Als Google im Sommer den Quellcode seines Bilderkennungsprogrammes »Deep Dream« veröffentlichte, ging es in diversen Medien mal wieder um künstliche Intelligenz. Genauer gesagt: um künstliche neuronale Netze. Noch genauer: um deren Fähigkeit zur Bilderkennung. Bilderkennung ist die Königsdisziplin der künstlichen Intelligenz, und bis vor Kurzem war es für sie unmöglich, eine Katze in natürlicher Umgebung als Katze zu erkennen. Erst in den letzten Jahren gelingt das allmählich. Die Maschine arbeitet sich dabei durch eine Reihe von 20 bis 30 Merkmalschichten, über Kanten, Linien, Farben, Zwischenräume etc., bis am Ende ein oft richtiges Ergebnis steht. Legt man ihr allerdings einen blauen Himmel mit verschiedenen Wolkenbildungen vor, hört sie auch nicht auf, bevor sie in den Wolken diverse Tiere, Gebäude oder Küchengegenstände »erkannt« hat.
In den Artikeln zu diesem Thema war immer wieder zu lesen, die Maschine würde es machen wie der Mensch: Kriterien abarbeiten, bis sich eine Katze als Katze erweist, gelegentlicher Irrtum nicht ausgeschlossen.
Aber stimmt das eigentlich? Baut sich unser Erkennen aus Einzelelementen auf, baut sich die Katze in unserem Bewusstsein auf aus erfolgreich abgehakten Kriterien wie relativ einheitliche Farbe oder Musterung, Fell, Kopf mit Auge(n), Rumpf, eventuell Gliedmaßen, und so weiter? Ein Kind, das gelernt hat, Katzen und Hunde zu erkennen und zu unterscheiden, kann jedenfalls keines dieser Kriterien nennen. Sein Erkennen einer Katze speist sich nicht aus einzelnen Kriterien, sondern aus einer unmittelbar erfassten Einsicht in das Wesen des Katze-Seins. Bis es Kriterien dafür nennen kann, wird es noch viele Jahre seines kindlichen Lebens dauern.
Das Kind kann sich später an seine unmittelbare Erfahrung des Katze-Seins nicht erinnern, und Erwachsene machen solche Erfahrungen nur noch sehr selten. So kann der Irrtum entstehen, das Erkennen setze sich aus lauter Einzelmerkmalen zusammen. In den seltenen Momenten, in denen wir doch mal etwas neu verstehen, uns etwas einleuchtet, können wir aber bemerken, dass sich dieses Einleuchten nicht aus Einzelelementen zusammensetzt, sondern sich umgekehrt aus einem großen Ganzen herauslöst. Oft dauert es sogar eine gewisse Zeit, bis die unmittelbar einleuchtende neue Einsicht so greifbar wird, dass dann auch ihre einzelnen Elemente bezeichnet werden können.
¬ DAS PRIMÄRE IST ABER DIE GANZHEIT DER WELT, ZU DER AUCH WIR GEHÖREN. ¬
Also nicht aus Einzelheiten baut sich unser Erkennen auf, sondern es grenzt sich ab aus einem zunächst vorbewusst bleibenden Kontinuum von Sinn und Bedeutung. Mit dem Spracherwerb lernt das Kind, Einzelheiten aus diesem Kontinuum herauszuheben und es nach und nach durch Unterscheidungen und Zusammenhänge zu gliedern. Das Kontinuum, aus dem die Einzelheiten herausgehoben werden, entschwindet dabei mehr und mehr der Erfahrung, bis wir uns schließlich eingekastelt in unser Bewusstsein einer Welt gegenüberstehend erfahren, die wir durch Kriterien zu erkennen meinen.
Das Primäre ist aber die Ganzheit der Welt, zu der auch wir gehören. Unser Leib und insbesondere unser Gehirn können dabei wie ein Spiegel angesehen werden, der das Weltganze in unser Bewusstsein herunterbricht. Das Herunterbrechen aber entgeht unserem Bewusstsein. Wir bemerken erst das Endprodukt: die Katze. Was dem vorangeht hingegen, bekommen wir gar nicht mit.
Schulung des Bewusstseins durch Meditation hat die Aufgabe, das von der Welt getrennte Bewusstsein wieder mit dem Weltganzen zu verbinden. Sofern es dabei (wie zum Beispiel in der Anthroposophie) primär um ein erkennendes, bewusstes Einswerden mit dem Weltganzen in all seiner Konkretheit geht, wird es darauf ankommen, das Bewusstsein so zu stärken, dass es die Ganzheit bemerkt, die seiner ständigen Absonderung vorangeht. Es wird üben, immer langsamer und immer aktiver zu denken – zum Beispiel fünf Minuten jeden Tag an eine Katze – und dabei bemerken, wie zwischen den einzelnen Kriterien etwas Lebendiges und wesenhaft Sinnvolles mitwirkt, das das Bewusstsein zusammen mit seinem Inhalt zum Weltganzen hin weitet. Von einem so gestärkten Bewusstsein aus erscheint dann das Gehirn nicht als Produzent des Bewusstseins, sondern als Spiegel, der aus einem ganzheitlichen Bewusstsein unser persönliches Bewusstsein heraustrennt.
Diese Umkehrung übend zu erproben könnte ja mal einen Versuch wert sein. Und das jedenfalls kann »Deep Dream« nicht.