder Boden für das Unendliche, das sich darauf offenbaren kann. Es ist eine glühende Gewichtigkeit, eine unerbittliche Gravität. Das chiastische Epizentrum ist die Selbst-Offenbarung. Das Göttliche will sich offenbaren. Das, was ruhend verborgen, undifferenziert und implizit ist, soll hervorgebracht und ausgedrückt werden. Es soll in etwas Leuchtendes verwandelt werden, das strahlend und durchscheinend, transparent und diaphan ist. In diesem Ausdruck enthüllt das Göttliche fortwährend seine Gestalt. Und um diesen Selbstausdruck zu ermöglichen, ist ein Schritt in die Enstase nötig: das Erschaffen eines endlichen Selbst, das an einem Ort lokalisierbar ist, aber gleichzeitig in Reinheit und Unerschütterlichkeit die Flammen des Unendlichen ausstrahlt.
»Seeing with the Eyes of the Heart« –
Ein Interview mit Cynthia Bourgeault:
https://www.youtube.com/watch?v=0J7XUSF2Ql4