Veränderung ohne Zerstörung

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Kolumne
Publiziert am:

October 23, 2023

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Ausgabe 40 / 2023
|
October 2023
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Es gibt schwerwiegende Dilemmata, die bei der Veränderung von Gesellschaftssystemen auftreten und die bei jeder »Verbesserung« katastrophale Folgen auszulösen scheinen. Jedes Mal, wenn man versucht, etwas in einem bestimmten Kontext zu verändern, gerät ein anderer Kontext dadurch außer Kontrolle. Wenn man die Pflege von Bodenbakterien in den Vordergrund stellt, gerät die landwirtschaftliche Massenproduktion in Gefahr und es werden Nahrungsmittelkrisen ausgelöst. Wenn man die Gesundheitssysteme in der nötigen Weise unterstützt, verlieren sie ihre Wirtschaftlichkeit. Stoppt man die schreckliche Kinderarbeit in den Kobaltminen, kommen die Technologiekommunikation und der damit verbundene internationale Handel und die Technologieinnovation zum Erliegen. Verbannt man giftige Chemikalien aus der Industrie, kommt die Produktion notwendiger Güter zum Stillstand. Und all diese Veränderungen bedeuten schließlich das Ende von Beschäftigung und Wohnraum für Millionen von Menschen. Ist es möglich, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen, um Leben zu erhalten, ohne dass solche Eingriffe den wirtschaftlichen, kulturellen oder institutionellen Zusammenbruch beschleunigen?

Das ist der große Zwiespalt unserer Zeit: Um den nächsten Monat oder das nächste Jahr zu erreichen, müssen wir uns auf Prozesse einlassen, die die Zukunft gefährden. Wenn wir unsere Kinder jetzt behüten und ernähren wollen, tragen wir zum Zusammenbruch der Lebenssysteme in ihrer Zukunft bei. Wenn die Systeme, die zunehmend ineinandergreifen, nicht auf einer kontinuierlichen, wandlungsfähigen Vitalität zwischen den einzelnen Organismen basieren, wird Wandel gefährlich. Aber: Das Einzige, was gefährlicher ist als Veränderung, ist keine Veränderung.

Aber was macht die Wiese, den Dschungel, den Ozean aus? Existieren sie aus ihrem eigenen Organismus heraus? Oder leben sie aus der Art und Weise, wie sich diese Organismen im Laufe der Zeit gemeinsam verändern? Ich habe über die Jahre hinweg darum gerungen, diesen »lebendigen« Prozess zu beschreiben, ohne dabei ein starres Modell zu verwenden. Es scheint, als gäbe es ein großes Verlangen danach, die Evolution zu kartographieren, den Code zu knacken, die Lebewesen in einem Diagramm darzustellen und die Beziehungen zwischen ihnen mit kaum mehr als einer Linie zu veranschaulichen. Ich kenne aber keine einzige Beziehung, die mich mit Menschen oder anderen Kontexten meines Lebens verbindet, die wie eine Linie aussieht. Und Sie? Nicht einmal eine Schlangenlinie würde eine solche Beziehung annähernd beschreiben.


»Das Einzige, was gefährlicher ist als Veränder­ung, ist keine Veränderung.«

Ökologie ist die Art und Weise, wie jeder Organismus mit den anderen interagiert. Und jeder Organismus steht in Beziehung zu vielen anderen. Die Zeit verändert die Beziehungen, aber Leben schafft weiterhin Leben und lässt statische Modelle wie eine Farce erscheinen. Jede Pflanze, jedes Insekt, jede Bakterie, jedes Reptil und jedes Säugetier wird von anderen Organismen geformt und prägt wiederum selbst sowohl deren Form als auch deren Verhalten. Kontextübergreifendes, wechselseitiges Lernen ist die Konstante. Sie lernen gemeinsam, während sie weiterhin Leben schaffen, indem sie sich gegenseitig in-formieren und ineinander übergehen (was ich »Symmathesie« genannt habe). Wo also geschieht der Wandel? Wie können die Momente des alltäglichen Lebens stärker in die kontinuierlichen, lebendigen Systeme nicht nur anderer Menschen, sondern auch von Millionen anderer Organismen integriert werden?

Die Beziehungen schaffen Kommunikationsmöglichkeiten. Die Zugehörigkeit zum Leben beruht darauf, dass wir miteinander und mit den Lebensformen in und zwischen uns kommunizieren. Dabei geht es nicht nur um die Frage, was kommuniziert wird, sondern auch um die Frage, welche Grenzen dem, was kommuniziert werden kann, kontextuell und implizit gesetzt werden.

Mit dem Hereinbrechen der modernen menschlichen Gesellschaft zeigt sich auch die Notwendigkeit, sich auf neue Vorstellungen von Kommunikation und Beziehungen einzulassen. Was gilt es zu kommunizieren? Können Kommunikations- und Beziehungsgewohnheiten auf jene Prozesse ausgerichtet werden, die Leben hervorbringen, statt auf solche, die die ungebremste Gier eines vampirähnlichen Systems nähren?

In meinem neuen Buch »Combining« habe ich mich gefragt, wie eine solche Veränderung beschrieben werden kann. Die Essenz dieser Überlegungen fand Eingang in dieses Gedicht:

Leben ist Kunst

Jahreszeiten verändern alles und zerstören nichts.

Die feuchte Erde im Garten,

die winzigen Knospen,

die ungeöffneten Blüten —

der Gedanke an alles und nichts,

der Wandel ohne Zerstörung ist unermesslich —

extrem in seiner Komplexität —

und absolut einfach, sogar alltäglich … und wunderschön.

Es ist ein Wunder des Lebendigen: Jede Jahreszeit, jeder Organismus verändert sich. Und während sie sich alle wandeln, bleiben die Beziehungen zwischen ihnen unzerstört bestehen. Gemeinsam entfalten sie weiterhin ihre Lebenskraft.

Author:
Nora Bateson
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