Sukhavati – Projekt Menschlichkeit

Our Emotional Participation in the World
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Essay
Published On:

April 21, 2017

Featuring:
Dorothea Meixner-Hilsbecher
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Issue:
Ausgabe 14 / 2017:
|
April 2017
Leben lernen
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Ein Ort für das Leben

Es schneit. Der Scharmützelsee ist zugefroren und von einer dünnen Schneedecke überzogen, als ich das Gelände des Centers für Spiritual Care in Bad Saarow betrete. »Das Zentrum sollte an einem See liegen. Das war die einzige Auflage, die uns von dem großzügigen Spender gemacht wurde», sagt Dorothea Meixner-Hilsbecher, als sie mich durch das Gebäude führt. Der See ist überall präsent. Jedes Zimmer oder Apartment von Sukhavati – wie das Zentrum heißt – hat einen Ausblick auf den Scharmützelsee. Der schlichte moderne Neubau steht auf einem Gelände, das von tibetischen Lamas gesegnet wurde. Sukhavati soll ein Platz der Heilung sein. Ein Platz der Heilung auf gesegnetem Land.

Sukhavati besteht aus verschiedenen Gebäudekomplexen, die alle miteinander verbunden sind. Das Herzstück ist der Pflegebereich, dort werden Menschen in einer akuten Krankheitsphase, bei andauernder Pflegebedürftigkeit oder am Ende ihres Lebens begleitet. Nach Sukhavati können aber auch Menschen in einer Krisensituation kommen oder Menschen, die einfach eine Auszeit benötigen. In einem anderen Gebäudetrakt wohnen 14 Menschen generationenübergreifend zusammen. Alle sind an Spiritualität interessiert. Zunächst waren es Schüler und Schülerinnen des tibetischen Buddhismus unter dem Lehrer Sogyal Rinpoche, inzwischen ist die Gemeinschaft offen für Menschen verschiedener Traditionen. Einmal täglich üben sie gemeinsam stille Meditation. »Wir befinden uns in einem Experimentierfeld. Wir experimentieren damit, wie es möglich ist, in einer Gemeinschaft unterschiedlicher Traditionen zusammenzuleben. Wir sind ja erst seit einem Jahr zusammen«, sagt ­Dorothea Meixner-Hilsbecher. Sukhavati versteht sich als Modellprojekt. Grundlage ist die tibetische Weisheitstradition, wie sie in dem Buch »Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben« von Sogyal Rinpoche beschrieben wird. Mit einem Augenzwinkern kommentiert Dorothea Meixner-Hilbecher: »Sukhavati ist das Haus zum Buch.«

Einige aus der Gemeinschaft arbeiten in Sukhavati, gemeinsam mit anderen, die nicht dort wohnen. Das Besondere an der Zusammenarbeit ist: »Alle hier im Kernteam haben eine langjährige Meditationspraxis. Im Umgang mit anderen projizieren wir nicht sofort oder urteilen, sondern versuchen, offen zu sein. Das gelingt natürlich nicht immer. Wir sind Menschen und irren. Unser Fokus liegt darauf, was das Beste für das Projekt ist. Wir sind nicht frei von Verwicklungen. Aber, ich finde, wir können gut damit umgehen. Manchmal wird es etwas enger. Dann können wir das aber ganz gut wieder auflösen.«

Krisenbegleitung in Sukhavati geschieht auf der Grundlage des überkonfessionellen Studienprogramms Spiritual Care. Es beschäftigt sich unter Einbezug von Mitgefühl und Achtsamkeits- und Meditationstechniken mit der praktischen, emotionalen und spirituellen Dimension von Begleitung, Pflege und Heilung. Dorothea Meixner-­Hilsbecher beschreibt es so: »Wir bieten keine therapeutische Krisenbegleitung an. Wir haben gelernt zu fragen: Was ist essenziell? Was brauchen Menschen in Not oder am Lebensende? Was ist es, was Menschen sich letztlich wünschen? Das findet man nicht auf der psychologischen Ebene, sondern es geht darum, mit sich selbst auf einer tiefen Ebene verbunden zu sein. Vielen, die sich in der Krise verloren haben, fehlt das. Wir begleiten Menschen dabei, dorthin zurückzufinden. Es geht letztlich um etwas, das über den Einzelnen hinausgeht, um die Verbindung zu etwas Universellem, und das unabhängig von Religion.«

¬ Dass die Pflege als Herz von Sukhavati gesehen wird, bedeutet auch, dass sie die Herzen der Pflegenden öffnet. ¬

Es gibt in Sukhavati zwar verschiedene Gebäudetrakte, aber sie sind bewusst offen füreinander. Die Mitglieder der Gemeinschaft und die Mitarbeiter von Sukhavati gehen auf die Menschen im Pflegebereich zu. Alter, Krankheit und Tod werden als Teil des Lebens gesehen. Gemeinschaft und Mitarbeitern ist es wichtig, in dem anderen den Menschen zu sehen und nicht den Patienten. Man trifft sich zum Beispiel zum Kaffeetrinken im Aufenthaltsraum des Pflegebereichs oder die Gruppen mischen sich beim Mittagessen im Café. Dass die Pflege als Herz von Sukhavati gesehen wird, bedeutet auch, dass sie die Herzen der Pflegenden öffnet: »Bei unserer Arbeit versuchen wir mit der inneren Kraftquelle verbunden zu bleiben. Das schützt auch vor Burn-out, der sonst im medizinisch-pflegerischen Bereich oft erlebt wird. Ja, und es gibt Situationen, in denen mir das Herz aufgeht, wenn ich in den Pflegebereich gehe. Das ist das Besondere hier.«

Die Mitarbeiter von Sukhavati wollen über ihr Projekt hinaus an einem menschlicheren Umgang im medizinisch-pflegerischen Bereich mitwirken. Dafür bieten sie religionsungebundene Spirtual-Care-Kurse für Mediziner, Pflegepersonal und Menschen in sozialen Berufen an. Der Fortbildungsbereich befindet sich in einem weiteren Gebäudetrakt. In einem Gruppenraum werden hier außerdem offene Meditationen oder Vorträge für Gäste angeboten und auch in das Café, wo man im Sommer mit Blick auf den See draußen essen kann, kommen Menschen aus Bad Saarow, d. h. Sukhavati ist nicht nur in sich selbst, sondern auch über sich hinaus ein offenes Haus. Der Cafébetrieb war ursprünglich nicht geplant. Er hat sich entwickelt. Genauso wie sich das Projekt mit einer Eigendynamik entwickelt: »Ich habe das Gefühl, das Projekt hat eine Eigenqualität. Der Ort hier ist sehr speziell. Er hat eine eigene innere Kraft.« Für die Mitarbeiter von Sukhavati ist es relativ einfach, sich von Plänen zu lösen und der Dynamik ihres Projektes zu folgen, da die tibetische Weisheitstradition lehrt, dass Leben Veränderung ist.

Sukhavati ist nicht nur für Gäste, sondern auch für die natürliche Umgebung offen. Neben der starken Verbindung zum Scharmützelsee gibt es zum Beispiel im Gebäude einen schön gestalteten japanischen Garten. Alle Fußböden und Fensterrahmen sind aus Eichenholz und die Räume nach baubiologischen Gesichtspunkten gestaltet. Die Zimmer im Pflegebereich sind eben­erdig. Wenn jemand das Bett nicht mehr verlassen kann, ist es möglich, das Bett direkt vor das Zimmer nach draußen zu schieben. Berührt hat mich bei alledem die ästhetische Schönheit und liebevolle Innengestaltung des Gebäudes.

Nach meinem Empfinden stimmt es: Sukhavati ist ein Ort der Heilung. Dorothea Meixner-Hilsbecher spricht von einem atmosphärischen Feld, das hier aufgebaut sei und in das man sich hineinentspannen könne: ein atmosphärisches Feld in kontemplativer Atmosphäre, von der Gemeinschaft gehalten auf von tibetischen Lamas gesegnetem Land. Darüber hinaus gibt es hier Raum für die vielen Facetten des Lebens, auch Krisen und Sterben, die wir in unserer Kultur oft an die Ränder verdrängen. Eine umfassende Kultur des Lebens, in der auch die Fragen nach Sinn und Spiritualität auf Resonanz stoßen, wird hier erprobt und praktiziert.

Gegen Ende meines Besuches sitzen wir im Café. Die Wolkendecke, aus der vorher der Schnee gefallen war, ist aufgerissen, und wir können zusammen den Sonnenuntergang über dem verschneiten See anschauen.

Author:
Elke Janssen
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